Tagung »text | text | text« | Essay

Ein schreibdidaktisches Konzept für Innenarchitekten

EinBlick in eine Schreibwerkstatt an der Hochschule Coburg

Von Regina Graßmann


Ein­lei­tung

Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem fach­li­chen Gegen­stand über das Medi­um Text wird aus zwei Grün­den von den Stu­den­ten in künst­le­risch-gestal­te­ri­schen Dis­zi­pli­nen als eine beson­de­re Her­aus­for­de­rung erlebt:

1. Tex­te schrei­ben erfor­dert zum einen fach­li­che Kom­pe­ten­zen, wie z. B. das Wis­sen um die mate­ri­el­len, ästhe­ti­schen, gesell­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Funk­tio­nen von Räu­men, die gera­de erst erwor­ben wer­den.[1]

2. Tex­te schrei­ben erfor­dert zum ande­ren über­fach­li­che Kom­pe­ten­zen, wie bei­spiels­wei­se das Wis­sen um die spe­zi­fi­schen Merk­ma­le einer Text­sor­te, der Ent­wurf eines Text­de­signs, die Ent­wick­lung eines Sto­ry­boards, die Fähig­keit des Wech­selns von der Schrei­ben­den- in die Leser­per­spek­ti­ve, Über­ar­bei­tungs­tech­ni­ken und vor allem ein The­ma zu den­ken und zu gestal­ten.[2]

Im Fol­gen­den möch­te ich zuerst erläu­tern, inwie­fern das Spre­chen über Bil­der und Tex­te den Schreib­pro­zess in künst­le­risch-gestal­te­ri­schen Dis­zi­pli­nen beein­flus­sen kann. In einem zwei­ten und drit­ten Schritt zei­ge ich am Bei­spiel der Schreib­werk­statt »Bil­der – Tex­te – Spra­che« (Wahl­pflicht­fach: Innenarchitektur/Architektur, 6. Semes­ter), wel­che Schlüs­sel­funk­ti­on das aka­de­mi­sche Schrei­ben bei der Beschrei­bung eines Rau­mes im Kon­text der Fach­kom­mu­ni­ka­ti­on ein­neh­men kann. Ein abschlie­ßen­des Fazit resü­miert mei­ne Gedan­ken zur Imple­men­tie­rung schreib­in­ten­si­ver Leh­re im Stu­di­en­gang Innenarchitektur.

1 Bil­der – Tex­te – Sprache

»Schrei­ben reprä­sen­tiert unse­re Gedan­ken in ein­zig­ar­ti­ger Wei­se. Wir sehen etwas vor­her. Wir erpro­ben. Wir ent­schei­den. Unser Den­ken mate­ria­li­siert sich auf dem Papier. Dies ist alles rich­tig und greift den­noch zu kurz. Denn zwi­schen Außen­welt und mensch­li­cher Wahr­neh­mung gibt es einen Raum, den wir Inter­pre­ta­ti­on nen­nen. Er beschreibt die mensch­li­che Art, Infor­ma­tio­nen und Emp­fin­dun­gen zu ver­ar­bei­ten. Wör­ter sind nicht neu­tral. Selbst wenn alle Wör­ter neu­tral wären, wäre die per­sön­li­che Erfah­rung des Ein­zel­nen doch immer wie­der eine ande­re.«[3]

Schrei­ben­de in künst­le­risch-gestal­te­ri­schen Dis­zi­pli­nen erle­ben ihren Schreib­pro­zess als einen kom­ple­xen Pro­zess des Gestal­tens einer tex­tu­el­len Wirk­lich­keit über das Skiz­zie­ren und Pla­nen, das Fin­den und Abglei­chen geeig­ne­ter Text­hand­lun­gen und Text­pro­ze­du­ren. In die­sem Punkt unter­schei­det sich das aka­de­mi­sche Schrei­ben in der Innen­ar­chi­tek­tur vom Wis­sen gene­rie­ren­den oder pro­blem­lö­sen­den Schrei­ben in den Fach­dis­zi­pli­nen.[4] Ein schreib­di­dak­ti­sches Kon­zept muss dem­zu­fol­ge Lern­zie­le for­mu­lie­ren, wel­che die inter­dis­zi­pli­nä­re Ver­knüp­fung von fach­li­chen und über­fach­li­chen Auf­ga­ben in einem situa­ti­ven Rah­men her­stel­len und dem Spre­chen über die Gene­se eines Tex­tes Raum geben:

1. Das Wis­sen um die Bedeu­tung des Evo­zie­rens inne­rer Bil­der beim Leser über die Medi­en Bild und Text ver­mit­teln, d. h. die Schreibar­ran­ge­ments ermög­li­chen den Schrei­bern krea­ti­ves Pro­blem­lö­sen über das »Suchen und Fin­den auf dem Feld unzäh­li­ger Anschluss­mög­lich­kei­ten«[5].

