Tagung »text | text | text« | Essay

Die Bedeutung der Übergänge

Intertextualität in technischen Dokumentationen

Von Roswitha Dubach, Anita Gertiser und Ruth Wiederkehr


Tech­ni­sche Doku­men­ta­tio­nen arbei­ten in außer­or­dent­li­chem Maße mit selbst oder fremd erstell­ten bild­li­chen Ele­men­ten bezie­hungs­wei­se Visua­li­sie­run­gen wie Gra­fi­ken, Tabel­len, Sche­ma­ta oder Bil­dern. Sie bil­den also ein spe­zi­fi­sches Gewe­be – tex­tus – aus frem­den oder eige­nen bild­li­chen Ele­men­ten und frem­dem und eige­nem Geschrie­be­nem. Ein inge­nieur­wis­sen­schaft­li­cher Text ist spe­zi­fisch inter­tex­tu­ell, da er einen Text hier­ar­chisch gleich­ge­stell­ter bild­li­cher und geschrie­be­ner, eige­ner oder frem­der Ele­men­te bezie­hungs­wei­se Inter­tex­te bil­det. [1] Jede Form von Inter­text bezie­hungs­wei­se Ele­ment gilt hier­bei als »Text«. [2]

Damit ein inge­nieur­wis­sen­schaft­li­cher Text sei­ne prag­ma­ti­sche Funk­ti­on erfüllt, muss er leicht nach­voll­zieh­bar sein. Wer einen tech­ni­schen Text schreibt, steht also vor einer dop­pel­ten Her­aus­for­de­rung: Ers­tens müs­sen bild­li­che und geschrie­be­ne Ele­men­te »ver­wo­ben« wer­den und zwei­tens soll die­ses »Gewo­be­ne« ein­fach ver­ständ­lich sein. Die­ser Bei­trag zeigt, dass beim Schrei­ben ein Infor­ma­ti­ons­ma­nage­ment benö­tigt wird, und er skiz­ziert zwei Vor­ge­hens­wei­sen für die Abfas­sung nach­voll­zieh­ba­rer tech­ni­scher Dokumentationen.

Vor­ge­hen und Untersuchung

In einer klein ange­leg­ten Stu­die mit 13 aus­ge­wähl­ten tech­ni­schen Berich­ten offen­bar­te sich, dass das Pro­blem der Nach­voll­zieh­bar­keit in ers­ter Linie bei den Über­gän­gen zwi­schen den ver­schie­de­nen Inter­tex­ten bezie­hungs­wei­se Infor­ma­ti­ons­ele­men­ten liegt. Unter­sucht wur­den Berich­te, die bezüg­lich ihrer Mach­art zwei Pole bil­den. Einer­seits sind dies Berich­te des Stu­di­en­gangs Ener­gie- und Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie (EIT) – in der Regel klas­si­sche tech­ni­sche Doku­men­ta­tio­nen –, ande­rer­seits Berich­te aus dem Stu­di­en­gang Ener­gie- und Umwelt­tech­nik (EUT). Dies sind häu­fig Mach­bar­keits­stu­di­en, die vie­le exter­ne Infor­ma­tio­nen zu eige­nen Stu­di­en und Argu­men­ta­tio­nen verbinden.

Ana­ly­siert wur­den die Über­gän­ge zwi­schen Eigen- und Fremd­ele­men­ten bezie­hungs­wei­se Eigen- und Eigen­ele­men­ten. Der Fokus lag also auf der Mach­art des Inter­tex­tu­el­len, bei­spiels­wei­se der Ein­bin­dung des klas­si­schen Fremd­zi­tats oder auch einer selbst­er­stell­ten Gra­fik. Dabei zeig­te sich, dass ins­be­son­de­re dann das Ver­ständ­nis für Lesen­de nicht gege­ben ist, wenn an die­sen Über­gän­gen die Ver­we­bung nicht statt­fin­det. Das bedeu­tet, dass für die Nach­voll­zieh­bar­keit von Inter­tex­tua­li­tät intra­tex­tu­el­le Ver­fah­ren mit­be­rück­sich­tigt wer­den müs­sen. [3]

Ein Bei­spiel (Abb. 1) aus einem Bericht im Stu­di­en­gang EUT zeigt die Pro­ble­ma­tik der man­gel­haf­ten Ver­we­bung von Informationselementen:


