Mythen des Alltags

Cityroller

Lieber schlecht gefahren als gut gelaufen

Von Annemarie Krätz


Taki­ra Racing, Apol­lo City, Hudo­ra Big Wheel. Klei­ne Räder, gro­ße Räder, klapp­bar, elek­trisch: City­rol­ler! Seit ein paar Jah­ren scheint die­se bahn­bre­chen­de Mobi­li­täts­lö­sung in Form des kom­pak­ten Stadt­flit­zers dem anzug­tra­gen­den Groß­stadt-Bän­ker die letz­ten 500 m zwi­schen U-Bahn und Büro auf effi­zi­en­te Wei­se zu erleich­tern. Der City­rol­ler ist leicht, kom­pri­miert, preis­wert und darf im öffent­li­chen Nah­ver­kehr kos­ten­los mit­ge­führt wer­den, da er als Spiel­zeug ein­ge­stuft wird. Und das erklärt die gan­ze Misere.

Ich war 9 Jah­re alt, als ich zur Kom­mu­ni­on einen City­rol­ler geschenkt bekam. Schon nach einer hal­ben Stun­de im stol­zen Besitz die­ses Gefährts muss­te ich auf schmerz­li­che Wei­se erfah­ren, dass schon die gerings­te Men­ge Roll­splitt das Vor­der­rad blo­ckiert und mich im hohen Bogen über die Lenk­stan­ge beför­dert. Das schnel­le Ende der Geschich­te: Mei­ne Mut­ter stuf­te die Ver­kehrs­taug­lich­keit die­ser Höl­len­ma­schi­ne als man­gel­haft ein und ver­wehr­te mir die Fahrt damit zur Schu­le. Davon abge­se­hen: Mit dem Rad kommt man wesent­lich schnel­ler ans Ziel.

Viel­leicht mag die Ver­wen­dung des City­rol­lers auf dem letz­ten Stück zur Arbeit vie­len prak­tisch und effi­zi­ent vor­kom­men. Doch ist die ver­meint­li­che Effi­zi­enz es wirk­lich wert, sich wie ein Rie­sen­ba­by, das aus sei­nem Spiel­zeug her­aus­ge­wach­sen ist, durch die Men­schen­mas­sen auf dem mit Pflas­ter­stei­nen bedeck­ten Geh­weg zu schlän­geln? Der Rol­ler­fah­rer bewegt sich mit Schritt­ge­schwin­dig­keit zwi­schen generv­ten Fuß­gän­gern, ern­tet belus­tig­te Bli­cke und ist am Ende des Tages kaum schnel­ler am Ziel als zu Fuß.

Wenn mich ein Rol­ler­fah­rer auf dem Geh­weg über­holt, weiß ich nicht, was mir an ihm mehr leid tut. Der Ver­lust jeg­li­cher Eitel­keit oder der Lebens­stil, der für kur­ze Stre­cken Fahr­zeu­ge benötigt.

Vor ein paar Jah­ren wur­de noch die Kom­bi­na­ti­on von Anzü­gen und Snea­k­ern heiß dis­ku­tiert. Spä­ter wur­de das Out­fit mit bun­ten Socken ergänzt. Nun scheint man also sei­nen Anzug mit Taki­ra, Apol­lo oder Hudo­ra zu kombinieren …


Doppelausgabe Nr. 16 und 17, Herbst 2020

Datenschutz-Übersicht
Sprache für die Form * Forum für Design und Rhetorik

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.