Mei­ner Auf­fas­sung nach ist es das Zusam­men­spiel von drei Fak­to­ren, das dem Zuschau­er in der Sze­ne vor dem Schnitt ein Gefühl des Unbe­ha­gens ver­mit­telt – das Wis­sen um die pre­kä­re mora­li­sche Situa­ti­on der Ver­lieb­ten, die Atmo­sphä­re der Geis­ter­stadt und die mys­te­riö­se Kame­ra­fahrt am Ende der Sze­ne. Der Schnitt lenkt die rezep­ti­ve Auf­merk­sam­keit auf eine eher aus­ge­las­sen wir­ken­den Stim­mung, die erklä­rungs­be­dürf­tig ist. Was, so lau­tet, die Fra­ge hat den Stim­mungs­um­schwung, den Sieg der Ero­tik über die Moral, aus­ge­löst? Die Appell­funk­ti­on des Schnitts besteht, so gese­hen, in der Auf­for­de­rung an den Zuschau­er, den Affekt des Unbe­ha­gens sinn­voll mit der nach­fol­gen­den Lie­bes­sze­ne zu ver­mit­teln, also Inter­pre­tan­ten zu bil­den, die ver­mit­teln, was die Insze­nie­rung offen lässt. Zu ent­wi­ckeln ist, mit Aris­to­te­les zu reden, ein rhe­to­ri­scher Schluss, ein Enthy­mem, mit dem Affekt des Unbe­ha­gens als Vor­satz und dem durch die Fol­ge­sze­ne gege­be­nen logi­schen Inter­pre­tan­ten. Was fehlt, ist, wie gesagt, das Mittelglied.

Mei­ne The­se lau­tet, dass die­ses Glied nur zu ermit­teln ist, wenn sich der Zuschau­er auf die ers­te Sze­ne affek­tiv ein­stellt und sei­ne Infe­renz empa­tisch ent­wi­ckelt. Unab­hän­gig davon, ob er den Begriff der Über­sprung­hand­lung kennt oder nicht – die spe­zi­fi­sche Kon­fi­gu­ra­ti­on der bei­den Sze­nen durch einen har­ten Schnitt prä­dis­po­niert den Zuschau­er zu einer Aus­le­gung, die im Unbe­ha­gen, gemischt mir Lan­ge­wei­le, das ent­schei­den­de Momen­tum dafür sieht, dass Clau­dia ihre Lie­bes­hem­mung über­win­det. Zu sehen ist das, wohl­ge­merkt, nicht, und geschluss­fol­gert wer­den kann dies auch nicht mit letz­ter Gewiss­heit; alles, was der Film zeigt, läuft jedoch dar­auf hin­aus, dass die­se Les­art der »Wahr­heit« am nächs­ten kommt, mit­hin höchst wahr­schein­lich und glaub­wür­dig ist.

Da sich bei die­ser Aus­le­gung die all­ge­mei­ne Men­schen­kennt­nis der Zuschau­er mit einer ganz beson­de­ren Affek­ti­on ver­bin­det, die atmo­sphä­risch sti­mu­liert, im Figu­ren­dia­log jedoch nicht reflek­tiert wur­de, kann man von einer Impli­ka­tur der Sze­nen­fol­ge spre­chen. Der Zuschau­er ist berech­tigt, den Schnitt respek­ti­ve die Leer­stel­le mit der Annah­me einer Affekt-Modi­fi­ka­ti­on zu über­brü­cken, die sich aus dem Vor­lauf der ers­ten Sze­ne in Ver­bin­dung mit dem enzy­klo­pä­di­schen Wis­sen über die Dyna­mik des Eros ergibt. Bei­des ist wich­tig: der kon­kre­te Affekt des mit Lan­ge­wei­le ver­misch­ten Unbe­ha­gens und das ver­gleichs­wei­se abs­trak­te Kon­zept der Lie­be als einer Kraft, die sich über mora­li­sche Beden­ken hin­weg­zu­set­zen ver­mag. Der Regis­seur, der die­ses kul­tu­rel­le Kon­zept bei sei­nem Publi­kum still­schwei­gend vor­aus­set­zen durf­te – wir haben es hier mit einer Prä­sup­po­si­ti­on zu tun – konn­te sich dar­auf kon­zen­trie­ren, eine Atmo­sphä­re des Unbe­ha­gens zu schaf­fen und mit dem har­ten Schnitt einen spe­zi­fi­schen Appell an den Zuschau­er zu rich­ten, damit die­ser durch kon­jekt­u­ra­le Auf­fas­sungs­ak­te zu dem rhe­to­ri­schen Schluss gelangt, der sich aus dem logi­schen Inter­pre­tan­ten ergibt: Wenn San­dro und Clau­dia ein­an­der plötz­lich in den Armen lie­gen, muss das Unbe­ha­gen ein ent­schei­den­der Fak­tor der Paar­bil­dung gewe­sen sein.

Das Bei­spiel ver­an­schau­licht die affek­ti­ve Grun­die­rung der Kogni­ti­on als auch den rhe­to­ri­schen Zuschnitt der Sze­nen­fol­ge, deren rezep­ti­ons­äs­the­ti­sches Kal­kül nur dann auf­geht, wenn man die Funk­ti­on der Affek­ti­on dar­in sieht, dyna­misch-ener­ge­ti­sche Inter­pre­tan­ten aus­zu­lö­sen. Das aber bedeu­tet, dass die Affek­ten­leh­re der Rhe­to­rik, phä­no­me­no­lo­gisch und semio­lo­gisch ange­rei­chert, Ent­schei­den­des zur orek­ti­schen Film-Ana­ly­se bei­tra­gen kann. Nach­voll­zieh­bar wird das sze­nisch-empa­thi­sche Ver­ste­hen im Fal­le der gezeig­ten Sequenz jeden­falls nur unter der Bedin­gung, dass bereits in das Unbe­ha­gen der Lie­bes­wunsch gemischt ist, den Clau­dia und San­dro mit den Zuschau­ern teilen.