Essay

Vom Versagen der Vermittler

Über das öffentliche Missverständnis der Naturwissenschaften

Von Ernst Peter Fischer


Jetzt fei­ern sie wie­der, die Nobel­preis­trä­ger, deren Namen im Okto­ber bekannt wur­den, und sie wer­den es ver­dient haben. Und des­halb darf man sich über die Pro­gno­se wun­dern, dass kein Mensch mehr einen der Lau­rea­ten kennt, wenn sie im Dezem­ber nach Stock­holm rei­sen, um ihre Medail­len und die Schecks ent­ge­gen zu neh­men. Bereits wäh­rend die For­scher in den Medi­en vor­ge­stellt wer­den, huscht das Inter­es­se über sie hin­weg, denn die Ver­mitt­ler der Wis­sen­schaft erwei­sen sich als hilf­los, dem Publi­kum zu erklä­ren oder gar schmack­haft zu machen, was das Nobel-Komi­tee als preis­wür­dig erkannt hat. Man bekommt den Ein­druck, dass vie­le Ver­mitt­ler selbst nicht ver­ste­hen, wor­um es geht und was sie schrei­ben. Dies zei­gen Bei­spie­le, die mit der Medi­zin beginnen.

Der Preis ist 2013 ver­ge­ben wor­den für Arbei­ten, die mit dem Ando­cken von Trans­port­ves­ik­eln an Zell­hül­len zu tun haben, und so wird erst von Cal­ci­um-Ionen pala­vert, die Mem­bran­fu­sio­nen zeit­lich prä­zi­sie­ren, dann fol­gen Hin­wei­se auf Krank­hei­ten wie Epi­lep­sie, bei denen das Trans­port­sys­tem feh­ler­haft zu funk­tio­nie­ren scheint, ohne dass zu erken­nen ist, was die Lau­rea­ten dazu bei­getra­gen haben. Und über­haupt steht in kei­nem Bei­trag, was die Arbei­ten von ande­ren unter­schei­det, dass gera­de sie den Nobel­preis ver­die­nen. Über­haupt fehlt ins­ge­samt eine per­sön­li­che Note in der Bericht­erstat­tung, die mehr den Pres­se­text der Nobel­stif­tung und weni­ger die Hand­schrift des Ver­mitt­lers erken­nen lässt.

Der Phy­sik­preis ist 2013 für das ver­ge­ben wor­den, was die Pres­se schon län­ger als Higgs-Teil­chen fei­ert, ohne erläu­tern zu kön­nen, was damit gemeint ist. Nun erfährt der Leser zum x-ten Mal, dass es sich um ein Got­tes­teil­chen han­delt, »das schlüs­sig erklärt, wie die Ele­men­tar­teil­chen ihre Mas­se erhal­ten«, wie eine Zei­tung mel­det, die das sicher aus dem Pres­se­text der Nobel­stif­tung abge­schrie­ben hat. Wenn Fach­leu­te sich zum Higgs-Boson äußern, schwär­men sie von »der Ära der ska­lier­ten fun­da­men­ta­len Fel­der«, die jetzt beginnt und in der sich das Schick­sal des Uni­ver­sums ent­schei­det – aber viel­leicht nur, wenn es dort jeman­den gibt, der die­sen Satz ver­stan­den hat.

Der Che­mie­preis 2013 ist für Arbei­ten ver­ge­ben wor­den, die es erlau­ben, »gro­ße Mole­kü­le mit dem Com­pu­ter wirk­lich­keits­ge­treu dar­zu­stel­len«, was es unter ande­rem fest­zu­stel­len erlaubt, dass sich gan­ze Atom­grup­pen von Eiweiß­mo­le­kü­len ver­nach­läs­si­gen las­sen, wenn man deren Fal­tung ver­ste­hen möch­te, wie zu lesen ist. War­um jemand die­sen Satz und die ange­spro­che­ne Fal­tung ver­ste­hen soll­te, bleibt eben­so ver­bor­gen wie der Sinn von »wirk­lich­keits­ge­treu«, wenn man das Wort auf ein dyna­mi­sches Mole­kül bezieht, des­sen Wirk­lich­keit sich selbst den Nobel­preis­trä­gern nicht erschließt.


Ausgabe Nr. 3, Herbst 2013

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