 
Abb. 1 Text­aus­schnitt aus FB_EUT_5_HS1516, S. 10. [4]

Ziel der zitier­ten Pas­sa­ge ist es, die gesetz­li­chen Grund­la­gen für ener­ge­ti­sche Sanie­run­gen dar­zu­le­gen. Die­se the­ma­ti­sche Ein­ord­nung (gleich nach dem Titel »Haupt­teil«) fehlt jedoch. Der Stu­dent lis­tet die wich­tigs­ten Para­gra­fen in einer Tabel­le auf, ohne die­se ein­zu­füh­ren. Danach zitiert er zen­tra­le Aus­schnit­te aus die­sen Geset­zen. Es zeigt sich: Die Ver­we­bung zwi­schen Tabel­le und geschrie­be­nem Text (inkl. Zitat) fin­det nicht – oder im letz­ten abge­bil­de­ten Teil nur bedingt – statt. Wozu die Tabel­le, wozu der geschrie­be­ne Text (Eigen­text und Zitat) dient? Die Rele­vanz der zitier­ten geschrie­be­nen Ele­men­te bleibt unklar, da der Text die frem­den Ele­men­te nicht expli­zit mit den eige­nen ver­bin­det. Obwohl der gesam­te Text­aus­schnitt inter­tex­tu­ell ist, resul­tiert dar­aus kein eige­ner Sinn ohne intra­tex­tu­el­le Handlung.

Die Rele­vanz der Ver­we­bung zeigt sich auch an einem wei­te­ren Bei­spiel (Abb. 2) aus einem Bericht des Stu­di­en­gangs EIT:


 

Abb. 2 Text­aus­schnitt aus FB_EIT_P3_HS15_T9, S. 8. Nach »Der Kurz­schluss­strom […]« folgt die Erläu­te­rung aller ande­ren Varia­blen der For­mel und anschlie­ßend ein Abschnitt mit ande­rem Thema.

Dia­gramm und For­mel sind vor­ge­ge­be­ne Fremd­ele­men­te als Aus­gangs­la­ge für das Pro­jekt, in dem ein Über­wa­chungs­ge­rät für Pho­to­vol­ta­ik­mo­du­le ent­wi­ckelt wer­den soll. Die Stu­die­ren­den gehen davon aus, dass die bei­den Ele­men­te selbst­er­klä­rend sind und daher kei­ne Ver­knüp­fung unter­ein­an­der und mit dem Eigen­text benötigen.

Nach­voll­zieh­bar­keit und Ver­ständ­lich­keit basie­ren dar­auf, dass die Infor­ma­tio­nen, die in bild­li­chen oder geschrie­be­nen frem­den (und eige­nen) Tex­ten ent­hal­ten sind, dar­ge­legt, kom­men­tiert und inter­pre­tiert wer­den. Die­se Pro­ble­ma­tik zeigt sich an allen für die­se Stu­die defi­nier­ten Übergängen:

»Text« – »Text«, in allen Vari­an­ten, dazu gehören:
• Geschrie­be­nes – Geschriebenes
• Geschrie­be­nes – Tabelle
• Geschrie­be­nes – Diagramm
• Geschrie­be­nes – Schemata
• Geschrie­be­nes – Bild

Die Pro­ble­ma­tik gilt auch für Über­gän­ge auf Text­ebe­ne, zwischen
• Titel – Kapitelanfang
• Kapi­tel – Kapitel
• Abschnitt – Abschnitt
• Satz – Satz

Schrei­ben­de in der Tech­nik ste­hen folg­lich vor der Auf­ga­be, alle Text­ele­men­te – Zita­te, Para­phra­sen, Gra­fi­ken, Tabel­len, Sche­ma­ta, Bil­der – dem Eigen­text ein­zu­ver­lei­ben bezie­hungs­wei­se mit die­sem zu ver­we­ben. Die eigent­li­che Ver­we­bung dient der Nach­voll­zieh­bar­keit und Ver­ständ­lich­keit der Dokumentation.

