1 Men­schen-bezo­ge­nes Design

Im zwei­ten Kapi­tel geht es um die Grund­be­grif­fe eines »human-cen­te­red design« in Abgren­zung zum indus­trie­zeit­li­chen tech­no­lo­gie­ge­trie­be­nen Design. Umfas­send setzt sich der Autor hier­für zunächst mit den Weg­be­rei­tern sei­nes Den­kens und frü­he­ren Ver­fech­tern seman­ti­scher Ansät­ze aus­ein­an­der. Ein Streif­zug durch die His­to­rie ver­schie­dens­ter Dis­zi­pli­nen, ins­be­son­de­re der Phi­lo­so­phie, spannt den Bogen von den Ansät­zen des grie­chi­schen Phi­lo­so­phen Prot­agoras über die Theo­rien Hum­ber­to Maturanas, Fran­cis­co Vare­las sowie René Des­car­tes‹, Ben­ja­min Lee Whorfs und Edward Sapi­rs hin zu den sprach­phi­lo­so­phi­schen Über­le­gun­gen Lud­wig Witt­gen­steins. Der Leser muss dabei kei­ne Angst haben, sich in phi­lo­so­phi­schen Theo­rien zu ver­lie­ren, dank der äußerst kla­ren, sach­li­chen Prä­sen­ta­ti­on der ein­zel­nen Ansät­ze und vor allem auch wegen der scharf­sin­ni­gen Ein­flech­tun­gen die­ser unter­ein­an­der und in den Gesamt­ent­wurf der Design­theo­rie wird einem die Lek­tü­re zwar nicht unbe­dingt mühe­los, doch aber äußerst ange­nehm und sogar fes­selnd gestal­tet. Witt­gen­steins Erkennt­nis über die Abhän­gig­keit der Spra­che von ihrem Gebrauch im sozia­len Kon­text als auch die Situa­ti­ons­be­dingt­heit der Bedeu­tung von Spra­che stel­len sich schließ­lich als die wich­tigs­ten Eck­pfei­ler der Theo­rie des men­schen­be­zo­ge­nen Designs her­aus (vgl. S. 71). Mit Witt­gen­stein wen­det sich Krip­pen­dorff denn auch gegen die meta­phy­sisch-dog­ma­ti­schen Bestre­bun­gen des an Uni­ver­sa­li­tät inter­es­sier­ten tech­no­lo­gi­schen Designs, und optiert für das Bemü­hen um Detail und Ein­zig­ar­tig­keit in der Gestal­tung (vgl. S. 72).

Der Desi­gner ist nach Krip­pen­dorff eine Art All­roun­der, der per se ein hohes Maß an Men­schen­be­zo­gen­heit auf­weist, da es ihm vor allem dar­um gehen muss, die Lebens­wei­se mög­lichst vie­ler Men­schen durch den Umgang mit Arte­fak­ten zu ver­bes­sern, indem er sich um eine ver­ant­wor­tungs­vol­le Bezie­hung zwi­schen Mensch und Tech­no­lo­gie küm­mert. Lei­der, so die Bestands­auf­nah­me des Autors, hat gera­de die­ses Maß an Men­schen­be­zo­gen­heit nicht davor bewahrt, dass der Desi­gner nur all zu häu­fig ins Hin­ter­tref­fen der Dis­kur­se gera­ten ist, sofern näm­lich sei­ne Erfol­ge nicht eben­so vor­her­sag­bar, sei­ne Metho­den weni­ger erklär­bar und sei­ne Kri­te­ri­en weni­ger durch­sich­tig sind als die ande­rer Dis­zi­pli­nen und Dis­kur­se. In Aner­ken­nung der Bedeu­tung soll der Design­dis­kurs nun ein rhe­to­ri­sches Gewicht gegen­über ande­ren Dis­kur­sen gewin­nen, der Desi­gner sozu­sa­gen sein eige­nes Kri­te­ri­um der Recht­fer­ti­gung erhal­ten, das ein gan­zes begriff­li­ches Werk­zeug zur schär­fe­ren Argu­men­ta­ti­on umfasst. Bedeu­tung selbst ist dabei zunächst defi­niert als etwas, das all jenen man­nig­fal­ti­gen Rol­len ent­spricht, die ein Arte­fakt in einem Dis­kurs poten­ti­ell spie­len kann, sie beruht zunächst auf dem Prin­zip des Sinns, was die Aner­ken­nung alter­na­ti­ver Sicht- und Hand­lungs­wei­sen impli­ziert und ist streng nach Witt­gen­stein vom Kon­text der Ver­wen­dung jewei­li­ger Arte­fak­te abhän­gig (vgl. S. 93).

