Die Angst vor den Dingen

Die Ursa­chen für die­se sich durch die Geschich­te zie­hen­de Ableh­nung des »Über­flüs­si­gen« sind viel­fäl­tig und wur­den zum Teil bereits her­aus­ge­ar­bei­tet. Micha­el Mül­ler wies in »Die Ver­drän­gung des Orna­ments« auf die pro­tes­tan­ti­sche »Lust­feind­lich­keit« moder­ner Gestal­ter hin[7], Chris­ti­an Demand ver­or­tet die Mora­li­sie­rung der Din­ge »[i]m geis­tes­ge­schicht­li­chen Echo­raum der idea­lis­ti­schen Ästhe­tik« und macht dar­auf auf­merk­sam, dass die für die Beschrei­bung von Objek­ten genutz­ten Adjek­ti­ve deckungs­gleich mit der Beschrei­bung des idea­len bür­ger­li­chen Indi­vi­du­ums sind: »Gute« Objek­te sind ehr­lich, unprä­ten­ti­ös, vor­nehm, zurück­hal­tend und auf­rich­tig.[8]

Die der­art ver­mensch­li­chen­de Cha­rak­te­ri­sie­rung deu­tet auf eine wei­te­re Ursa­che der mora­li­sie­ren­den Grenz­zie­hung zwi­schen guten und bösen Din­gen hin. Die Erkennt­nis, dass eine ande­re Gren­ze deut­lich weni­ger trenn­scharf gezo­gen wer­den kann: die Gren­ze zwi­schen Men­schen und Dingen.

Was seit weni­gen Deka­den dank Bru­no Latour und der Popu­la­ri­sie­rung der Akteur-Netz­werk-Theo­rie in den Köp­fen und Tex­ten der Wis­sen­schaft­ler ange­kom­men ist[9], zieht sich seit mehr als einem Jahr­hun­dert durch die Mani­fes­te, Selbst­zeug­nis­se und Selbst­ver­mark­tung von Gestal­ter. Sie pro­kla­mie­ren, durch Gestal­tung den Cha­rak­ter der Men­schen, die Gesell­schaft und letzt­lich die Welt ver­bes­sern zu kön­nen und zu wol­len, denn sie wuss­ten: Din­ge sind nicht pas­siv, sie beein­flus­sen uns.

Der Desi­gner als Ding-Bezwinger

Die­ses Wis­sen nut­zen die Gestal­ter um ihre eige­ne Bedeu­tung aber auch Ver­ant­wor­tung zu unter­strei­chen. Sie schür­ten – unter­stützt von gleich­ge­sinn­ten Lebens­re­for­mern, Wohn­be­ra­tern, Tisch­lern und Archi­tek­ten – die Angst vor den »bösen« Din­gen, indem sie erklär­ten, dass sel­bi­ge den Cha­rak­ter nega­tiv beein­flus­sen wür­den.[10] Selbst­los boten sie im glei­chen Zuge Ret­tung an: Sie ver­spra­chen, die Din­ge auf ihren Platz zurück zu ver­wei­sen, auf den ihnen zuge­dach­ten Platz des »stum­men Die­ners«. Ein »gutes« Objekt war stets ein folg­sa­mes Objekt. Beson­ders evi­dent wird dies in Die­ter Rams’ The­sen zum »guten Design«. Der durch sei­ne Ent­wür­fe für die Fir­ma »Braun« bekannt gewor­de­ne Desi­gner ent­wi­ckel­te sie, weil er sich »[i]n den spä­ten 1970er Jah­ren […] zuneh­mend Sor­gen um den Zustand der Welt« mach­te. In die­sen The­sen unter­streicht er zunächst die Trag­wei­te von Design­ent­schei­dun­gen: »Gerä­te, die man täg­lich benutzt«, so Rams’ Auf­fas­sung, »prä­gen das per­sön­li­che Umfeld und beein­flus­sen das Wohl­be­fin­den.« Es folgt die Auf­klä­rung über die zur Iden­ti­fi­ka­ti­on der mora­lisch ein­wand­frei­en Objek­ten not­wen­di­gen Kri­te­ri­en: »Gutes Design ist unauf­dring­lich« und läßt »dem Men­schen Raum zur Selbst­ver­wirk­li­chung«. Es ist »ehr­lich« und »ver­sucht nicht, den Ver­brau­cher durch Ver­spre­chen zu mani­pu­lie­ren«. Rams schließt das Mani­fest mit den Wor­ten: »Gutes Design ist sowe­nig Design wie mög­lich« und gelobt, die Ver­brau­cher »[z]urück zum Puren, zum Ein­fa­chen« zu füh­ren.[11] Wer wür­de einem der­art beschei­de­nen und umsich­ti­gen Mann und den von ihm gestal­te­ten Objek­ten nicht vertrauen?
Tat­säch­lich ist es ist erstaun­lich, wie es Rams – Gro­pi­us gleich – gelingt, unter­schied­li­che Grup­pen für die Mis­si­on »gute Form« zu gewin­nen[12], reak­tio­nä­re Anhän­ger bür­ger­li­cher Wer­te eben­so wie sozia­lis­ti­sche Kapi­ta­lis­mus­kri­ti­ker und tech­nik­af­fi­ne Opti­mis­ten.[13] Rams’ (wie­der­um in einer lan­gen Tra­di­ti­on ste­hen­den) The­sen fin­den sich in leicht abge­wan­del­ter Form im »Manufactum«-Katalog – »Es gibt sie noch, die guten Din­ge« –, und sie hin­gen sicher­lich auch bei Apple an der Wand.[14]