Schluss­fol­ge­run­gen

Wor­auf ist also bei der Her­stel­lung tech­ni­scher Doku­men­ta­tio­nen zu ach­ten? Es bie­ten sich zwei Ver­fah­ren an: Ers­tens: Damit die Ver­knüp­fung der ver­schie­de­nen geschrie­be­nen und visu­el­len Ele­men­te gelingt, emp­fiehlt es sich, als Kohä­si­ons­mit­tel oder Kon­nek­to­ren vor allem auch auf meta­kom­mu­ni­ka­ti­ve Ver­knüp­fungs­ele­men­te zurück­zu­grei­fen. Meta­kom­mu­ni­ka­ti­ve Vor- und Rück­ver­wei­se (wie zum Bei­spiel »in fol­gen­der Abbil­dung«) kön­nen einer­seits als »Text­be­ach­tungs­an­wei­sun­gen«, aber auch als »Text­ge­brauchs­an­wei­sun­gen« [5] fun­gie­ren und sind beson­ders in tech­ni­schen Berich­ten geeig­net, die pri­mär funk­tio­nal sind. Zwei­tens sind erklä­rend-argu­men­ta­ti­ve Ver­knüp­fungs­ele­men­te not­wen­dig. Inge­nieurs­be­rich­te ste­hen in einer Rei­he im Ent­wick­lungs­pro­zess. Damit das Dar­ge­leg­te nach­voll­zieh­bar und folg­lich ver­ständ­lich wird, ist es erfor­der­lich, die Inhal­te auch hin­sicht­lich ihrer Funk­ti­on zu ver­knüp­fen. Fol­gen­de Infor­ma­tio­nen müs­sen gege­ben sein: War­um ist was wie unter wel­chen Bedin­gun­gen gemacht wor­den? Dar­aus resul­tiert ein erklä­ren­der, argu­men­ta­ti­ver und dar­le­gen­der, also nach­voll­zieh­ba­rer Inge­nieurs­text. Die Ver­we­bung der ver­schie­de­nen Text­ele­men­te erfor­dert des­halb ein Infor­ma­ti­ons­ma­nage­ment, das sich in fol­gen­de Glei­chung über­füh­ren lässt:

erklä­rend-argu­men­ta­ti­ve Ebe­ne: War­um wird was unter wel­chen Bedin­gung gemacht und einbezogen?
+
meta­kom­mu­ni­ka­ti­ve Ebe­ne: Wie wer­den die Infor­ma­tio­nen ver­wo­ben? (Bezie­hung zwi­schen den Infor­ma­tio­nen, expli­zit geäußert)
+
doku­men­tie­ren­de Ebe­ne: Infor­ma­ti­ons­ele­men­te, tech­ni­sche Inhalte
=
nach­voll­zieh­ba­rer (also guter) Bericht

Ein hin­rei­chen­des Infor­ma­ti­ons­ma­nage­ment schafft die Aus­gangs­la­ge für gut ver­wo­be­ne Über­gän­ge zwi­schen »Tex­ten«. Erst dadurch wer­den (inhalt­li­che!) Zusam­men­hän­ge klar und tech­ni­sche Doku­men­ta­tio­nen verständlich.

Lite­ra­tur­ver­zeich­nis:

Berndt, Frau­ke; Ton­ger-Erk, Lily: Inter­tex­tua­li­tät. Eine Ein­füh­rung. Ber­lin 2013. (Grund­la­gen der Ger­ma­nis­tik 53)

Hau­sen­dorf, Hei­ko; Kes­sel­heim, Wolf­gang (2008): Text­lin­gu­is­tik fürs Examen. Göt­tin­gen 2008.

Mert­lit­sch, Car­men: Fünf funk­tio­na­le For­men der Inter­tex­tua­li­tät und ihre Ver­mitt­lung. Vor­trag am 10. Juni 2016 bei der Tagung »text | text | text« in Kon­stanz; unver­öf­fent­lich­tes Manuskript.

Anga­be zu zitier­ten tech­ni­schen Berichten

FB_EIT_P3_HS15_T9: PV-Modul Simu­la­tor. Nicht­pu­bli­zier­ter Fach­be­richt, SG EIT (FHNW), Pro­jekt 3, HS 2015. Win­disch 2015.

FB_EUT_5_HS1516: Ener­ge­ti­sche Ana­ly­se von ver­schie­de­nen Warm­was­ser-Wär­me­pum­pen im Real­be­trieb. Nicht­pu­bli­zier­ter Fach­be­richt SG EUT (FHNW), Pro­jekt 5, HS 2015. Win­disch 2015.


Doppelausgabe Nr. 8 und 9, Herbst 2016

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