Buchbesprechung

In der Tat: »eine angewandte Designforschung«

Andreas Koop schreibt über Typografie und Macht

»Wis­sen ist Macht« – irr­te sich der eng­li­sche Phi­lo­soph Fran­cis Bacon? Zumin­dest könn­te man sei­ne Erkennt­nis ergän­zen. Denn Andre­as Koop, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­si­gner aus dem All­gäu, zeigt in sei­ner For­schungs­ar­beit »Die Macht der Schrift – eine ange­wand­te Design­for­schung«, in wel­cher Bezie­hung die Typo­gra­fie mit der Reprä­sen­ta­ti­on von Macht steht.

Koop führt seit 1995 ein renom­mier­tes Design­bü­ro. Sei­ne Schwer­punk­te lie­gen im Cor­po­ra­te Design und der Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on. An ver­schie­de­nen Hoch­schu­len lehrt er Schrift und Typo­gra­fie. Im Rah­men eines For­schungs­pro­jek­tes am Insti­tut »Design2context« der Zür­cher Hoch­schu­le der Küns­te ent­stand sei­ne Arbeit über die Bezie­hung zwi­schen Schrift und Macht. Koop möch­te damit einen Bei­trag zu der noch jun­gen Dis­zi­plin der Design­for­schung leis­ten. Er ver­deut­licht die Poten­zia­le und Chan­cen, die in der For­schung über, für und durch Design lie­gen. Chan­cen nicht für die eige­ne, son­dern auch für ande­re wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­pli­nen. Er leis­tet mit sei­ner Arbeit einen wich­ti­gen Bei­trag zur Aner­ken­nung der Designwissenschaft.

Koop stellt sei­ner Arbeit »Die Macht der Schrift« ein Kapi­tel über die Design­for­schung vor­an. Eigent­lich ist es viel mehr als ein Kapi­tel – es könn­te gar eine eige­ne Ver­öf­fent­li­chung sein. Denn nicht nur vom Umfang fasst es cir­ca die Hälf­te der Publi­ka­ti­on, son­dern auch inhalt­lich hat der Text Gewicht: Es ist ein Plä­doy­er für die Design­for­schung, für eine jun­ge Dis­zi­plin, die ihr Poten­zi­al und ihre Gren­zen noch sucht. Koop greift die wich­tigs­ten Errun­gen­schaf­ten der letz­ten Jah­re auf und fügt sie zu einem diver­gen­ten Gan­zen zusam­men. Ein Abbild von den Anfän­gen, über die ver­schie­de­nen For­schungs­an­sät­ze (For­schung über, für und durch Design), hin zu den Rah­men­be­din­gun­gen, in denen Design­for­schung heu­te betrie­ben wird. Koop beschreibt den Kern – nicht alle Facet­ten und Aus­prä­gun­gen der ein­zel­nen The­men – und schafft somit eine Ein­füh­rung und einen Über­blick über die Dis­zi­plin. Doch fin­det sich trotz die­ser Makro­per­spek­ti­ve im Anschluss ein Blick auf die bereits zur Ver­fü­gung ste­hen­den Metho­den. Hier spricht Koop von der Über­tra­gung der Metho­den aus ande­ren Dis­zi­pli­nen, die aber dann in unter­schied­li­chen Aus­prä­gun­gen und Gewich­tun­gen in der Design­for­schung eine Anwen­dung fin­den. Ver­an­schau­licht wer­den die­se aus der Mikro­per­spek­ti­ve mit eini­gen exter­nen Forschungsbeispielen.

Koop fügt die­sen Beob­ach­tun­gen auch eine per­sön­li­che Note bei, indem er zum Ende die­ses ers­ten Teils den Blick nach vor­ne rich­tet. Er beschreibt, wie durch die Design­for­schung das Design pro­fes­sio­na­li­siert wer­den kann und wie sich auf lan­ge Sicht Stel­len­wert samt Aner­ken­nung stei­gern las­sen. Zudem zeigt er, wel­che Fra­gen die Dis­zi­plin beant­wor­ten und wel­che sie suchen kann. Zu Beginn des zwei­ten Teils, der eigent­li­chen Arbeit »Schrift und Macht«, ver­deut­licht Koop sei­ne Hal­tung, aus der her­aus sei­ne Publi­ka­ti­on ent­stan­den ist. So wird klar, was »Schrift und Macht« zu leis­ten ver­mag und was sei­ne Arbeit in kei­nem Fall beab­sich­tigt. Er plä­diert für Akzep­tanz und Offen­heit von ande­ren Dis­zi­pli­nen. Die Design­for­schung kann Gestal­tung, so sub­jek­tiv (oder auch nicht) sie sein mag, objek­tiv rezi­pie­ren und den Wis­sens­ho­ri­zont viel­leicht nicht ver­tie­fen, aber erweitern.