Eine sol­che Form der Aner­ken­nung for­dert die seman­ti­sche Wen­de mit beson­de­rem Nach­druck vom Desi­gner mit Blick auf »Stake­hol­der« des Designs ein, damit sind alle von Design Betrof­fe­nen und an ihm und sei­ner Umset­zung inter­es­sier­ten Per­so­nen gemeint (vgl. S. 95), nicht allei­ne nur der End­nut­zer. Über­zeu­gun­gen und Wirk­lich­keits­kon­zep­te die­ser »Stake­hol­der« müs­sen bei Desi­gnern Berück­sich­ti­gung fin­den. Ihre Refle­xi­vi­tät impli­ziert des­halb zwei Ver­ste­hens­mo­men­te: einer­seits das des Desi­gners gegen­über dem von ihm vor­ge­schla­ge­nen Arte­fakt und zwei­tens das Ver­ständ­nis für das Ver­ste­hen der »Stake­hol­der« hin­sicht­lich des Arte­fakts. Weil das human-cen­te­red design Arte­fak­te für ande­re ent­wirft, muss es sozu­sa­gen eine Art Ver­ste­hen zwei­ter Ord­nung beinhal­ten. Metho­disch gilt es für den Desi­gner hier­bei Bedeu­tun­gen hin­sicht­lich von Arte­fakt­be­zü­gen zu erfra­gen und die­se mit sei­nen eige­nen Vor­stel­lun­gen abzu­glei­chen. Somit setzt ein men­schen-bezo­ge­nes Design eine min­des­tens dia­lo­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on vor­aus. Qua Dis­kurs schafft es die Design­se­man­tik Brü­cken zu schla­gen (vgl. S. 97ff.) und mit den meta­phy­si­schen Grund­an­nah­men eines her­kömm­li­chen Ver­ste­hens ers­ter Ord­nung zu bre­chen; »Stake­hol­der« wer­den nicht in kau­sa­len Zusam­men­hän­gen als Mecha­nis­men begrif­fen, die ein­fach nur auf Sti­mu­li reagie­ren, son­dern als in ihren Hand­lun­gen und in ihrem Ver­ste­hen ernst­zu­neh­men­de Akteu­re, die ihre eige­nen Tat­sa­chen schaf­fen. Krip­pen­dorffs Per­spek­ti­ve mag zunächst aus Sicht des Desi­gners weni­ger attrak­tiv, wie ein offe­nes Zuge­ständ­nis an die Spiel­räu­me von »Stake­hol­dern« daher­kom­men. Tat­säch­lich erhält der Desi­gner kei­ne pri­vi­le­gier­te Rol­le gegen­über ande­ren; was ihn jedoch als ein­zig­ar­tig aus­zeich­net, ist sein beson­de­res Ver­ständ­nis und der Respekt vor dem Lebens­ent­wurf des jeweils ande­ren. Es ist Krip­pen­dorff hoch anzu­rech­nen, dass er die Ver­ant­wort­lich­keit gegen­über Drit­ten in die Ver­ant­wor­tung des Desi­gners gegen­über sich selbst mit­ein­be­zieht und die­se zu einem zen­tra­len Aspekt sei­ner all­ge­mei­nen Theo­rie des Designs macht. Denn eine fort­ge­schrit­te­ne Design­kul­tur erwar­tet von einem guten Desi­gner, dass er die Optio­nen für »Stake­hol­der« nicht ein­fach umsetzt, son­dern die­se erwei­tert. Das ist nur mög­lich, wenn »Stake­hol­der« in ihren Über­zeu­gun­gen und Bedeu­tungs­zu­schrei­bun­gen in den Design­pro­zess ange­mes­sen inte­griert wer­den und Design­ent­schei­dun­gen an die­se dele­giert wer­den, was den moder­nen Desi­gner zwangs­läu­fig in der Weit­sicht sei­ner Umset­zungs­kom­pe­tenz herausfordert.