Buchbesprechung

»Werbung ist eine rhetorische Praxis«

Isabelle Lehn untersucht die »Rhetorik der Werbung«

Eine Rezension von Sophia Haug


Die Ver­wandt­schaft zwi­schen Rhe­to­rik und Wer­bung ist nicht weit her­ge­holt. Schließ­lich beschäf­tigt sich die Rhe­to­rik seit jeher mit der Fra­ge: Wie kön­nen Men­schen in der Kom­mu­ni­ka­ti­on erfolg­reich sein und wie kön­nen sie ande­re über­zeu­gen? [1] Genau da liegt die Über­schnei­dung. Auch Wer­be­tex­ter und -gestal­ter wol­len über­zeu­gen. Ver­birgt sich also hin­ter der Wer­bung eine rhe­to­ri­sche Systematik?

Isa­bel­le Lehn beant­wor­tet die Fra­ge mit »ja«. Die Autorin, die all­ge­mei­ne Rhe­to­rik, Eth­no­lo­gie und Erzie­hungs­wis­sen­schaft in Tübin­gen und Lei­ces­ter stu­diert hat, hat mit dem vor­lie­gen­den Band 2010 an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen pro­mo­viert. Lehn unter­sucht dar­in den Bezug von klas­si­scher Rhe­to­rik zu moder­ner Wer­bung. Aus ihrer Arbeit geht deut­lich her­vor, dass Wer­bung nach den Regeln der klas­si­schen Rhe­to­rik spielt. Lehns Erkennt­nis hat dabei nicht nur theo­re­ti­schen Gehalt, sie lässt sich viel­mehr pro­duk­tiv anwen­den. Wer Wer­bung macht, kann sich in Kon­zep­ti­on, Gestal­tung und Prä­sen­ta­ti­on der Instru­men­te der klas­si­schen Rhe­to­rik bedie­nen und bekommt dafür eine recht genaue Anleitung.

Rhe­to­rik teilt die »Kunst der Rede« in fünf Schrit­te: inven­tio (Auf­fin­den aller nöti­gen Argu­men­te und Mate­ria­li­en), dis­po­si­tio (Glie­de­rung der Rede), elo­cu­tio (sprach­lich-sti­lis­ti­sche Pro­duk­ti­on), memo­ria (Ein­prä­gen der Rede ins Gedächt­nis), actio (Ver­wirk­li­chung der Rede). Die­se fünf Schrit­te kön­nen im Wesent­li­chen auf den Ent­ste­hungs­pro­zess der Wer­bung über­tra­gen wer­den – was Lehn in ihrem Buch auch tut. Wei­te­re grund­sätz­li­che Instru­men­te der Rhe­to­rik sind Ange­mes­sen­heit (aptum), güns­ti­ger Zeit­punkt (kai­ros) und rhe­to­ri­sche Über­zeu­gungs­mit­tel (logos, ethos und pathos). Bei die­sen drei Begrif­fen dreht sich alles um die Über­zeu­gung, dem grund­le­gen­den Ziel der Werbung.

Logos, Ethos und Pathos sind Tech­ni­ken, die an Ver­nunft, Glaub­wür­dig­keit oder Emo­tio­nen appel­lie­ren und somit die Wer­bung wirk­sam machen. Isa­bel­le Lehn bezieht sich regel­mä­ßig auf die­se Begrif­fe und bringt sie mit Wer­bung in Zusammenhang.

Lehns Ziel ist es, eine rhe­to­ri­sche Wer­be­theo­rie zu ver­fas­sen. Doch um über­haupt eine Theo­rie auf­bau­en zu kön­nen, greift sie zum einen alle rele­van­ten his­to­ri­schen Grund­la­gen auf, zum ande­ren bedient sich Lehn des Wis­sens von Nach­bar­dis­zi­pli­nen, die sich mit Wer­bung beschäf­ti­gen. Zu den his­to­ri­schen Grund­la­gen zäh­len anti­ke Rhe­to­rik-Theo­rien, zeit­ge­nös­si­sche Rhe­to­rik­for­schung, die »Tübin­ger Rhe­to­rik«, die »Nou­vel­le Rhé­to­ri­que« und die ame­ri­ka­ni­sche »New Rhe­to­rik«. Dis­zi­pli­nen, aus denen Lehn ihr Wer­be-Wis­sen schöpft, sind Wer­be­leh­re, Wer­be­for­schung und Werbewirkungsforschung.

