Buchbesprechung

… never seen anything quite like it before”

Robert Kinross erinnert an das Wirken von Marie Neurath

Marie Neu­r­a­th war eine star­ke, intel­li­gen­te Frau. Viel wird über Ihren Mann Otto Neu­r­a­th geschrie­ben, den berühm­ten Sozio­lo­gen und Aus­stel­lungs­ma­cher, und sogar über den ande­ren Haus-Gra­fi­ker: Gerd Arntz. Aber Marie Neu­r­a­th bleibt weit­ge­hend unbe­kannt. Das Buch von Robin Kin­ross und Marie Neu­r­a­th »The trans­for­mer, prin­ci­ples of making Iso­ty­pe charts« von Hyphen Press (2009) ist das ers­te Buch, das aus­führ­lich ihr gewid­met ist.

Robin Kin­ross stu­dier­te an der Uni­ver­si­ty of Rea­ding in Eng­land, wo Marie Neu­r­a­th hin und wie­der unter­rich­te­te und wo der gesam­te Otto-Neu­r­a­th-Nach­lass archi­viert ist. Kin­ross erzählt von sei­nem Neid auf Stu­den­ten in höhe­ren Semes­tern, die Marie Neu­r­a­ths Unter­richt genie­ßen dürf­ten: “The first occa­si­on that I can remem­ber is of her moving around a stu­dio at the Typo­gra­phy Unit (as it was then) at the Uni­ver­si­ty of Rea­ding. After she had given the mate­ri­als of the ‘Otto and Marie Neu­r­a­th Iso­ty­pe Coll­ec­tion’ to the Uni­ver­si­ty, she came regu­lar­ly to hold a semi­nar about Iso­ty­pe with third-year stu­dents of typo­gra­phy. I was then only in the second year: that I could not go to the semi­nar (and that a ‘ad hoc’ stu­dent from the Net­her­lands sit­ting next to me could) was the source of con­sidera­ble frus­tra­ti­on and jea­lou­sy.” (S. 117)

Erst Jah­re spä­ter, als er sei­ne Mas­ter­ar­beit den The­men »Iso­ty­pe« und »Neu­r­a­th« wid­me­te, lern­te er sie ken­nen. Der Haupt­text von »The trans­for­mer« wur­de von Marie Neu­r­a­th auf Deutsch ver­fasst [1] und von Kin­ross ins Eng­li­sche über­setzt und sodann von Marie Neu­r­a­th gegen­ge­le­sen. Es erzählt aus ers­ter Hand von der Arbeit von Otto Neu­r­a­th und sei­nem Team. Obwohl ein klei­ner schlan­ker Band, bie­tet das Buch vie­le Abbil­dun­gen von bespro­che­nen Wer­ken, die sonst unbe­kannt sind. Neben den bekann­ten Info­gra­fi­ken über Bevöl­ke­rung und Arbeits­sta­tis­tik gibt es wun­der­ba­re Kar­ten, Abbil­dun­gen von kom­ple­xe­ren Abläu­fen und Arbei­ten nach Otto Neu­r­a­ths Tod. Die Abbil­dun­gen beglei­ten die Nar­ra­ti­on und ergän­zen sie immer an Ort und Stel­le – es macht eine Freu­de, den Band zu lesen.

Der letz­te Teil des Buches beschäf­tigt sich mit den Prin­zi­pi­en der Iso­ty­pe und der Trans­for­ma­ti­on, wie die Neu­r­a­ths es nann­ten. Hier wer­den Ent­wick­lun­gen Schritt für Schritt gezeigt und erläu­tert. Die Ideen der Tran­for­ma­ti­on: Man muss die Daten zei­gen, les­bar machen, aber die Inter­pre­ta­ti­on dem Betrach­ter über­las­sen. Prin­zi­pi­en des effek­ti­ven Men­gen­ver­gleichs sowie Metho­den der Dar­stel­lung von Info­gra­fi­ken oder Welt­kar­ten wer­den erläutert.

War­um wis­sen wir so wenig über Marie Neu­r­a­th? Ers­tens war sie immer Mit­glied eines Teams, in dem Otto Neu­r­a­th der Front­mann war. Zwei­tens: Obwohl sie die Prin­zi­pi­en von Iso­ty­pe mit­ent­wi­ckel­te, ja sogar benann­te, war Marie Neu­r­a­th sehr beschei­den; in »The trans­for­mer« erzählt sie aus­führ­lich von Pro­jek­ten und Teams und nur hin und wie­der von ihrem eige­nen Wir­ken. Marie Neu­r­a­th schrieb über ihre ers­te Begeg­nung mit Otto Neu­r­a­th im Siedlungsmuseum:

Otto saw how impres­sed I was, and asked me if I could per­haps design things of this kind; but what should I say – I had never seen any­thing quite like it befo­re. ‘But,’ he asked, ‘if I star­ted a muse­um whe­re such charts are desi­gned, would you be wil­ling to join in?’ To which I repli­ed, wit­hout qua­li­fi­ca­ti­ons: ‘yes’, and I meant it. Otto went on, more to hims­elf: ‘Now I know that I can do it.’ He star­ted on the pre­pa­ra­ti­ons at once.” (S. 10)

Den Neid von Kin­ross, nicht selbst an Marie Neu­r­a­ths Semi­nar teil­neh­men zu dür­fen, kann man sehr gut ver­ste­hen – man wünsch­te sie wäre da, um Fra­gen zu beant­wor­ten oder eine aktu­el­le Arbeit zu kom­men­tie­ren. Das kön­nen wir nicht haben, aber das Buch kommt so nah wie mög­lich an eine per­sön­li­che Begeg­nung her­an. Es ist für jeden ambi­tio­nier­ten Infor­ma­ti­ons­ge­stal­ter lesenswert.