6 Ethos, Pathos und Logos

Die Rhe­to­rik hat ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dell ent­wi­ckelt, das uns hilft, die­se ange­führ­ten Zusam­men­hän­ge zu ver­ste­hen. Ein kom­mu­ni­ka­ti­ver Akt kann dem­nach Fol­gen­des erreichen:

• Wir­kung: Die Wir­kung auf die Rezi­pi­en­ten erfolgt gesteu­ert, gemäß der Wirkungsabsicht.
• Per­sua­si­on (Über­zeu­gung): Die Rezi­pi­en­ten wer­den durch die Argu­men­te und durch deren Dar­bie­tung überzeugt.
• Ver­hal­tens­än­de­rung: Die Rezi­pi­en­ten wer­den zu ande­ren Ein­stel­lun­gen und Hand­lun­gen gebracht.

Wie kön­nen Wir­kung, Per­sua­si­on, Ver­hal­tens­än­de­run­gen her­vor­ge­ru­fen und ange­steu­ert wer­den? Es gibt gleich­sam »drei Knöp­fe«, auf die mit einem kom­mu­ni­ka­ti­ven Akt gedrückt wer­den kann: Ethos, Pathos und Logos. Ein Ethos-Appell wen­det sich an das mora­li­sche Emp­fin­den, wirbt mit den Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten des Sen­ders, der Glaub­wür­dig­keit des Spre­chers oder eines Pro­duk­tes. Der Pathos-Appell wen­det sich an die Emo­ti­on, erregt Affek­te, weckt Gefüh­le. Der Logos-Appell wen­det sich an den Intel­lekt, wirbt mit Ver­nunft­grün­den, mit ratio­na­len, mit Sach­ar­gu­men­ten. Folgt man Aris­to­te­les’ Aus­füh­run­gen zur Rhe­to­rik, dann haben die Appel­le an Ethos und Pathos eine die­nen­de Funk­ti­on, sie sol­len die Her­zen der Men­schen öff­nen für sach­li­che Argu­men­te. So wirk­mäch­tig sie kurz­fris­tig sein kön­nen – nur wenn die Appel­le an Ethos und Pathos sich in den Dienst des Logos stell­ten, ent­ste­he dau­er­haft Wahrhaftigkeit.

Mit die­sem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mo­dell kön­nen wir »böse Rhe­to­rik« von »guter« abgren­zen: Wird in der poli­ti­schen Rhe­to­rik dau­er­haft und gar aus­schließ­lich an Ethos und Pathos appel­liert, nicht aber auch an den Logos, dann wird nicht mehr legi­tim mit Argu­men­ten für Über­zeu­gun­gen gewor­ben, son­dern Pro­pa­gan­da und Dem­ago­gie betrie­ben. Das »Post­fak­ti­sche« ist dadurch gekenn­zeich­net, das Pathos und Ethos nicht mehr als Tür­öff­ner für den Logos die­nen, son­dern als Selbst­zweck: Sie wer­den abge­trennt vom Logos. Dies funk­tio­niert dann beson­ders gut, wenn wir uns der Anstren­gung des Logos nicht mehr unter­zie­hen wol­len, wenn wir uns begnü­gen mit gefühl­ten Wahr­hei­ten, mit Affekt­er­re­gung als Selbstzweck.