Böse Bedürf­nis­se oder unmensch­li­che Designer?

Die Kehr­sei­te einer kon­se­quen­ten Zäh­mung der Din­ge zu »stum­men Die­nern« sind Ein­sam­keit und Lan­ge­wei­le. Die über die Din­ge Herr­schen­den sind zu Mono­lo­gen gezwun­gen und müs­sen jede Inter­ak­ti­on selbst initi­ie­ren. Eini­gen Men­schen gefällt das. Ande­re bevor­zu­gen dia­lo­gi­sche Situa­tio­nen oder wol­len gar unter­hal­ten wer­den. Ent­spre­chend klein war und ist die Grup­pe der­je­ni­gen, die es vor­zie­hen, sich mit »guten« Din­gen zu umge­ben. Der Groß­teil der Bevöl­ke­rung ließ sich von den Paro­len der sich als Ret­ter insze­nie­ren­den Gestal­ter nicht beein­flus­sen und umgab sich statt­des­sen mit Gel­sen­kir­che­ner Barock und ähn­li­chen angeb­lich cha­rak­ter­ge­fähr­den­den Ein­rich­tun­gen. Dabei läßt sich kei­nes­wegs eine Kor­re­la­ti­on zwi­schen Intel­lekt und Inte­ri­eur­vor­lie­ben fest­stel­len. Der all­ge­mein als dif­fe­ren­ziert den­ken­der und gebil­de­ter Mensch aner­kann­te Theo­dor W. Ador­no etwa schlug sich eben­falls auf die Sei­te der »bösen« Din­ge.[15] Gleich­set­zung von zwei­fel­haf­tem Geschmack und nie­de­rer Gesin­nung«: Demand, Chris­ti­an: Mora­li­sche Anstal­ten. In: Mer­kur, Jg.70, Heft 802, 2016, S. 41—48, hier S. 41.] Er beschul­dig­te die Sach­lich­keit pre­di­gen­den Gestal­ter »des bar­ba­ri­schen Zugriffs« und for­der­te sie auf, »nicht län­ger den Men­schen, deren Bedürf­nis sie zu ihrem Maß­stab erklär[en], durch spit­ze Kan­ten, karg kal­ku­lier­te Zim­mer, Trep­pen und Ähn­li­ches, sadis­ti­sche Stö­ße [zu] versetz[en].«[16]

