Mit der Ent­wick­lung die­ser neu­en Tech­nik beginnt ein künst­le­ri­sches und mensch­li­ches Dra­ma. Geor­ge wehrt sich gegen den Ton­film, die Leu­te kom­men doch sei­net­we­gen in die Kinos, haben sei­ne Stim­me noch nie ver­misst, war­um also sol­le er spre­chen? Weil der Film spre­chen kann. »Die Leu­te wol­len (…) fri­sches Fleisch. Und das Publi­kum hat immer Recht«[2], ver­si­chert der Pro­du­zent. Hoch geflo­gen, tief gefal­len, Geor­ges Aner­ken­nung sinkt mit der wach­sen­den Begeis­te­rung des Publi­kums am Ton­film. In sei­nem eigens pro­du­zier­ten Stumm­film geht er am Ende tra­gisch unter. Nur Pep­py, mitt­ler­wei­le ein Star, sitzt in der Vor­füh­rung, erkennt die Par­al­le­len zum »ech­ten« Leben Valen­tins und ist den Trä­nen nahe. Sie sieht den Ton­film als eine Chan­ce, die zu nut­zen sich lohnt. Valen­tins Film fällt beim Publi­kum durch, er ist plei­te. Das Jahr 1931 beginnt, in der Not ver­kauft er alles, besitzt nur noch das, was er am Leib trägt. In die­ser trau­ri­gen Lage sucht er sei­ne alten Fil­me her­aus. In der Kon­fron­ta­ti­on mit sei­nen Stumm­film­zei­ten ste­hen ihm Erfolg und Ver­lust so stark gegen­über, dass er die Ner­ven ver­liert, sich über sei­ne Stur­heit ärgert und im gesam­ten Film­ar­chiv Feu­er legt. Jedoch, einen Film hält der durch den Rauch bewusst­lo­se Valen­tin sicher in Hän­den, als er geret­tet wird – es ist der gemein­sa­me Film mit Mil­ler. Die­se ver­hilft ihm nach sei­ner Gene­sung zu einem Enga­ge­ment in einem Film mit ihr – einem Ton­film, in dem Valen­tin zu sei­ner alten Form zurück findet.

Der typo­gra­fi­sche Text – er exis­tiert, ist rea­le Schrift im Bild - gibt den Schau­spie­lern inner­halb des Films bis zu der Schluss­se­quenz »Rea­li­tät«, da sie durch das Medi­um des Stumm­films stimm­los sind. Sie haben nur ihre Mimik und Ges­tik, die die Unter­stüt­zung der Spra­che brau­chen, um real zu wir­ken. Das ist ein ähn­li­ches Phä­no­men, wie es Lam­bert Wie­sing in sei­ner Ana­ly­se von Comics beschreibt. Wie­sing sieht auch den Film als Comic an – wenn man davon aus­geht, dass er sich nicht allein über die »Sprech­bla­se« defi­nie­ren lässt – da er eine Abfol­ge von erzäh­len­den Bil­dern ist.[3] Gleich­zei­tig ist man im Film in der tota­len Vir­tua­li­tät, da die Men­schen, Schau­spie­ler nie­mals real nah sind. Sie wer­den auf­ge­nom­men aus dem Blick­win­kel, die der Kame­ra­mann - die Kame­ra ist ein Appa­rat - dem Zuschau­er anbie­tet. In vie­len aktu­el­len Fil­men wird damit expe­ri­men­tiert, mehr »Rea­li­tät« in die­se Vir­tua­li­tät zu brin­gen. Spe­zi­el­le Effek­te wer­den genutzt, das 3-D-Kino ist so prä­sent wie nie; selbst Ani­ma­ti­ons­fil­me wer­den in ihrer eige­nen Welt wir­kungs­na­her. Vir­tua­li­tät und Rea­li­tät sind mit­ein­an­der ver­bun­den, wie »in einem Möbi­us­schen Kreis­ring« zwi­schen »Innen und Außen«, »Sub­jekt und Objekt.«[4] Bou­dril­lard spricht in die­sem Zusam­men­hang sogar von »durchsichtige(n) Pro­the­sen, die der­art in den Kör­per inte­griert sind, daß sie fast schon gene­tisch zu ihm gehö­ren.«[5] In »The Artist« ist allein schon durch Nicht-Far­big­keit und den feh­len­den Ton zum Bild deut­lich, dass es nicht Rea­li­tät sein kann. Wir haben gelernt, dass Autos Geräu­sche machen; auch Hun­de und Men­schen, die spre­chen, erzeu­gen im Nor­mal­fall einen Ton; alles das trägt zur Rea­li­tät bei und fehlt in die­sem Film. Und trotz­dem schafft es »The Artist« Nähe zum Zuschau­er auf­zu­bau­en, man ist gerührt, fühlt mit, obwohl aus tech­ni­scher Sicht nichts dafür spricht. Doch gera­de die­ses »neu-alte« Erle­ben der Schwarz­weiß-Bil­der ohne Stim­men, das Feh­len des »Per­fek­ten« beflü­gelt die Phan­ta­sie. Es liegt genau so viel mehr Distanz zwi­schen Zuschau­er und Film, dass »die rich­ti­ge Nähe des Sze­ni­schen«[6] da ist. Wenn näm­lich alles »stän­dig kom­ple­xer wird, bedarf es zuneh­mend der (wie Luh­mann es nennt) Kom­ple­xi­täts­re­duk­ti­on«[7].

So the­ma­ti­siert »The Artist« nicht nur inhalt­lich das Medi­um »Film«, son­dern tut dies auch medi­al. Des­halb über­zeugt der Film – hin­zu kom­men sein gelun­ge­ner Plot und die Schau­spie­ler und die gute Kame­ra, die Ein­stel­lun­gen zeigt, die im Gedächt­nis bleiben.