Oder hören Sie, was er, Loos, über die Rol­le der Frau schreibt, die Josef Hoff­mann, der sei­ner­zeit zur Spit­ze der Wie­ner Gesell­schaft gehör­te, renom­mier­ter Archi­tekt und Grün­der der von Loos so ver­haß­ten Wie­ner Werk­stät­ten für Möbel und Gebrauchs­ge­gen­stän­de die Hoff­mann zum Bei­spiel (und das war der dama­li­ge Tenor) erst gar nicht in sei­ne Archi­tek­tur­klas­se auf­nahm – »die hei­ra­ten sowie­so, las­sen die Archi­tek­tur sein, das lohnt nicht die Mühe«, mein­te er. Loos beti­telt sei­nen Essay mit Kur­ze Haa­re, und dar­in heißt es: »Dre­hen wir die Fra­ge um. Fra­gen wir die Frau­en, was sie zu den kur­zen Haa­ren der Män­ner sagen. Sie wer­den ver­mut­lich sagen, dass das eine Sache ist, die die Män­ner allein angeht. Der Lei­ter eines Kran­ken­hau­ses hat eine Pfle­ge­rin ent­las­sen, weil sie sich die Haa­re kurz schnei­den ließ. Wäre es mög­lich, dass eine Frau als Lei­te­rin eine männ­li­che Hilfs­kraft aus die­sem Grund ent­las­sen wür­de? Wes­halb aber lan­ge Haa­re weib­lich und kur­ze Haa­re männ­lich sein sol­len, dar­über mögen sich die alten Wei­ber unter den Män­nern den lee­ren Kopf zer­bre­chen. Den Frau­en vor­schrei­ben zu wol­len, sie müß­ten ihr Haar lang tra­gen, da das lan­ge Haar Lust­ge­füh­le erzeu­ge und die Frau­en nur dazu da sind, die­se ero­ti­sche Span­nung zu ver­schaf­fen – das ist eine Frech­heit.« Jeder in Wien wuß­te, dass mit den »alten Wei­bern unter den Män­nern« in ers­ter Linie Josef Hoff­mann gemeint war, und man kann sich vor­stel­len, wie bla­miert Hoff­mann war, wie sich die Gesell­schaft empör­te (und hin­ter der hoh­len Hand amüsierte).

Die­ser Satz, und dazu zei­ge ich das eige­ne Haus Hen­ry van de Vel­des in Wei­mar (mit ihm selbst und sei­ner Fami­lie in eigens ent­wor­fe­ner Klei­dung davor – man beach­te die »glück­li­chen« Gesich­ter der Kin­der), die­ser Satz lös­te ein schal­len­des Geläch­ter und einen hand­fes­ten Skan­dal aus: »Lie­ber Ulk«, heißt es da (Ulk war eine sati­risch aus­ge­rich­te­te Bei­la­ge der Zei­tung Ber­li­ner Tage­blatt, in der die­ser Satz erschien, und die­ser eine Satz war der gan­ze Text: »Lie­ber Ulk, und ich sage Dir, es wird die Zeit kom­men, in der die Ein­rich­tung einer Gefäng­nis­zel­le von Hof­ta­pe­zie­rer Schul­ze oder von Pro­fes­sor Hen­ry van de Vel­de als straf­ver­schär­fend gel­ten wird. Adolf Loos, 1910«. Das war ein unge­heu­er­li­cher Affront gegen van de Vel­de, der doch zu den aner­kann­tes­ten und bekann­tes­ten Archi­tek­ten sei­ner Zeit gehör­te, der Mit­glied des Deut­schen Werk­bun­des war und sowohl im Bau­en als auch auf dem Gebiet des Pro­dukt­de­signs (also des Kunst­ge­we­bes) tätig und erfolg­reich war, des­sen Rich­tung Loos aber nicht in sei­nen Qua­li­täts­maß­stab paß­te, des­sen Archi­tek­tur es also als straf­ver­schär­fend ansah. Und wenn man sich das Ver­hut­zel­te sei­nes Hau­ses ansieht, die Über­frach­tung des Gan­zen mit unter­schied­lichs­ten For­men, eben die, die Loos als Ver­kleis­te­rung brand­markt, als falsch ange­wen­de­tes Orna­ment, dann könn­te man ihm schon zustim­men – so ganz abwe­gig ist das nicht. Ein lite­ra­ri­sches Kabi­nett­stück (neben­bei bemerkt) – in sei­ner Kür­ze und in sei­nem Lako­ni­schen, wie Loos einen berühm­ten Namen durch die Ver­bin­dung mit einem Neu­trum ins Abseits weg­drückt, wie wir ja heu­te noch »Mül­ler, Mei­er, Schul­ze« sagen, wenn wir jeman­den als gänz­lich neben­säch­lich ein­stu­fen. Trotz­dem, Loos ist eben­so gerecht wie unge­recht, denn van de Vel­de war doch ein wesent­li­cher Bewe­ger zum Neu­en hin, aber die­se posi­ti­ve über­ra­gen­de Sei­te woll­te (oder konn­te) er nicht sehen.

