Das lei­tet über zur Inter­pre­ta­ti­on der Affek­te in der Renais­sance. Auf­ga­be der Rhe­to­rik ist es, Ver­stand und Vor­stel­lung mit­ein­an­der zu ver­bin­den, wie Fran­cis Bacon for­mu­liert, »zum bes­se­ren Antrieb des Wil­lens«, die Kom­bi­na­ti­on soll inso­fern zur Antriebs­kraft des Indi­vi­du­ums wer­den. In der Zeit der Refor­ma­ti­on erfah­ren Affek­te wie Furcht, Freu­de und Hoff­nung bei Luther eine Auf­wer­tung als Weg zum reli­giö­sen Her­zens­ver­ständ­nis. In der Epo­che des Barock wird in Rhe­to­ri­ken ver­sucht, die Affekt­er­re­gung mit rhe­to­ri­schen Figu­ren zu ver­bin­den. Seit der Auf­klä­rung und im 19. Jahr­hun­dert wirkt Kants Rhe­to­rik­ver­dikt, die Affek­te sei­en »Maschi­nen der Über­re­dung« und dien­ten dazu, die Zuhö­rer zu über­lis­ten. In der For­schung wird vom Ver­fall der Rhe­to­rik gespro­chen. In der Neu­zeit wird die Behand­lung der Affek­te zur Auf­ga­be der Psy­cho­lo­gie.[13]

In der gesam­ten his­to­ri­schen Ent­wick­lung hat­te die Affek­ten­leh­re Ein­fluss auf ande­re Berei­che, etwa auf die Poe­tik, auf die Schau­spiel­theo­rie und auf die Musik. So kom­po­nier­te John Dow­land Anfang des 17. Jahr­hun­derts sei­ne Pava­nen »Seven Tears«, sie­ben Trä­nen, mit denen er zei­gen woll­te, das Trä­nen aus unter­schied­li­chen Affekt­la­gen resul­tie­ren können.

In der Schau­spiel­theo­rie wur­de immer wie­der die Fra­ge dis­ku­tiert, inwie­weit ein Schau­spie­ler die Gefüh­le, die er beim Zuschau­er her­vor­ru­fen möch­te, selbst wirk­lich füh­len muss.

In der neue­ren psy­cho­lo­gi­schen For­schung ist die Ver­bin­dung zu den Aus­sa­gen der rhe­to­ri­schen Affek­ten­leh­re offen­kun­dig. In Ver­bin­dung mit der Schau­spiel­theo­rie liegt es nahe, auf die soge­nann­ten »Spie­gel­neu­ro­nen« ein­zu­ge­hen. Spie­gel­neu­ro­nen wur­den ursprüng­lich beim Affen ent­deckt, befin­den sich beim Men­schen anschei­nend auf der äuße­ren Ober­flä­che der Stirn- und Scheitel­lap­pen, so klä­ren uns die Neu­ro­psy­cho­lo­gen auf.

Der ursprüng­li­che Ver­such des Psy­cho­lo­gen Gia­co­mo Riz­zo­lat­ti: Bei einem Affen, der etwas isst, sind – grob gesagt – die glei­chen Hirn­zel­len aktiv wie bei einem zwei­ten Affen, der nur pas­siv zusieht. Des­sen Hirn­zel­len, eben Spie­gel­neu­ro­nen spie­geln das beob­ach­te­te Ver­hal­ten in der Ein­bil­dung wie real emp­fun­den wie­der. Das Vor­han­den­sein die­ser Spie­gel­neu­ro­nen wird als Grund­la­ge von Empa­thie betrach­tet. Im Prin­zip wird jener Satz der rhe­to­ri­schen Affek­ten­leh­re damit unter­stri­chen, dass Gefüh­le, die beim Zuhö­rer her­vor­ge­ru­fen wer­den sol­len, zunächst vom Vor­tra­gen­den selbst emp­fun­den wer­den müssen.

