Das ist natür­lich nicht falsch, aber doch der Anlaß für eine wei­te­re kri­ti­sche Fuß­no­te, die ich mir nicht ent­ge­hen las­sen möch­te, und die am Begriff des Sche­mas ansetzt. Auch wenn damit eine sozu­sa­gen didak­ti­sche Ver­ein­fa­chung, ein Her­aus­ar­bei­ten von typi­schen Merk­ma­len gemeint ist, so trennt das Sche­ma (eben auf sche­ma­ti­sche Wei­se), was nach rhe­to­ri­scher Über­zeu­gung spä­tes­tens, wie uns erin­ner­lich, seit Prot­agoras als zusam­men­ge­hö­rig gedacht und auf kom­ple­xe Wei­se ver­mit­telt ist. Erst die Syn­the­sis, in der das Tren­nen­de von affek­ti­ven und ratio­na­len Kräf­ten auf­ge­ho­ben ist, könn­te dann im Lich­te die­ser Alli­anz mit Fug und Recht zum »bewe­gen­den Prin­zip« der Rhe­to­rik erho­ben werden.

Dann ver­wun­dert es auch nicht, dass Irra­tio­na­li­tät kein Pro­blem des rhe­to­ri­schen Zugriffs auf die Affek­te benennt. Zwar wur­zeln die vita­len Äuße­run­gen des Men­schen in sei­ner Natur, sie sind aber, als mensch­li­che, damit auch unna­tür­lich, denn wir ken­nen die Natur selbst nur als geschicht­li­che, und es sind his­to­ri­sche Kon­stel­la­tio­nen, die wir hier ver­fol­gen. Für die Rhe­to­rik sind die Affek­te kein natür­li­cher Roh­stoff, sie tre­ten ihr immer schon als bear­bei­te­te, ver­frem­de­te, gege­be­nen­falls kul­ti­vier­te ent­ge­gen, zu deren wei­te­rer Ver­fei­ne­rung sie ihre Insti­tu­tio­nen schuf. Das hat nie­mand kla­rer gese­hen als Fried­rich Nietz­sche, der letz­te mei­ner Gewährs­män­ner für heu­te, der die Affek­te mit einem stets berei­ten rhe­to­ri­schen Wis­sen im Hin­ter­grund erforsch­te. Indem er auf der einen Sei­te die untaug­li­chen Metho­den der Ver­ban­nung und Ver­leug­nung, der Ver­teu­fe­lung und Aus­rot­tung der Lei­den­schaf­ten kri­ti­sier­te und die Moti­ve dahin­ter bloß­leg­te, erkann­te er ande­rer­seits, wel­che Kraft­quel­len in ihnen ste­cken, und dass es nicht um ihre Nega­ti­on, son­dern um Sub­li­mie­rung und Beherr­schung geht. Zumal man sich kei­nen Illu­sio­nen hin­ge­ben darf, was die All­ge­gen­wart der Affek­te betrifft: »(…) und über­haupt herr­schen schon bei den ›ein­fachs­ten‹ Vor­gän­gen der Sinn­lich­keit die Affek­te, wie Furcht, Lie­be, Haß, ein­ge­schlos­sen die pas­si­ven Affek­te der Faulheit.«

»Über­win­dung der Affek­te?«, fragt er iro­nisch, » – Nein, wenn es Schwä­chung und Ver­nich­tung der­sel­ben bedeu­ten soll. Son­dern in Dienst neh­men …« So lesen wir in einer spä­ten Notiz von 1885. Das klingt gewalt­tä­tig und nach Unter­drü­ckung, und tat­säch­lich spricht Nietz­sche im sel­ben Zusam­men­hang auch davon, sie, die Affek­te, »lan­ge zu tyran­ni­sie­ren«, kön­ne dazu gehö­ren. Den­noch ist bare Unter­drü­ckung nicht gemeint, son­dern tem­po­rä­res Ein­schrän­ken. In der »Mor­gen­rö­te« fin­den wir das ent­spre­chen­de Gleich­nis: »Man kann wie ein Gärt­ner mit sei­nen Trie­ben schal­ten … und die Kei­me des Zor­nes, des Mit­lei­dens, des Nach­grü­belns, der Eitel­keit so frucht­bar und nutz­brin­gend zie­hen, wie ein schö­nes Obst an Spalieren …«

Das sind nur die wich­tigs­ten Kon­se­quen­zen, die Nietz­sche aus der Unaus­weich­lich­keit der Gefüh­le zieht. Affekt­lo­se Zustän­de gibt es nicht, der Logos sel­ber, Wis­sen und Bewei­sen bewir­ken Zutrau­en und Ver­trau­en, wie in ihnen sel­ber Span­nung und Zuver­sicht wirk­sam sind. Selbst das mathe­ma­ti­sche Bewei­sen ist davon nicht aus­ge­nom­men und nach einem Wort Ein­steins, soll der Beweis nicht nur rich­tig, also wahr, son­dern auch schön sein. Unse­re eige­ne täg­li­che Erfah­rung zielt übri­gens in die­sel­be Rich­tung. Das Anse­hen und die Ver­trau­ens­wür­dig­keit des Exper­ten in unse­ren öffent­li­chen Debat­ten erwach­sen aus eben der­sel­ben Quelle.

Dass sie in die­sen Fäl­len oft auch trü­be spru­delt, bringt uns zum rhe­to­ri­schen Aus­gangs­punkt zurück. Denn tat­säch­lich ist der Gel­tungs­an­spruch der Gefüh­le, so sub­li­miert oder kul­ti­viert sie auch immer auf­tre­ten, natür­lich mit einem mathe­ma­ti­schen Beweis nicht zu ver­glei­chen. Im Nach­lass der acht­zi­ger Jah­re notiert Nietz­sche zur Funk­ti­on der Affek­te, dass sie »eine Aus­le­gung, eine Art zu inter­pre­tie­ren« sind, damit aber in Auf­ga­be und Wirk­sam­keit der Mei­nung ent­spre­chend. Aris­to­te­les hat­te sie bereits als eine Art Mei­nung bezeich­net und damit ihre Vor­schlags­funk­ti­on poin­tiert. Wie eine Mei­nung vor­läu­fig ist, daher etwa im Ver­gleich und in der Aus­ein­an­der­set­zung mit abwei­chen­den Mei­nun­gen geprüft, bezwei­felt oder erhär­tet wer­den muss, eben so gestal­tet sich der rhe­to­risch bewuss­te Umgang mit Gefüh­len, und nur dann initi­ie­ren und för­dern sie Erkennt­nis, anstatt ihr zu scha­den. Mit den Wor­ten Nietz­sches, der Trie­be, Affek­te und Gefüh­le begriff­lich ineins setz­te: »die Trie­be unter­hal­ten als Fun­da­ment der Erkennt­nis, aber wis­sen, wo sie Geg­ner des Erken­nens wer­den«. Zum Geg­ner des Erken­nens und der Über­zeu­gung wer­den sie nicht von sich aus, son­dern durch ihren Gebrauch. Wir begeg­nen zum ers­ten Mal einem Men­schen, sind sym­pa­thisch oder unsym­pa­thisch berührt oder vom pas­si­ven Affekt der Gleich­gül­tig­keit erfasst – wie immer die Begeg­nung aus­fällt, unse­re Gefüh­le machen uns einen Ent­wurf; ihn abso­lut zu set­zen, wür­de ihn mit einer Auto­ri­tät beschwe­ren, die ihm nicht zusteht, weil er sie nicht haben kann, der­je­ni­gen näm­lich, unver­stell­ten Zugang zur Wahr­heit zu haben.