Durch die­se Arti­kel und durch sei­ne ent­spre­chend aggres­si­ven öffent­li­chen Vor­trä­ge, mit denen er zum Bei­spiel den Wie­ner Sophien­saal (immer­hin rund 2000 Plät­ze) mühe­los bis zum letz­ten Qua­drat­me­ter füll­te, wur­de Loos von vie­len nur als ein begna­de­ter, ori­gi­nel­ler Unter­hal­ter (aller­dings mit der Wir­kung von Prä­zi­si­ons­ge­schos­sen), bes­ten­falls als gesell­schafts­kri­ti­scher Ästhet ange­se­hen und nicht eigent­lich als Archi­tekt. Das aber war Loos vor allem: ein Bau­meis­ter, ein wirk­li­cher Meis­ter des Bau­ens, der immer im Kubus, im Räum­li­chen dach­te (und nie in der Flä­che), und der des­we­gen nie am Papier kleb­te, an der vir­tuo­sen Dar­stel­lung sei­ner Ideen. Und so kamen ihm zu gute Zeich­ner immer etwas suspekt vor, denn raf­fi­niert zeich­nen und räum­lich emp­fin­den kön­nen sind Eigen­schaf­ten, die sich nicht unbe­dingt decken. »Die Bau­kunst ist durch den Archi­tek­ten zur gra­phi­schen Kunst her­ab­ge­sun­ken«, schreibt Loos 1909. »Nicht der erhält die meis­ten Auf­trä­ge, der am bes­ten bau­en kann, son­dern der, des­sen Arbei­ten sich auf dem Papier am bes­ten aus­neh­men. Der bes­te Zeich­ner kann ein schlech­ter Archi­tekt, der bes­te Archi­tekt ein schlech­ter Zeich­ner sein. Heu­te aber herrscht der flot­te Dar­stel­ler.« Wie gesagt: geschrie­ben 1909. Sind die­se Wor­te heu­te ungül­tig? Ich mei­ne, sie sind heu­te gül­ti­ger denn je ange­sichts der Über­flu­tung von ren­de­ring-über­frach­te­ten Hoch­glanz­plä­nen, aus deren zeich­ne­ri­scher Raf­fi­nes­se man sich nicht sel­ten die eigent­li­che archi­tek­to­ni­sche Idee (sofern eine da ist) erst müh­sam her­aus­klau­ben muß. »Das Kri­te­ri­um eines echt emp­fun­de­nen Bau­wer­kes ist«, so Loos wei­ter, »dass es wir­kungs­los in der Flä­che (das heißt: wir­kungs­los in der Zeich­nung) bleibt«. Könn­te ich zum Bei­spiel den Palaz­zo Pit­ti (die­sen star­ken archi­tek­to­ni­schen Bau) aus dem Gedächt­nis der Archi­tek­ten löschen und gezeich­net als Wett­be­werbs­bei­trag ein­rei­chen – die Preis­rich­ter wür­den mich (wegen der schein­ba­ren Lang­wei­le der Fas­sa­den) in ein Irren­haus sperren.«

Die­se sei­ne Tex­te in ihrer bloß­stel­len­den Scho­nungs­lo­sig­keit gegen jede Gesin­nungs­träg­heit lie­ßen Loos – unter sei­nes­glei­chen – immer unbe­lieb­ter wer­den, ein Unbe­liebt­sein, das aber doch beweist, dass er mit der Nest­be­schmut­zung, die man ihm vor­warf, an den Kern des Wah­ren vor­ge­sto­ßen war. Ist das Nest­be­schmut­zung, wenn man sich abmüht, den Stall sau­ber­zu­hal­ten, also hin­se­hen statt weg­schau­en? Loos hat nicht weg­ge­schaut; er hat hin­ge­se­hen durch einen scharf gestell­ten Fokus; er hat sei­nen Kopf gebraucht und er hat ihn hingehalten.

Die Mit­glie­der des Deut­schen Werk­bun­des, die dama­li­ge crè­me de la crè­me der Archi­tek­tur, eben van de Vel­de, Josef Hoff­mann, Peter Beh­rens, Muthe­si­us, Fritz Schu­ma­cher, Theo­dor Fischer ver­un­glimpft er, bezie­hungs­wei­se deren Tun ver­un­glimpft er 1908 als das Tun der Über­flüs­si­gen. In dem gleich­na­mi­gen Text heißt es: »Nun haben sie sich wie­der zusam­men­ge­fun­den und haben getagt. Sie haben unse­rer Indus­trie und unse­ren Hand­wer­kern erzählt, wie wich­tig sie sind. Um ihre Exis­tenz zu recht­fer­ti­gen, erzäh­len sie, dass sie Kunst in das Hand­werk brin­gen müß­ten. Das konn­te der Hand­wer­ker näm­lich nicht, dazu war er viel zu modern. Alle Gewer­be, die bis­her die­se Kunst aus ihrer Werk­statt fern­zu­hal­ten wuß­ten, reprä­sen­tie­ren den Stil unse­rer Zeit. Sie sind so im Stil unse­rer Zeit, dass wir sie gar nicht als stil­voll emp­fin­den. Sie sind mit unse­rem Den­ken und Emp­fin­den ver­wach­sen. Unser Wagen­bau (heu­te wür­de es wohl eher hei­ßen: unser Auto­bau), unse­re Glä­ser, unse­re Schir­me und Stö­cke, unse­re Kof­fer und Satt­ler­wa­ren, unse­re sil­ber­nen Ziga­ret­ten­ta­schen und Schmuck­stü­cke, unse­re Juwe­len und Klei­der sind modern. Sie sind es, weil noch kein Unbe­ru­fe­ner sich als Vor­mund in die­sen Werk­stät­ten auf­zu­spie­len ver­such­te. Und das tun jetzt«, so Loos, »die Überflüssigen.«