Buchbesprechung

Von »Bilderfluten«, »Bildersucht« und »Bilderkrieg«

Sigrid Schade und Silke Wenk über das Zeitalter der Visualität

Eine Rezension von Tina Schick


In den »Stu­di­en zur visu­el­len Kul­tur« von Sig­rid Scha­de und Sil­ke Wenk wird zu Beginn die Fra­ge auf­ge­wor­fen: Sind Bil­der uni­ver­sal ver­ständ­lich und fähig, Sprach­dif­fe­ren­zen zu über­sprin­gen? Die­se unmit­tel­ba­re Ver­ständ­lich­keit setz­te vor­aus, dass Bil­der in ihrer spe­zi­fi­schen Form immer das Glei­che bedeu­ten, unab­hän­gig von geschicht­li­chen oder kul­tu­rel­len Hin­ter­grün­den. Wir set­zen ein immenses Ver­trau­en in die Bild­spra­che, ver­su­chen Pik­to­gram­me und Zei­chen uni­ver­sal ver­ständ­lich zu machen. Die Rea­li­tät sieht jedoch etwas anders aus. Nie kön­nen alle kom­mu­ni­ka­ti­ven Anfor­de­run­gen einer rei­bungs­lo­sen Ver­stän­di­gung garan­tiert oder vor­her­ge­sagt wer­den. Zu vie­le unter­schied­li­che und unbe­re­chen­ba­re Fak­to­ren, sei­en es sozia­le, bio­lo­gi­sche oder evo­lu­tio­nä­re, spie­len dabei eine Rol­le. Unser Bild­ver­ständ­nis ist zutiefst von eige­nen, tra­di­tio­nel­len Bild­kon­ven­tio­nen geprägt.

Für eine ein­heit­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on müss­te, theo­re­tisch, Uni­ver­sal­wis­sen vor­aus­ge­setzt wer­den. Es besteht somit eine grund­sätz­li­che Not­wen­dig­keit der Refle­xi­on und eine Über­set­zungs­be­dürf­tig­keit von Bil­dern. Doch was genau wird unter dem Titel »Stu­di­en zur visu­el­len Kul­tur« ver­stan­den? Eine wich­ti­ge Grund­la­ge zum Ver­ständ­nis bil­det die Rekon­struk­ti­on der ver­schie­de­nen Strö­mun­gen und Dis­zi­pli­nen, aus denen sich die visu­el­le Kul­tur her­aus ent­wi­ckelt hat sowie die bestehen­de Ver­bin­dung zu kunst- und medi­en­ge­schicht­li­chen Aspekten.

Laut den Autorin­nen ist es wich­tig zu ver­ste­hen, dass kei­ne homo­ge­ne Kul­tur mög­lich ist. Es wer­den zwi­schen Hoch-, Eli­te­kul­tur, All­tags-, Mas­sen-, Medi­en-, Sub-, und Min­der­heits­kul­tu­ren unter­schie­den. Auf der Grund­la­ge der Seh­ge­wohn­hei­ten und der Kennt­nis­se der unter­schied­li­chen Kul­tu­ren pro­ji­zie­ren Bil­der dann eine bestimm­te sub­jek­tiv gefärb­te Bedeutung.

Kul­tur ist aber auch ein sozia­les Gedächt­nis. In die Spra­che ein­ge­bet­te­te Vor­stel­lungs­bil­der wer­den immer wie­der neu posi­tiv oder nega­tiv bewer­tet, wobei dies je nach per­sön­li­cher Ent­wick­lung auch kor­ri­giert wer­den kann. Das sozia­le Gedächt­nis ist die Grund­la­ge für jeg­li­ches kul­tu­rel­les Mate­ri­al sowie für die Bil­dung oder den Zer­fall von Gemein­schaf­ten. Es basiert auf den Grund­la­gen eines semio­lo­gi­schen Kul­tur­ver­ständ­nis­ses. Daher müs­sen Bil­der auch als eine Spra­che ange­se­hen wer­den, die unter­schied­lich rezi­piert wer­den muss. Durch künst­le­ri­sche Prak­ti­ken wer­den Bil­der immer kon­zep­tio­nel­ler und inter­me­dia­ler. Beim Betrach­ten eines Bil­des stel­len sich Fra­gen nach des­sen bewuss­ten und unbe­wuss­ten Wir­kung: Was wird wem und wie sicht­bar gemacht? Was bleibt unsicht­bar? Was wird im Unbe­wusst­sein reflektiert?

Visu­el­le Kul­tu­ren sind ein For­schungs­feld, das sich nicht als Dis­zi­plin ver­steht. Sie sind ein Pro­jekt, das grenz­über­schrei­tend und grenz­über­grei­fend ist. Die Regeln und Metho­den zur Ana­ly­se die­ses For­schungs­fel­des aus ver­schie­de­nen ande­ren Dis­zi­pli­nen müs­sen her­an­ge­zo­gen wer­den. Das Auf­kom­men eines ver­stärk­ten Bewusst­seins für die Bedeu­tung des Visu­el­len in unse­rer Gesell­schaft ver­langt immer signi­fi­kan­ter nach Metho­den zur Deu­tung. Unser Bil­der­ver­ständ­nis ist jedoch nicht nur kul­tu­rell, son­dern auch epo­chal abhän­gig. Die Medi­en­ent­wick­lung bei­spiels­wei­se erzeugt eine neue Situa­ti­on, eine Ver­viel­fäl­ti­gung und beschleu­nig­te Zir­ku­la­ti­on der Bild­wel­ten. Der Com­pu­ter wird hier­für als Platt­form und Mul­ti­pli­ka­tor benö­tigt. Es ent­ste­hen Begrif­fe wie »Bil­der­flu­ten«, »Macht der Bil­der«, »Bil­der­sucht« und »Bil­der­krieg«. Ver­weist unse­re der­zei­ti­ge Bild­auf­fas­sung auf ein Zeit­al­ter der Visua­li­tät? Bild­wel­ten und Wirk­lich­keit ver­mi­schen sich immer mehr und dro­hen dadurch die Unter­schei­dungs­fä­hig­keit zu beein­träch­ti­gen. Wird unse­re Kul­tur mitt­ler­wei­le voll­kom­men von Bil­dern beherrscht? Fin­det eine visu­el­le Wand­lung vom »Lin­gu­i­stic- zum Pic­to­ri­al-Turn« statt? Oder geht das Pen­del wie­der in die ande­re Richtung?

Fakt ist, dass die Spra­che eine Vor­aus­set­zung für die Sozia­li­tät des Ein­zel­nen ist. Ohne Spra­che ist kei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on mög­lich. Daher kann sie nie kom­plett durch Bild­wel­ten ersetzt oder abge­löst wer­den. Sie ist ein Grund­be­stand­teil unse­rer Gesellschaft.


Ausgabe Nr. 2, Frühjahr 2013

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