Nach die­ser Erfah­rung kön­nen wir es so for­mu­lie­ren: Not­wen­di­ge, aber nicht hin­rei­chen­de Vor­aus­set­zun­gen dafür, dass der Satz eine Bedeu­tung hat und man ihn des­halb ver­ste­hen kann, sind sei­ne Gram­ma­ti­ka­li­tät (mehr oder weni­ger) und die seman­ti­sche Bele­gung des Voka­bu­lars und deren inne­re Kon­sis­tenz. Die Bedeu­tung einer Äuße­rung ist eine Funk­ti­on, die sich in kom­pli­zier­ter Wei­se zusam­men­setzt, und in der fol­gen­de Bestim­mungs­stü­cke vor­kom­men müssen:
• die Äuße­rung selbst, ihre Grammatik,
• die Seman­tik der ver­wen­de­ten Wörter,
• Umstän­de der Äuße­rung, d.h. Kontext,
• Vor­wis­sen des Hörenden.

Man kann dies an einer tech­ni­schen Bedie­nungs­an­lei­tung (wie­der­ge­ge­ben in Abbil­dung 1) gut durchspielen:

Abbildung 1: Ausriss aus einer Bedienungsanleitung einer Fernbedienung

Abbil­dung 1: Aus­riss aus einer Bedie­nungs­an­lei­tung einer Fernbedienung

In einer Bedie­nungs­an­lei­tung müss­te eigent­lich ent­hal­ten sein, wie man ein Pro­dukt bestim­mungs­ge­mäß gebraucht. Die Wirk­lich­keit sieht wohl anders aus:

»Die BAuA [Bun­des­an­stalt für Arbeits­schutz und Arbeits­si­cher­heit] kommt zu fol­gen­dem Schluss: ›Über 50 Pro­zent aller töd­li­chen Arbeits­un­fäl­le, an denen ein ein­ge­setz­tes tech­ni­sches Pro­dukt betei­ligt war, hät­ten wahr­schein­lich ver­mie­den wer­den kön­nen, wenn der Kon­struk­teur nicht nur den bestim­mungs­ge­mä­ßen, son­dern auch den vor­her­seh­ba­ren Gebrauch schon bei der Kon­struk­ti­on mit berück­sich­tigt hät­te!‹«[4]

Und der Bericht fährt fort (S. 124):
»Ohne Anspruch auf All­ge­mein­gül­tig­keit kann man konstatieren:
• Ca. 70 Pro­zent – 90 Pro­zent der Anlei­tun­gen haben klei­ne­re Mängel
• Ca. 15 Pro­zent – 20 Pro­zent der Anlei­tun­gen wei­sen mitt­le­re Män­gel auf
• Ca. 5 Pro­zent – 10 Pro­zent der Anlei­tun­gen haben bedeut­sa­me sicher­heits­re­le­van­te Män­gel, die Kon­se­quen­zen nach sich zie­hen können
• Der Anteil von feh­ler­haf­ten Anlei­tun­gen bei Pro­duk­ten, die auf­grund von Män­geln gemel­det wur­den, liegt bei rund 25 Prozent
• Der Anteil gemel­de­ter Pro­duk­te, bei denen Feh­ler in der Anlei­tung über­wie­gen, liegt bei rund 4 Prozent«

In dem Kata­log der Män­gel (ibid. S. 126) fin­den sich u. a.
»• Feh­len­de (tech­ni­sche) Angabe
• Bestim­mungs­ge­mä­ßer und nicht bestim­mungs­ge­mä­ßer Gebrauch des Pro­dukts nicht oder nicht aus­rei­chend beschrieben
• Fal­sche oder wider­sprüch­li­che Anga­ben, Anlei­tung nicht aktu­ell oder veraltet
• Anlei­tung oder deren Inhal­te stim­men nicht mit dem Pro­dukt überein
• Feh­ler­haf­te Übersetzungen
• Nicht den Anfor­de­run­gen ent­spre­chend bzgl. Auf­bau und Ver­ständ­lich­keit: Ver­ständ­lich­keit, Ein­deu­tig­keit, Genau­ig­keit: Anlei­tung schlecht ver­ständ­lich bzw. unver­ständ­li­che Benennungen«

Aus die­ser klei­nen Übung erge­ben sich drei wich­ti­ge Einsichten:
1. dass wir kei­ne Theo­rie haben, die uns vor­aus­sagt, ob ein Satz ver­ständ­lich sein wird – was bei tech­ni­schen Anwei­sun­gen ja ent­schei­dend sein kann;
2. dass die Funk­ti­on, die die Bedeu­tung bestim­men soll, so kom­pli­ziert ist, dass wir sie nur in ganz bestimm­ten Fäl­len in extrem prä­pa­rier­ten Situa­tio­nen, wie im psy­cho­lo­gi­schen Labor­ex­pe­ri­ment, ange­ben können;
3. dass wir nur post hoc fest­stel­len kön­nen, ob ein Satz ver­stan­den wor­den ist, wenn der Emp­fän­ger des Sat­zes ent­spre­chend reagiert.