Die heroi­sche Tat der Arbeit und auch die sport­li­che »Här­te« (Abb. 2) kann doch allen­falls dar­in bestehen, täg­lich die Müh­sal der Arbeit auf sich zu neh­men; und das nicht für Ruhm und Ehre, nicht aus sport­li­chem Ehr­geiz oder auf­grund eines Wett­kamp­fes der Frei­en, son­dern schlicht­weg aus der Not­durft des Lebens her­aus und einer gesell­schaft­li­chen Über­set­zung die­ser Not­wen­dig­keit in der moder­nen Auf­fas­sung von Arbeit als Pflicht.

Abb. 2: Helden der Arbeit im Niedriglohnsektor, Foto: Pierre Smolarski, 12.1.2017 in Bielefeld

Abb. 2: Hel­den der Arbeit im Nied­rig­lohn­sek­tor, Foto: Pierre Smo­lar­ski, 12.1.2017 in Bielefeld

Die Ver­ach­tung der Arbeit, die – wie Han­nah Are­ndt über­zeu­gend dar­legt – das anti­ke Ver­hält­nis zu ihr bestimm­te, rührt gera­de daher, dass sie mit Frei­heit nicht ver­ein­bar ist. Frei sein kann man nur, wenn man nicht unent­wegt den Not­wen­dig­kei­ten des Lebens unter­wor­fen ist; kurz: wenn für das Leben bereits gesorgt ist. Die schein­bar ein­zi­ge Mög­lich­keit aber in die­sem Sin­ne frei zu sein, besteht dar­in, ande­re für sich arbei­ten zu las­sen – oder ent­spre­chend viel zu erben, was aber im Grun­de nur heißt, dass die Vor­fah­ren ande­re haben für sich arbei­ten las­sen. Der – wenigs­tens für mich – zen­tra­le Punkt in der Are­ndt­schen Ana­ly­se des täti­gen Daseins ist die Stel­lung der Arbeit in der moder­nen Arbeits­ge­sell­schaft, die sich wohl nir­gends so deut­lich zeigt, wie an der Tota­li­sie­rung der Arbeit in den Wert­vor­stel­lun­gen unse­rer kapi­ta­lis­ti­schen Ord­nung und der All­um­fas­sung des moder­nen Arbeits­be­griffs. Zwei­er­lei wird hier­bei beson­ders deut­lich: Alle Tätig­kei­ten, von denen man sich gesell­schaft­li­che Aner­ken­nung erhofft, müs­sen als Arbeit »nobi­li­tiert« wer­den. Man den­ke etwa an die Fami­li­en­ar­beit, die Erzie­hungs­ar­beit, die Haus­ar­beit, ja selbst an neue­re Wort­schöp­fung wie der »Sex­ar­beit«[6] (Abb. 3).

Abb. 3: Soziale Würdigung hängt am Begriff der Arbeit, Website: Berufsverband-Sexarbeit.de, 20.5.2017

Abb. 3: Sozia­le Wür­di­gung hängt am Begriff der Arbeit, Web­site: Berufsverband-Sexarbeit.de, 20.5.2017

Dazu gehört aber eben auch die soge­nann­te »Kopf­ar­beit«: »Unter moder­nen Ver­hält­nis­sen hat­te jeder Beruf sei­nen Nut­zen für die Gesell­schaft über­haupt unter Beweis zu stel­len, und da die Ver­herr­li­chung der Arbeit die Brauch­bar­keit gera­de rein geis­ti­ger Betä­ti­gun­gen in einem mehr als zwei­fel­haf­ten Lich­te erschei­nen ließ, ist es nur natür­lich, dass die sog. Intel­lek­tu­el­len sehr bald kei­nen sehn­li­che­ren Wunsch heg­ten, als unter die Mas­se der arbei­ten­den Bevöl­ke­rung gerech­net zu wer­den.«[7] Zugleich, und das ist nur die zwei­te Sei­te der­sel­ben Medail­le, »wer­den alle nicht-arbei­ten­den Tätig­kei­ten zum Hob­by«[8] her­ab­ge­wür­digt. Sie wer­den damit in den Bereich des Pri­va­ten ver­dammt, in wel­chem für den Pri­vat­men­schen gilt: »Was er tut oder lässt, bleibt ohne Bedeu­tung, hat kei­ne Fol­gen, und was ihn angeht, geht nie­man­den sonst an.«[9] Für das Hob­by kann also eine gewis­se Form der Frei­heit rekla­miert wer­den, die aller­dings, wie alles Pri­va­te, mit gesell­schaft­li­cher Bedeu­tungs­lo­sig­keit stig­ma­ti­siert wird. Hin­ge­gen muss jede gesell­schaft­li­che Tätig­keit die Form der Arbeit anneh­men und in die­ser Form sich als gesell­schafts­nütz­lich erwei­sen. Die all­täg­li­chen Not­wen­dig­kei­ten des Arbei­tens und Kon­su­mie­rens, die gesell­schaft­lich die Form der Pflicht anneh­men, erschei­nen ethisch als der »Bei­trag an die Gesell­schaft«; ein Bei­trag, der auch immer öko­no­misch zu ver­ste­hen ist, als der Betrag, den man zu zah­len hat, wenn man gesell­schaft­lich nicht aus­sor­tiert wer­den will. Wie Wil­helm Heit­mey­er in sei­nen Lang­zeit­stu­di­en zur grup­pen­be­zo­ge­nen Men­schen­feind­lich­keit her­aus­stellt, ist die Dis­kri­mi­nie­rung der­je­ni­gen, die die­sen Bei­trag nicht zah­len kön­nen – also etwa die Lang­zeit­ar­beits­lo­sen und Obdach­lo­sen –, im Zuge der Öko­no­mi­sie­rung des Sozia­len erheb­lich gestie­gen. Etwa ein Drit­tel der Befrag­ten in einer Stu­die von 2007 stimm­ten ten­den­zi­ell der Aus­sa­ge zu, man kön­ne sich wenig nütz­li­che Men­schen und mensch­li­che Feh­ler nicht mehr leis­ten. »Etwa 40 Pro­zent sind der Ansicht, in unse­rer Gesell­schaft wer­de zu viel Rück­sicht auf Ver­sa­ger genom­men, über­trie­ben Nach­sicht mit sol­chen Per­so­nen sei […] unan­ge­bracht (43.9 Pro­zent).« [10] Die Stu­die zeigt eben auch, dass über ein Vier­tel (26,3 %) der Befrag­ten Lang­zeit­ar­beits­lo­sen sich selbst die Schuld für ihre Arbeits­lo­sig­keit geben, und fast die Hälf­te der Befrag­ten meint, Lang­zeit­ar­beits­lo­se sei­en nicht wirk­lich dar­an inter­es­siert, einen Job zu fin­den.[11]