  1. [7] Mül­ler, Micha­el: Die Ver­drän­gung des Orna­ments. Zum Ver­hält­nis von Archi­tek­tur und Lebens­pra­xis. Frank­furt am Main 1977. 
  2. [8] vgl. Demand, Chris­ti­an: Meta­kunst­ge­werb­li­ches Pur­ga­to­ri­um, ers­te Lie­fe­rung. In: Mer­kur, Jg.66, Heft 762, 2012, S. 1035—1039, hier S. 1035. Vgl. ähn­lich Ull­rich, Wolf­gang: Alles nur Kon­sum. Zur Kri­tik der waren­äs­the­ti­schen Erzie­hung. Ber­lin 2013. S. 8 f. 
  3. [9] Weit frü­her hat­te bereits Georg Sim­mel in sei­nem Text zum »Hen­kel« und Mar­tin Heid­eg­ger im Zusam­men­hang des »Zeug«-Begriffs ähn­li­che Gedan­ken wie Latour for­mu­liert. Es drängt sich die Fra­ge auf, ob Latour den von ihm her­aus­ge­ar­bei­te­ten »Cycle of Cre­di­bi­li­ty« nicht nur beschrie­ben, son­dern auch gleich erfolg­reich erprobt hat. 
  4. [10] vgl. zur angeb­lich moral­he­ben­den Wir­kung »gut« gestal­te­ter Rekla­me u. a. Saa­ger, Adolf: Die Kul­tur­mis­si­on der Rekla­me. Die Brü­cke. Mün­chen 1912, sowie die dama­li­gen Fach­zeit­schrif­ten, etwa »Gebrauchs­gra­phik« und »Typo­gra­phi­sche Mit­tei­lun­gen«. Mit Blick auf das Woh­nen u. a. Mans­ke, Bea­te: Wie Woh­nen – von Lust und Qual der rich­ti­gen Wahl. Ästhe­ti­sche Bil­dung in der All­tags­kul­tur des 20. Jahr­hun­derts. Ost­fil­dern-Ruit 2004. 
  5. [11] https://www.vitsoe.com/de/ueber-vitsoe/gutes-design (7.9.2017).
  6. [12] Die Her­aus­stel­lung von Rams’ Per­son erfolgt als augen­zwin­kern­de Bezug­nah­me auf die Selbst­dar­stel­lung eini­ger Desi­gner und die die­se Selbst­dar­stel­lung oft­mals über­neh­men­de Schreib­wei­se der Design­ge­schich­te. Aus den vor­an­ste­hen­den Absät­zen geht her­vor, dass Rams kein Allein­gän­ger war, son­dern in einer lan­gen Tra­di­ti­on steht. 
  7. [13] vgl. bei­spiels­wei­se Wolf­gang Fritz Haugs Dämo­ni­sie­rung des Modi­schen in: ders: Kri­tik der Waren­äs­the­tik. Frank­furt am Main 1971. 
  8. [14] Die ästhe­ti­sche Nähe zwi­schen Rams’ Taschen­ra­dio T3 und dem iPod, sowie dem auf frü­he­ren Apple-Rech­nern vor­in­stal­lier­ten skeu­omor­phis­ti­schen Taschen­rech­ner und dem von Rams und Diet­rich Lubs ent­wor­fe­nen ET66 sowie zahl­rei­chen wei­te­ren Pro­duk­ten wird vie­ler­orts her­auf­be­schwo­ren, vgl. u. a. https://www.cultofmac.com/188753/the-braun-products-that-inspired-apples-iconic-designs-gallery/ (23.8.2017). Die­ter Rams bestä­tigt »die Ähn­lich­keit in der grund­sätz­li­chen Phi­lo­so­phie: der selbst­er­klä­ren­den Schlicht­heit des Designs.« http://www.faz.net/aktuell/technik-motor/digital/designer-dieter-rams-im-gespraech-braun-hat-apple-angeregt-ein-kompliment-1981324.html (23.8.2017).
  9. [15] Besu­cher waren aller­dings regel­mä­ßig ent­setzt über das Aus­maß des sich in Ador­nos Woh­nung befind­li­chen Nip­pes, der lie­be­voll gerahmt oder auf Spit­zen­deck­chen arran­giert wur­de. (Mein Dank für die­se Anek­do­te gilt Bern­hard Uske.) Vgl. zur »umstandslose[n
  10. [16] Ador­no, Theo­dor W.: Funk­tio­na­lis­mus heu­te. Vor­trag auf der Tagung des Deut­schen Werk­bun­des, Ber­lin, 23. Okto­ber 1965. Erst­ver­öf­fent­li­chung: Neue Rund­schau, 77. Jahr­gang, 4. Heft, 1966. Wie­der­ab­ge­druckt in: Ador­no, Theo­dor W.: Ohne Leit­bild – Par­va Aes­the­ti­ca. Frank­furt am Main 1967 sowie in: Fischer, Vol­ker ; Hamil­ton, Anne (Hg.): Theo­rien der Gestal­tung. Grund­la­gen­tex­te zum Design. Bd. 1. Frank­furt am Main 1999. S. 198—211, hier S. 202.