2. Das Wis­sen um die rele­van­ten Merk­ma­le fach- und berufs­spe­zif­scher Text­sor­ten und die Rele­vanz impli­zi­ten Wis­sens für die Gestal­tung fach- und domä­nen­spe­zi­fi­sche Text­hand­lun­gen, dies beinhal­tet die bewuss­te Ver­wen­dung adäqua­ter Text­pro­ze­du­ren und ein umfas­sen­des Reper­toire an geeig­ne­ten Pro­ze­du­ren­aus­drü­cken.[6]

3. Das Wis­sen um die Funk­ti­on des Spre­chens über Bil­der und Tex­te für den eige­nen Schreib­pro­zess, wie bei­spiels­wei­se durch das Peer-Feed­back bei der Über­ar­bei­tung der Tex­te hin­sicht­lich des Ein­neh­mens einer kri­tisch-distan­zier­ten Hal­tung zum eige­nen Text.

2 Das didak­ti­sche Kon­zept

Ein Schreibar­ran­ge­ment soll die Schrei­ber dazu anlei­ten, fach­spe­zi­fi­sche Tex­te (z. B. Fach­ar­ti­kel) über Ent­wür­fe (Text­for­men) – unter Berück­sich­ti­gung inter­tex­tu­el­ler Bezü­ge (Refe­ren­zen aus der Fach­li­te­ra­tur, Bild­ma­te­ria­li­en – zu ver­fas­sen, gestal­te­ri­sche Phä­no­me­ne in Tex­ten abzu­bil­den und über das Spre­chen über den Bild-Text-Kom­bi­na­tio­nen mög­li­che Leser­per­spek­ti­ven aus­zu­lo­ten. Fach­li­che Schreib­kom­pe­tenz wird zum einen über die stei­gen­de Kom­ple­xi­tät der Auf­ga­ben und zum ande­ren durch die Erwei­te­rung des Reper­toires an Text­sor­ten­mus­tern, Text­hand­lun­gen und Text­pro­ze­du­ren sowie das geziel­te Ein­neh­men ziel­grup­pen­spe­zi­fi­scher Leser­per­spek­ti­ven auf­ge­baut.[7]

Abbil­dung 1: Text­hand­lung Einen Raum beschreiben

Das im nächs­ten Abschnitt stark ver­kürzt dar­ge­stell­te Schreibar­ran­ge­ment zeigt am Bei­spiel der Text­hand­lung »Einen Raum beschrei­ben«, wie der Schreib­pro­zess mit dem gestal­te­ri­schen Ent­wurfs­pro­zess ver­bun­den wer­den und das Schrei­ben im Fach­stu­di­um zur »Rou­ti­ne als eine Art des Han­delns«[8] rei­fen kann.

3 Das Schreibar­ran­ge­ment[9]

Das Schreibar­ran­ge­ment ist in den situa­ti­ven Kon­text »Einen Fach­ar­ti­kel schrei­ben« ein­ge­bet­tet und über­setzt die Wahr­neh­mung eines Rau­mes über das Medi­um Bild in ver­ba­le Sprache. 

Schritt 1
(Es wird das Bild des Rau­mes an die Wand projiziert.)
Notie­ren Sie alle Wor­te, die sie in die­sem Raum visu­ell ver­an­kert fin­den, und ord­nen Sie die­se dann in einer Mind-Map gra­fisch. Die Wor­te sol­len einen der fol­gen­den Aspek­te fokussieren:
• Funk­tio­nen des Rau­mes (Form und Aus­stat­tung, Ziel­grup­pe und Nutzung)
• Wir­kun­gen des Rau­mes (sinn­li­che Wir­kung: optisch, hap­tisch, akustisch)
• Eigen­schaf­ten des Rau­mes (u. a. Far­ben, Ober­flä­chen, Mate­ria­li­en, Gestal­tungs­rhyth­men, Pro­por­tio­nen, Belichtung)

Schritt 2
Erstel­len Sie die Roh­fas­sung der Beschrei­bung eines der auf­ge­führ­ten Aspektes. 

