Buchbesprechung

Wenn Helden auf Reisen gehen

Christopher Vogler schreibt über das Drehbuchschreiben

Eine Rezension von Benjamin Voßhans


Was macht eine erfolg­rei­che und über­zeu­gen­de Geschich­te aus? Die­ser Fra­ge geht Chris­to­pher Vog­ler in sei­nem Buch »Die Odys­see des Dreh­buch­schrei­bers« auf den Grund. Sei­ne Ant­wort: die »Hel­den­rei­se«.  In drei Akten ver­sucht Vog­ler mit Hil­fe der »Hel­den­rei­se« die Kon­ven­ti­on des Geschich­ten­er­zäh­lens in Wor­te zu fassen.

Seit jeher erzäh­len die Men­schen ein­an­der Geschich­ten, um wich­ti­ge Erkennt­nis­se zu ver­an­schau­li­chen, Glau­bens­grund­sät­ze und Moral­vor­stel­lun­gen zu ver­mit­teln oder um ein­an­der zu unter­hal­ten. Man­che Erzäh­lun­gen schei­nen dabei bes­ser zu funk­tio­nie­ren als andere.

Aber was macht eine erfolg­rei­che und über­zeu­gen­de Geschich­te aus? Wel­che Vor­aus­set­zun­gen müs­sen gege­ben sein, dass sich der Rezi­pi­ent in einer Geschich­te ver­liert und von ihr emo­tio­nal ein­ge­nom­men wird? Gibt es unge­schrie­be­ne Regeln, die alle fes­seln­den Geschich­ten gemein­sam haben und denen jeder gute Plot folgt?

Die­sen Fra­gen hat sich Chris­to­pher Vog­ler in sei­nem Buch »Die Odys­see des Dreh­buch­schrei­bers« ange­nom­men. Der Autor ver­mit­telt hier die grund­le­gen­den Ele­men­te und Erzähl­struk­tu­ren, die den meis­ten Hol­ly­wood-Pro­duk­tio­nen zugrun­de lie­gen. Das Grund­mus­ter die­ser Geschich­ten beschreibt er anhand der soge­nann­ten »Hel­den­rei­se«. Chris­to­pher Vog­ler war jahr­zehn­te­lang als Bera­ter der gro­ßen Hol­ly­wood-Stu­di­os tätig und hat­te so die Mög­lich­keit, sein Modell an vie­len erfolg­rei­chen Pro­jek­ten zu erpro­ben. Dabei ist die »Rei­se des Hel­den« nicht sei­ne Erfin­dung, son­dern basiert viel­mehr auf Joseph Camp­bells Werk »Der Heros in tau­send Gestal­ten«. Vog­ler hat sei­ne Theo­rien anhand erfolg­rei­cher Hol­ly­wood-Pro­duk­tio­nen über­prüft, wei­ter­ent­wi­ckelt und für jeder­mann ver­ständ­lich aufbereitet.

Der Autor ver­steht den von ihm auf­ge­zeig­ten Weg nicht nur als Dreh­buch-, son­dern gar als Lebens­hil­fe, als einen uni­ver­sel­len Fahr­plan, der Hil­fe bei jeder Geschich­te, auch der eige­nen Lebens­ge­schich­te bie­tet. Die »Rei­se des Hel­den« ist eine Meta­pher für eine grund­le­gen­de Erzähl­struk­tur, die Vog­ler in sei­nem Buch beschreibt. Der Ansatz der »Hel­den­rei­se« umfasst zwölf Sta­di­en, die laut Vog­ler mehr oder min­der in jeder erfolg­rei­chen Geschich­te auf­tau­chen. Dabei betont er, dass es sich bei der Struk­tur kei­nes­falls um ein All­heil­mit­tel han­delt und die Rei­hen­fol­ge der zwölf Sta­di­en nicht zwin­gend vor­ge­schrie­ben ist. Des Wei­te­ren weist er mehr­mals dar­auf hin, dass die »Rei­se des Hel­den« ledig­lich gedank­li­che Anhalts­punk­te lie­fert und als Leit­fa­den zur Über­prü­fung und Ent­wick­lung von Geschich­ten die­nen soll. Kei­nes­falls jedoch soll das Modell als dog­ma­ti­sche Struk­tur ver­stan­den werden.

Die Sta­di­en beschrei­ben die wesent­li­chen Sta­tio­nen der »Rei­se des Hel­den« einer Geschich­te. Den Rah­men für Vog­lers Modell lie­fert die Drei-Akt-Struk­tur, wobei der zwei­te Akt in sei­ner Län­ge der Sum­me aus ers­tem und drit­tem Akt entspricht.

Der ers­te Akt umfasst die ers­ten fünf Sta­di­en der Reise:
1. Die gewohn­te Welt
2. Ruf des Abenteuers
3. Weigerung
4. Mentor
5. Ers­te Schwelle

Es folgt der zwei­te Akt mit fol­gen­den Stationen:
6. Pro­ben, Ver­bün­de­te, Feinde
7. Vor­drin­gen zur tiefs­ten Höhle
8. Ent­schei­den­de Prüfung
9. Belohnung

Der drit­te Akt schließt die Geschich­te mit den Wegmarken:
10. Rückweg
11. Auferstehung
12. Rück­kehr mit dem Elixier