Der Aus­gangs­punkt sei­ner Arbeit ist die Annah­me, dass es ein Wech­sel­spiel zwi­schen gedruck­ter Schrift und der Prä­sen­ta­ti­on poli­ti­scher Macht gibt. Einen sol­chen Zusam­men­hang sucht Koop durch die Betrach­tung his­to­ri­scher Doku­men­te aus der west­eu­ro­päi­schen Geschich­te. Die gestal­te­ri­sche Per­spek­ti­ve kann hier zu erwei­tern­den Erkennt­nis­sen füh­ren, da die Form an sich in den klas­si­schen Dis­zi­pli­nen nur sehr wenig Beach­tung fin­det. In den dar­auf fol­gen­den Bei­spie­len zeigt Koop, wie sich die Macht­an­sprü­che und Macht­po­si­tio­nen in der Gestal­tung von Doku­men­ten bis hin zu den typo­gra­fi­schen Ent­schei­dun­gen wider­spie­geln. Anhand von Doku­men­ten von Karl dem Gro­ßen bis Adolf Hit­ler wer­den die Insze­nie­run­gen des Macht­an­spru­ches ana­ly­siert. Koop arbei­tet Aspek­te her­aus, die aus den Inhal­ten wei­te­re Erkennt­nis­se gewin­nen und neue Per­spek­ti­ven ermög­li­chen. Die Bedeu­tung der Tra­di­tio­nen in Bezug auf die typo­gra­fi­sche Gestal­tung zeich­net sich bei allen gewähl­ten Bei­spie­len deut­lich ab. Nach der his­to­ri­schen Betrach­tung wid­met sich Koop kon­se­quen­ter­wei­se den typo­gra­fi­schen Erschei­nun­gen von moder­nen euro­päi­schen Staa­ten und ver­gleicht die­se dann im Anschluss mit den Insze­nie­run­gen von pri­va­ten Unter­neh­men. Koop zeigt hier auf, wie sich so man­che Unter­neh­men »staats­män­ni­scher« als ein Staat präsentieren.

In einem eige­nen Kapi­tel wer­den die Par­al­le­len zwi­schen der Rhe­to­rik und der Gestal­tung – im spe­zi­el­len Fall der Typo­gra­fie – unter­sucht. Sei­ne Erkennt­nis­se basie­ren auf den his­to­ri­schen Betrach­tun­gen und wer­den als Teil­ergeb­nis der Arbeit ange­se­hen. Koop ent­wi­ckelt ein Sys­tem, in dem Schrif­ten anhand ihrer Wir­kung kate­go­ri­siert und beschrie­ben wer­den kön­nen. Um sei­ne Erkennt­nis­se zu unter­strei­chen, ver­deut­licht Koop durch Expe­ri­men­te und Metho­den, die im ers­ten Teil der Publi­ka­ti­on beschrie­ben wur­den. Dadurch wird deut­lich, dass nicht nur eine Bezie­hung zwi­schen poli­ti­scher Macht und Typo­gra­fie besteht. Macht wird auch in allen ande­ren Berei­chen der Gestal­tung sichtbar.

Andre­as Koop ist Beob­ach­ter einer noch jun­gen Dis­zi­plin und beschreibt unauf­ge­regt ihre Ent­wick­lung, Poten­zia­le und Gren­zen. Er ver­deut­licht glaub­haft sei­ne Über­zeu­gung vom Poten­zi­al der Design­for­schung. Ihre Daseins­be­rech­ti­gung sieht Koop im Glau­ben an die Ver­än­der­bar­keit und Gestalt­bar­keit der Welt. Auch ist in sei­ner Arbeit spür­bar, dass Design­for­schung ele­men­ta­re Fra­gen beant­wor­ten kann, wo ande­re Dis­zi­pli­nen unver­mö­gend sind. Was an dem Buch sehr gefällt, ist der Per­spek­tiv­wech­sel, den Koop mit dem Leser voll­zieht. Er beschreibt das gro­ße Gan­ze, ohne das Detail zu ver­ges­sen, beschreibt die fei­nen Unter­schie­de und lei­tet somit wie­der auf das Gan­ze – von der Theo­rie in die Pra­xis und wie­der zurück. Er zeigt, wie Design­wis­sen­schaft­ler und Desi­gner for­schen kön­nen – von ande­ren Dis­zi­pli­nen ler­nend und der eige­nen stets treu blei­bend. »Die Macht der Schrift« ist eine her­aus­ra­gen­de und rich­tungs­wei­sen­de Publi­ka­ti­on für die Designforschung.