Eini­ge wei­te­re Kenn­zei­chen »post­fak­ti­scher« Zei­ten und Kenn­zei­chen für Dem­ago­gie sei­en ange­führt, deren Auf­kom­men und Wach­sen wir der­zeit in den west­li­chen Demo­kra­tien beob­ach­ten können:
a) Ein Ver­ächt­lich­ma­chen der Poli­tik, der Demo­kra­tie, der poli­ti­schen Klas­se; wenn solch Ton das Reden über Demo­kra­tie, Poli­ti­ker und Staat bestimmt, nimmt unse­re Staats­ord­nung selbst zuneh­mend Schaden.
b) Ein Ver­ächt­lich­ma­chen der soge­nann­ten vier­ten Gewalt, der Medi­en und der Jour­na­lis­ten; wird kri­ti­sche Bericht­erstat­tung als »Lügen­pres­se« dis­kre­di­tiert, sei es auf der Stra­ße, in soge­nann­ten sozia­len Netz­wer­ken oder gar durch demo­kra­tisch gewähl­te Abge­ord­ne­te oder Amts­trä­ger, dann wird ein kon­sti­tu­ti­ves Moment demo­kra­ti­scher Staats­we­sen angegriffen.
c) Ein Ver­ächt­lich­ma­chen von Eli­ten und Intel­lek­tu­el­len; wenn Tei­le der Gesell­schaft »Gebil­de­te« als »Fein­de des Vol­kes« anse­hen, wenn poli­ti­sche und all­ge­mei­ne Un- oder Halb­bil­dung als schick gilt, läuft eine Gesell­schaft Gefahr, ihre kri­ti­sche Kom­pe­tenz links lie­gen zu lassen.
d) Eine Prä­fe­renz für eine »Stim­mungs­de­mo­kra­tie«, die – wie »gefühl­te Tem­pe­ra­tur« beim Wet­ter – mit »gefühl­ten Wahr­hei­ten« in Debat­ten operiert.
e) Dies hängt zusam­men mit dem Her­ab­set­zen und Ver­wäs­sern des Begrif­fes »Wahr­heit« und mit einer dar­auf grün­den­den Rela­ti­vie­rung von Tat­sa­chen. so dass nicht mehr der Wahr­heits­ge­halt eines Sat­zes gilt, also dass das Gesag­te mit den Tat­sa­chen über­ein­stimmt. Dann obsie­gen in Debat­ten »alter­na­ti­ve Fak­ten« sogar dann, wenn sie wider­legt wor­den sind. Der Begriff der Wahr­heit wur­de z. B. in der Post­mo­der­ne-Debat­te aus­ge­höhlt, was ange­sichts der phi­lo­so­phi­schen Kom­ple­xi­tät des Wahr­heits­be­grif­fes sei­ne Berech­ti­gung haben mag. Für den Dis­kurs in Demo­kra­tien ist die­se Auf­lö­sung aber fatal (man den­ke nur, wie oben geschil­dert, als ein Bei­spiel an das Gerichts­we­sen). Des­halb plä­die­re ich für eine Unter­schei­dung zwi­schen einem phi­lo­so­phi­schen und einem all­tags­taug­li­chen Wahr­heits­be­griff, der einer Aus­sa­ge dann für wahr hält, wenn sie mit den Tat­sa­chen übereinstimmt.
f) Eine plat­te Sim­pli­fi­zie­rung kom­ple­xer Sach­ver­hal­te, die – im Gegen­satz zu einer sinn­voll-klä­ren­den Ver­ein­fa­chung im Sin­ne einer Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on – nicht mehr der Klä­rung, son­dern der Ver­klä­rung dient und Halb­wahr­hei­ten verbreitet.
g) Eine gerin­ge poli­ti­sche Bil­dung und gene­rell eine gerin­ge All­ge­mein­bil­dung sind idea­le Vor­aus­set­zun­gen, dass poli­ti­sche Rat­ten­fän­ger leich­tes Spiel haben.
h) Ein Man­gel an kri­ti­schem Den­ken begüns­tigt die Ver­brei­tung von Un- und Halb­wahr­hei­ten, Kli­schees, Vor­ur­tei­len, Het­ze usw. Zum kri­ti­schen Den­ken gehört, eige­ne Argu­men­ta­tio­nen und die der ande­ren kri­tisch zu hin­ter­fra­gen. Dabei spie­len Prüf­fra­gen eine Rol­le wie: Stimmt das? Auf wel­che Quel­le nimmt eine Tat­sa­chen­be­haup­tung Bezug? cui bono – wem nützt die­se Behaup­tung, wel­che Inter­es­sen ste­cken hin­ter einem Argu­ment? Wel­che Vor­aus­set­zun­gen mache ich, machen wir, wenn ich, wenn wir die­se Gedan­ken akzeptieren?

Aus die­ser – selbst­ver­ständ­lich nicht umfas­sen­den – Auf­zäh­lung las­sen sich Vor­schlä­ge ablei­ten, wie gegen Dem­ago­gie, »alter­na­ti­ve Fak­ten« und ähn­li­che Phä­no­me­ne vor­ge­gan­gen wer­den kann:
• Aus rhe­to­ri­scher Sicht sind Wahr­haf­tig­keit und Red­lich­keit höchst­be­deut­sa­me poli­ti­sche Tugen­den. Wer­den sie in einer Demo­kra­tie nicht gelebt, geht Ver­trau­en ver­lo­ren und damit die bes­te Immun­the­ra­pie gegen Dem­ago­gie. Folg­lich soll­ten poli­ti­sche Akteu­re strikt dar­auf ach­ten, dass Dis­kur­se red­lich geführt werden.
• Wahr­haf­tig­keit ent­steht nicht aus der star­ren Über­zeu­gung, man selbst habe die Wahr­heit gepach­tet, son­dern aus der Bereit­schaft, für mög­lich zu hal­ten, dass man selbst irren kann und das ande­re beden­kens­wer­te Argu­men­te haben kön­nen. Dies gilt nicht allein für die Akteu­re im poli­ti­schen Geschäft, son­dern für jeden mün­di­gen Staatsbürger.
• Red­lich­keit und Wahr­haf­tig­keit set­zen vor­aus, dass man Kri­tik an ande­ren und an sich selbst zu üben weiß, also glei­cher­ma­ßen in kri­ti­schem Den­ken und im Argu­men­tie­ren geübt ist. Zu den Ver­mitt­lungs­in­stan­zen sol­cher Kom­pe­ten­zen zäh­len Schu­len, Hoch­schu­len und Ein­rich­tun­gen der Erwach­se­nen­bil­dung, sie sind gefordert.
• Poli­tisch und all­ge­mein gebil­det zu sein, bie­tet kei­nen abso­lu­ten Schutz davor, auf poli­ti­sche Rat­ten­fän­gern her­ein­zu­fal­len; unge­bil­det zu sein, hilft aber wohl noch weni­ger dage­gen. Zu einer zeit­ge­mä­ßen Bil­dung gehört ein gerüt­tel­tes Maß an Medi­en­kom­pe­tenz, denn die Medi­en fun­gie­ren sowohl als Auf­klä­rungs- wie auch als Ver­klä­rungs­in­stru­men­te. Zu einer zeit­ge­mä­ßen Bil­dung könn­te im Übri­gen auch gehö­ren, das Unzeit­ge­mä­ße wertzuschätzen …