Schritt 3
Tau­schen Sie Ihre Text­ent­wür­fe unter­ein­an­der aus. Lesen und kom­men­tie­ren Sie die Ent­wür­fe Ihrer Peers. 

Anschlie­ßend folgt – in Abgleich mit dem Bild – eine inten­si­ve Dis­kus­si­on der ein­zel­nen Text­ent­wür­fe. Die Schrei­ber über­ar­bei­ten die Roh­fas­sung ihrer Tex­te und ver­fas­sen eine Raum­be­schrei­bung, wel­che die ande­ren Aspek­te berück­sich­tigt. Eine Dis­kus­si­on der Tex­te im Ple­num run­det die­ses Schreibar­ran­ge­ment ab.

3 Fazit

Das schreib­di­dak­ti­sche Kon­zept ver­steht sich ein Bau­stein für cur­ri­cu­la­re Über­le­gun­gen und bedarf der Ergän­zung durch wei­te­re Evaluation.

  1. [1] s. das inter­dis­zi­pli­nä­re Pro­jekt PLAN­werk. Merkur.de: »Erleuch­tung garan­tiert.« http://www.merkur.de/leben/wohnen/heim-handwerk-2015-erleuchtung-garantiert-5752565.html (Stand: 30.8.2016).
  2. [2] Weber, Wib­ke (2013): Struk­tu­rie­rungs­mus­ter: Schrei­ben als Design­pro­zess. In: Stü­che­li-Her­lach, Peter; Per­rin, Dani­el (Hg.): Schrei­ben mit Sys­tem. PR-Tex­te pla­nen, ent­wer­fen und ver­bes­sern. Wies­ba­den 2013. S. 191—21.
  3. [3] Ber­ning, Johan­nes (2015): Schau­en –Wahr­neh­men – Notie­ren: Wie das Schrei­ben den Blick dehnt. In: Schmöl­zer-Eib­in­ger, Sabi­ne.; Thür­mann, Eike (Hg.): Schrei­ben als Medi­um des Ler­nens. Kom­pe­tenz­ent­wick­lung durch Schrei­ben im Fach­un­ter­richt. Müns­ter, New York 2015. S. 219. 
  4. [4] ebd. 
  5. [5] ebd. 
  6. [6] Feil­ke, Hel­mut (2015): Text und Ler­nen – Per­spek­ti­ven­wech­sel in der Schreib­for­schung. In: Schmöl­zer-Eib­in­ger, Sabi­ne; Thür­mann, Eike(Hg.): Schrei­ben als Medi­um des Ler­nens. Kom­pe­tenz­ent­wick­lung durch Schrei­ben im Fach­un­ter­richt. Müns­ter, New York 2015. S. 61—65.
  7. [7] Vgl. auch Rot­ter, Danie­la; Schmöl­zer-Eib­in­ger, Sabi­ne (2015): Schrei­ben als Medi­um des Ler­nens in der Zweit­spra­che. In: Schmöl­zer-Eib­in­ger, Sabi­ne; Thür­mann, Eike (Hg.): Schrei­ben als Medi­um des Ler­nens. Kom­pe­tenz­ent­wick­lung durch Schrei­ben im Fach­un­ter-richt. Müns­ter, New York 2015. S.81—83.)
  8. [8] Weis­berg, Jan (2012): Schreib­flüs­sig­keit und Schreib­rou­ti­nen. In: Feil­ke, H.; Leh­nen, K.(Hg.): Schreib- und Text­rou­ti­nen. Frank­furt am Main 2012. S. 158. 
  9. [9] Das Schreibar­ran­ge­ment wur­de gemein­sam mit Micha­el Hein­rich; seit 2006 Pro­fes­sur an der Hoch­schu­le Coburg (Ent­wurf, Dar­stel­lung; Wahr­neh­mungs- und Gestal­tungs­grund­la­gen; Raum- und Archi­tek­tur­ge­schich­te; Büh­nen­bild, Con­cept Art) entwickelt. 

Doppelausgabe Nr. 8 und 9, Herbst 2016

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