Die Arbeit setzt ihren inhalt­li­chen Schwer­punkt auf den Bereich der Wer­be­kon­zep­ti­on, also auf die Unter­su­chung der drei Über­zeu­gungs­mit­tel Logos, Ethos und Pathos. Auf Basis der Ana­ly­se-Ergeb­nis­se erar­bei­tet Lehn Gestal­tungs- und Wir­kungs­prin­zi­pi­en. Das Buch ist jedoch kein How-To-Do-Rat­ge­ber. Die Rhe­to­rik lie­fert Aus­sa­gen dar­über, wel­che Über­zeu­gungs- und Wer­be­tech­ni­ken »wahr­schein­lich wirk­sam [sind] – und wel­che nicht« (S. 109). Lehn betont, dass Rhe­to­rik »nie­mals siche­re Erfolgs­pro­gno­sen« (S. 110) lie­fert, son­dern nur »Wahr­schein­lich­keits­aus­sa­gen zu Wer­be­ef­fek­ten« (S. 110) ermög­licht. Statt einer Bedie­nungs­an­lei­tung für Wer­be­agen­tu­ren erwar­tet den Leser eine aus­führ­li­che Ana­ly­se sowie eine his­to­ri­sche und wis­sen­schaft­li­che Bestands­auf­nah­me des The­mas. Lehns Unter­su­chung glie­dert sich dabei in zwei Tei­le. Der ers­te Teil befasst sich mit theo­re­ti­schen Grund­la­gen und dem aktu­el­len For­schungs­stand. Im zwei­ten Teil legt Isa­bel­le Lehn ihre eige­ne For­schung und ihre Ergeb­nis­se dar.

Zunächst gibt sie eine Über­sicht über ihr Vor­ha­ben, fasst ihre Gedan­ken und Über­le­gun­gen zusam­men. Dabei beruft sie sich auf Rhe­to­ri­ker und Wis­sen­schaft­ler wie Cice­ro, Gert Ueding oder Gui Bon­sie­pe. Dann erfolgt eine Zusam­men­fas­sung des­sen, was bis zum Jahr 2009 zu dem The­ma »rhe­to­ri­sche Wer­be­for­schung« her­aus­ge­fun­den wur­de. Lehn gibt eine For­schungs­über­sicht über die Dis­zi­pli­nen der Wer­be­leh­re, Wer­be­for­schung und Wer­be­wir­kungs­for­schung. Und sie zeigt, dass es ein gro­ßes For­schungs­de­fi­zit im Bereich der Wer­ber­he­to­rik gibt.

Schließ­lich wird der Begriff »Wer­bung« geklärt. Die Wer­be­zie­le wer­den aus­führ­lich auf­ge­führt. Es wird dar­ge­legt, wel­che Vor­aus­set­zun­gen Wer­bung braucht und wel­che Anfor­de­run­gen und Bedin­gun­gen der Markt an Wer­bung stellt. Lehn dis­ku­tiert in die­sem Zuge das Ethos-Pro­blem der Wer­bung, die Crux der Glaub­wür­dig­keit. Sie zeigt, dass weder das natio­na­le Wer­be­recht der EU, noch der »Deut­sche Wer­be­rat« als frei­wil­li­ge Selbst­kon­trol­le das Pro­blem gänz­lich lösen kann. Als Lösungs­an­satz bie­tet Lehn die vier Ethos-Tech­ni­ken an, um Glaub­wür­dig­keit und Ver­trau­en beim Betrach­ter her­vor­zu­ru­fen. Eben­so tra­ge ein guter Ruf des wer­be­trei­ben­den Unter­neh­mens dazu bei, die Ver­trau­ens­wür­dig­keit zu steigern.