7 Gestal­tung und Wahlkampf

Die obi­gen Aus­füh­run­gen sol­len als Grund­la­ge die­nen und mit­be­dacht wer­den bei fol­gen­der Ana­ly­se von Bei­trä­gen, die Desi­gner zur poli­ti­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on und der Gestal­tung von Wahl­kampf­me­di­en leis­ten. In die­sem Essay beschrän­ke ich mich dabei auf Aspek­te des Cor­po­ra­te Designs, näm­lich auf die Bestim­mung von »Haus­far­ben« im Rah­men eines Cor­po­ra­te Designs. Die Gestal­tungs­richt­li­ni­en der Par­tei­en ent­wi­ckeln Gestal­ter und Agen­tu­ren inzwi­schen mit der glei­chen Pro­fes­sio­na­li­tät, wie sie das für Unter­neh­men oder öffent­li­che Insti­tu­tio­nen tun – und dazu gehört auch, den Par­tei­en für die Gestal­tung ihrer Medi­en defi­nier­te Far­ben zuzu­wei­sen und deren Ein­satz in unter­schied­li­chen Ver­wen­dungs­si­tua­tio­nen zu regeln. Als Quel­len für die­se Ana­ly­se die­nen mir soge­nann­te »Design­ma­nu­als« oder »Gestal­tungs­richt­li­ni­en«, die Par­tei­en in den zurück­lie­gen­den Land­tags­wah­len und der letz­ten Bun­des­tags­wahl ange­wandt haben.[8]

Abbildung 1

Abbil­dung 1

Die­se Abbil­dung (Abb. 1) zeigt die Far­ben, die sie­ben ver­schie­de­ne poli­ti­sche Par­tei­en in Deutsch­land in den letz­ten Wahl­kämp­fen nutz­ten; geord­net sind die Far­ben nach farb­li­cher Abstu­fung. Zeigt man Pro­ban­den die­se Farb­ta­fel und fragt, wel­che Far­ben sie als Haus­far­ben einer Par­tei zuwei­sen kön­nen, bleibt den meis­ten Test­per­so­nen nur, zu raten; die Tref­fer­quo­te ist in der Regel gering.

Abbildung 2

Abbil­dung 2

Die­se Abbil­dung (Abb. 2) ord­net in Zei­len, num­me­riert von 1 bis 7, die Haus­far­ben von jeweils einer deut­schen Par­tei in einer Zei­le. Links ste­hen, soweit defi­niert, die Haupt­far­ben, rechts wei­te­re, in der Gestal­tungs­richt­li­nie der betref­fen­den Par­tei ange­führ­te Far­ben. Fol­gen­de Fra­ge stell­te ich unter­schied­li­chen Test­grup­pen: »Kön­nen Sie den Zei­len Par­tei­en zuord­nen?« Sol­che Tests konn­te ich nicht in aus­rei­chen­der Zahl mit reprä­sen­ta­tiv aus­ge­wähl­ten Pro­ban­den durch­füh­ren, inso­fern lässt sich auch kei­ne belast­ba­re Aus­wer­tung vor­le­gen. Als ers­ter Ein­druck schien mir die Tref­fer­quo­te bei der Zuord­nung nicht und nicht allein vom Aus­maß poli­ti­scher Bil­dung abhän­gen. Gestal­te­ri­sche Schu­lung hin­ge­gen scheint einen gewis­sen Vor­teil zur Lösung die­ser Auf­ga­be zu ver­schaf­fen. Zudem fes­tig­te sich der Ein­druck, dass die Zuord­nung der Haus­far­ben zu der rich­ti­gen Par­tei rela­tiv schwerfällt.