Die Titel der zwölf Sta­tio­nen klin­gen zunächst wie die einer Aben­teu­er­ge­schich­te. In sei­nem Buch legt Vog­ler auch ein­deu­tig den Schwer­punkt auf die­ses Gen­re, da er die Sta­tio­nen im spä­te­ren Ver­lauf haupt­säch­lich auf Grund­la­ge von »Der Zau­be­rer von Oz« belegt. Jedoch führt er auch stets Bei­spie­le aus Lie­bes­ge­schich­ten, Kri­mis oder Komö­di­en an und belegt somit die Gen­re-über­grei­fen­de Anwend­bar­keit sei­nes Kon­zep­tes. Dar­über hin­aus zieht sich eine Kapi­tel-umspan­nen­de Geschich­te von Vog­ler durch die Beschrei­bung aller zwölf Sta­di­en, sodass auch der Leser, der die ange­führ­ten Fil­me nicht kennt, die Grund­ge­dan­ken des Autors mühe­los ver­fol­gen kann. Aller­dings stellt sich das Lesen des Buches als ermü­dend her­aus, wenn die haupt­säch­lich ange­spro­che­nen Fil­me gar nicht oder nicht im Detail bekannt sind. Prä­gnan­ter wäre es, wenn sich die aus­führ­li­chen Ana­ly­sen aus­schließ­lich auf den letz­ten Teil von Vog­lers Buch kon­zen­trier­ten und er im Vor­aus kurz und bün­dig die grund­le­gen­den Gedan­ken sei­nes Modells prä­sen­tier­te. Am Ende des Buches fin­det der Leser näm­lich sowie­so detail­lier­te Unter­su­chun­gen von vier bekann­ten Wer­ken hin­sicht­lich der »Hel­den­rei­se«.

Neben den zwölf Sta­di­en der Rei­se stellt Chris­to­pher Vog­ler zu Beginn eini­ge arche­ty­pi­sche Cha­rak­te­re her­aus, die in vie­len Geschich­ten auf­tau­chen. Die­se Cha­rak­te­re spie­len auf der spä­te­ren Rei­se zum Teil tra­gen­de Rol­len. Eben­so wie bei dem gesam­ten Modell, so erschei­nen auch bei der Beschrei­bung der Arche­ty­pen direkt vie­le ver­schie­de­ne bekann­te Gestal­ten vor dem geis­ti­gen Auge. Kennt der Leser die von Vog­ler dar­ge­stell­ten Fil­me nicht im Detail, so kann er sei­ne Gedan­ken­gän­ge mühe­los an ande­ren bekann­ten Wer­ken, wie z.B. »Der Herr der Rin­ge« nach­voll­zie­hen. So ent­steht der Ein­druck, dass Chris­to­pher Vog­ler mit sei­ner »Rei­se des Hel­den« Erkennt­nis­se zusam­men­fasst und ver­an­schau­licht, die ein jeder Film­kon­su­ment schon längst ver­in­ner­licht hat. Der Autor nennt die wesent­li­chen Aspek­te ledig­lich beim Namen und gibt ihnen eine Struktur.

Auf­grund die­ser unmit­tel­ba­ren Ver­traut­heit beim Lesen des Buches, wirkt es auf den ers­ten Blick sehr über­zeu­gend. Aller­dings sind die von Vog­ler vor­ge­stell­ten Fil­me alle­samt Hol­ly­wood-Pro­duk­tio­nen und auch die eige­nen Asso­zia­tio­nen zu sei­nem Modell bezie­hen sich unmit­tel­bar auf ame­ri­ka­ni­sche Wer­ke. Die »Rei­se des Hel­den« dürf­te auf die meis­ten inter­na­tio­na­len Pro­duk­tio­nen größ­ten­teils zutref­fen und bil­det offen­sicht­lich eine Film­gen­re-über­grei­fen­de Kon­ven­ti­on des Geschich­ten­er­zäh­lens. Jedoch drängt sich die Fra­ge auf, ob die in der west­li­chen Welt funk­tio­nie­ren­den Struk­tu­ren zwangs­läu­fig auch für den Rest der Welt oder für Pro­duk­tio­nen außer­halb Hol­ly­woods gel­ten. Ande­re Völ­ker, die nicht unse­ren kul­tu­rel­len Hin­ter­grund tei­len und einen Lebens­stil mit gänz­lich ande­ren Wert­vor­stel­lun­gen füh­ren, die stark beein­flusst sind durch ande­re reli­giö­se Riten und Erzäh­lun­gen und unse­re Erzähl­wei­se nicht in dem Maße ver­in­ner­licht haben, stel­len womög­lich ganz ande­re Ansprü­che an eine Geschich­te und ihren Verlauf.

So scheint die »Rei­se des Hel­den« zum einen sehr schlüs­sig, zum ande­ren erweckt sie jedoch den Ein­druck eine Zusam­men­fas­sung unse­res von Hol­ly­wood kon­di­tio­nier­ten Film­ver­ständ­nis­ses zu sein. Den­noch ist das Modell von Chris­to­pher Vog­ler ein inter­es­san­ter Ansatz, der in sehr vie­len Fäl­len zu funk­tio­nie­ren scheint. Er lie­fert wert­vol­le Anhalts­punk­te für das Geschich­ten­er­zäh­len sowie des­sen Ana­ly­se und fasst die Funk­ti­ons­wei­se bekann­ter Film­pro­duk­tio­nen leicht ver­ständ­lich zusam­men. Im Grun­de ist dem Autor über die zuvor erwähn­ten, kri­ti­schen Punk­te kein Vor­wurf zu machen, da er mehr­fach und ein­dring­lich dar­auf hin­weist, dass sein Modell kei­ne Rezep­tur, son­dern ledig­lich eine Ori­en­tie­rungs­hil­fe bie­tet. Auf jeden Fall schafft Chris­to­pher Vog­ler mit »Die Odys­see des Dreh­buch­schrei­bers« in einer Wei­se Klar­heit, die den Leser Geschich­ten in einer ande­ren Wei­se erfah­ren lässt.


Ausgabe Nr. 2, Frühjahr 2013

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