Geisteswissenschaftler bemühen sich, Zusammenhänge zu erfassen, und scheuen sich nicht, sie in ihren Deutungen herzustellen. In ihren Augen ist das, was empirische Forschung hervorbringt, oft so kleinteilig, dass der Erkenntnisgewinn im Banalen stecken zu bleiben scheint. Auch mir kommt das oft so vor: Was aus manchen Experimenten in der Wirkungsforschung als Ergebnis übrigbleibt, ist das der Rede wert? Wohl nur dann, wenn man sich einmal traute, das Kleine mit dem Großen in Beziehung zu setzen.
Da setzt meine Kritik an der Wirkungsforschung an: Sie stellt ihre Erkenntnisse oft nicht in einen größeren Zusammenhang. In der Werbe- und der Medienwirkungsforschung werden beispielsweise Blickverläufe gemessen. Mit hohem technischen Aufwand beobachtet man dann, dass beim Erfassen einer Werbeanzeige für Dessous die Augen eines Mannes an bestimmten Punkten verweilen. Vielleicht wird das noch mit anderen physiologischen Messwerten korreliert. Und dann schließt man, dass diese Anzeige diese und jene Wirkung habe, nämlich Kaufimpulse auslöse, womöglich sogar bei Männern. Welch Überraschung …
Ich räume ein, das ist eine verkürzte und ironische Darstellung, aber nehmen wir sie einmal hin. Ich möchte diese empirischen Methoden nämlich gar nicht verteufeln, sie sogar nutzen, aber eben vor einem bestimmten Horizont, den ich Ihnen nun aufspannen möchte. Und dazu machen wir einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Rhetorik und nehmen einen aristotelischen Gedanken auf und kneten ihn uns zurecht.
Affekte dienen der Argumentation
Für Aristoteles sind die Appelle, die mit einer Affekterregung einhergehen, die Appelle an Pathos und Ethos, eingebettet in einen Gesamtzusammenhang. Damit Persuasion, Überzeugung nicht nur situativ, sondern dauerhaft entsteht, damit eine Veränderung der Einstellungen, des Verhaltens, der Haltungen und der Meinungen der Menschen entsteht, damit also die Menschen selbst sich ändern, müssen sie von der Argumentation überzeugt werden, die vorgetragen wird.
Die Argumentation wohnt zuerst einmal im Reich des Logos, sie muss den Regeln der Vernunft, der Logik entsprechen, sonst kann sie von vornherein keine Wirkung entfalten. Aristoteles, der gute Menschenkenner, wusste, dass die Menschen sich nicht immer allein dadurch überzeugen lassen, dass ihnen Argumente sachlogisch korrekt und zwingend vorgetragen werden. Überzeugt die Argumentation aus sich heraus alleine nicht, dann bedarf sie der Unterstützung durch Appelle an Ethos und Pathos, dann müssen Affekte erregt werden. Affekte sind sozusagen »Weichmacher« – sie öffnen den Argumenten den Weg in die Köpfe der Menschen, indem sie deren Herzen ansprechen und gewinnen. Dafür ist also ein Appell-Gesamtpaket notwendig: Überzeugung entsteht und gelingt dadurch besser, dass sie der Entfaltung der argumentativen Wirkung durch die Erregung der Affekte auf die Sprünge hilft. Und womöglich darf man annehmen: Je weniger offen sich eine Zielgruppe für eine argumentative Überzeugungsarbeit zeigt, desto mehr muss sie »weichgekocht« werden, indem man ihre Gefühle anspricht.