In ähn­li­cher Wei­se wird die rhe­to­ri­sche Erkennt­nis, dass Über­zeu­gung nicht rein ratio­nal, son­dern auch durch Emo­tio­nen ver­mit­telt wird, von vie­len Unter­su­chun­gen unter­stützt. In der neu­ro­psy­cho­lo­gi­schen For­schung wird u. a. von Oli­ver Sacks, dem bekann­ten ame­ri­ka­ni­schen Psy­cho­lo­gen, dar­auf hin­ge­wie­sen, dass Per­so­nen, die eine Läsi­on im Bereich des Gehirns hat­ten, der eher den Emo­tio­nen zuge­ord­net ist, zwar ratio­nal Schlüs­se zie­hen kön­nen, jedoch nahe­zu ent­schei­dungs­un­fä­hig sei­en. Anto­nio Dama­sio, der mitt­ler­wei­le eine Art Guru der Neu­ro­psy­cho­lo­gen ist, schließt dar­aus: »Man­gel an Gefüh­len kann eine genau­so wich­ti­ge Ursa­che für irra­tio­na­les Ver­hal­ten sein. Die nicht unmit­tel­bar ein­leuch­ten­de Ver­bin­dung zwi­schen feh­len­der Emo­tio­na­li­tät und gestör­tem Ver­hal­ten könn­te uns etwas über die bio­lo­gi­schen Mecha­nis­men des Den­kens mit­tei­len.«[14]

Und wenn wir auf die Affek­te schau­en, die Aris­to­te­les nann­te, so fin­den wir eini­ge davon modi­fi­ziert in den soge­nann­ten basis­emo­tio­na­len Steue­rungs­sys­te­men wie­der, qua­si als »Schalt­krei­se«, die Sti­mu­li der ver­schie­de­nen Sin­nes­or­ga­ne zu erkenn­ba­ren Objek­ten zusam­men set­zen und uns sagen »wie wir ange­sichts der inne­ren und äuße­ren Situa­ti­on füh­len«. Als sol­che Sys­te­me wer­den z. B. benannt: Such(Lust), Ärger – Wut, Furcht, Panik.[15]

Es ist zu erken­nen: Vie­le der Erkennt­nis­se der Rhe­to­rik, die immer eine auf Empi­rie basie­ren­de Leh­re war, wer­den durch neue­re wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se bestä­tigt, oder umge­kehrt gesagt, vie­les, was uns von den neu­en Wis­sen­schaf­ten prä­sen­tiert wird, fin­det sich bereits in der lan­gen Tra­di­ti­on der Rhe­to­rik mit ihrem zen­tra­len Teil der Affek­ten­leh­re wie­der. Jede Epo­che for­dert aller­dings eine ande­re wis­sen­schaft­li­che Begrün­dungs­form; oder wie Solms und Turn­bull, eben­falls zwei Neu­ro­psy­cho­lo­gen schrei­ben, man kön­ne den psy­chi­schen Appa­rat unter zwei ver­schie­de­nen Gesichts­punk­ten betrach­ten: »Wenn wir ›nach innen‹ schau­en, gewin­nen wir einen sub­jek­ti­ven Ein­druck von unse­rem See­len­le­ben, und dies ist die Metho­de, deren sich die Psy­cho­ana­ly­se bedient. Das kör­per­li­che Organ, das Gehirn, ermög­licht eine zwei­te Betrach­tungs­wei­se – eine ›objek­ti­ve‹ Per­spek­ti­ve –, eine Sicht auf die Psy­che als Gegen­stand: so sieht unser Geist aus, wenn wir ihn von außen betrach­ten.«[16]

Die drit­te, so wäre viel­leicht hin­zu­zu­fü­gen, ist die auf empi­ri­scher For­schung basier­te. So gese­hen soll­ten Ergeb­nis­se aller Metho­den im Zusam­men­hang dis­ku­tiert wer­den – und das soll­te dazu ver­an­las­sen, an die tra­dier­te Rhe­to­rik anzu­knüp­fen. Nicht ohne Grund sprach der Alt­bun­des­prä­si­dent Roman Her­zog vom der »älteste[n] Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft der Welt« – bei einer Jubi­lä­ums­fei­er der Uni­ver­si­tät Tübin­gen anläss­lich von 500 Jah­ren Rhe­to­rik an die­ser Hoch­schu­le und dem 30-jäh­ri­gen Bestehens des Lehr­stuhls für all­ge­mei­ne Rhe­to­rik dort. Die­ses Spek­trum bestimmt das Pro­gramm des Sym­po­si­ons »Affek­te und ihre Wir­kung« in Kiel:

Symposion