Für ihre Ana­ly­sen unter­sucht Lehn nicht nur das Bild, son­dern auch die Text-Bild-Inter­ak­ti­on von Anzei­gen. Lehn betont, dass, wer eine rhe­to­ri­sche Wer­be­theo­rie auf­stel­len möch­te, sich zwangs­läu­fig mit Bild­theo­rie, Bild-Text-Theo­rie und Medi­en­theo­rie beschäf­ti­gen muss. Und sie beschäf­tigt sich fünf Kapi­tel lang mit den fünf rhe­to­ri­schen Arbeits­schrit­ten, die auf die Situa­ti­on der Wer­bung über­tra­gen und ange­passt werden.

Die inven­tio sei so ana­log zur Wer­be­kon­zep­ti­on zu ver­ste­hen, es geht also um die Per­sua­si­ons­stra­te­gie. Der zen­tra­le Über­zeu­gungs­weg und die ange­mes­se­nen Argu­men­te sol­len dabei fest­ge­legt wer­den. Beim nächs­ten Schritt, der dis­po­si­tio, gehe es pri­mär um die Struk­tu­rie­rung der Wer­be­an­zei­ge, das heißt um die funk­tio­na­le Anord­nung der Inhal­te im Text- und Bild­auf­bau. Im fol­gen­den befasst sich Lehn mit der elo­cu­tio, sprich den rhe­to­ri­schen Stil­prin­zi­pi­en in der Text- und Bild­ge­stal­tung. Die ent­schei­den­den Begrif­fe hier sind aptum (Ange­mes­sen­heit), puri­tas (Sprach­rich­tig­keit), per­spi­cui­tas (Deut­lich­keit), bre­vi­tas (Ver­mei­dung alles Über­flüs­si­gen) und orna­tus (Schmuck­mit­tel). In Kapi­tel sie­ben, das sich mit der memo­ria aus­ein­an­der­setzt, wer­den die Mne­mo­tech­ni­ken der Wer­bung vor­ge­stellt. Schließ­lich stellt sie die Pha­se der actio vor, die Stra­te­gien der Wer­be­prä­sen­ta­ti­on wiedergibt.

Isa­bel­le Lehns Ziel, eine rhe­to­ri­sche Wer­be­theo­rie auf­zu­bau­en, ist gelun­gen. Bei aller Gründ­lich­keit liest sich ihre »Rhe­to­rik der Wer­bung« flüs­sig – ganz der Dis­zi­plin ent­spre­chend. Bedau­er­lich ist aller­dings, dass im Buch kei­ner­lei Anschau­ungs­ma­te­ri­al abge­druckt ist. Die Wer­be­an­zei­gen, die Lehn als Ana­ly­se­ge­gen­stän­de benutzt, kön­nen zwar online abge­ru­fen wer­den, doch wer möch­te ger­ne wäh­rend des Lesens par­al­lel in digi­ta­len Doku­men­ten stö­bern? Eine wei­te­re Schwä­che ist, dass weder ein Stich­wort­ver­zeich­nis, noch ein Wör­ter­le­xi­kon für die latei­ni­schen Begriff ange­legt wur­de – Ein­stei­ger kön­nen so durch­aus Mühe haben.

Wer sich aber schon ein­mal mit design­rhe­to­ri­schen Tex­ten befasst hat, erkennt, dass Lehn inter­es­san­te – auf Wer­bung bezo­ge­ne – Aspek­te her­aus­ge­fil­tert und bestehen­de Theo­rien mit­ein­an­der ver­knüpft hat. Somit schafft sie Bezü­ge und, was noch wich­ti­ger ist, ein ein­heit­li­ches Bild einer rhe­to­ri­schen Wer­be­theo­rie. Wie beginnt das ers­te Kapi­tel ihres Buches: »Wer­bung ist eine rhe­to­ri­sche Pra­xis.« (S. 11)


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