Doch noch ein­mal zurück zu Aris­to­te­les. Bezüg­lich der von ihm genann­ten Affek­te beschreibt er deren Wir­kung, aber er nennt auch die Topoi, wie sie her­vor­zu­ru­fen sind. Der Topos-Begriff wird hier im Sin­ne von Fund­or­ten ver­wen­det, ähn­lich wie spä­ter bei den loci a re und a per­so­na – eine von deren Reduk­ti­ons­for­men ken­nen wir als die jour­na­lis­ti­schen W-Fra­gen, als eine Art Such­for­mel. Die aris­to­te­li­schen Topoi für die Affek­te stel­len auch ein Art Such­for­mel dar, ähn­lich jenen für die Argu­men­te. So stellt Aris­to­te­les fest: »Bei jedem ein­zel­nen Affekt sind drei Aspek­te zu tren­nen. Ich tue dies am Bei­spiel Zorn: In wel­cher Gemüts­ver­fas­sung befin­den sich Zor­ni­ge? Wen zür­nen sie gewöhn­lich? Wor­über sind sie erzürnt? Wenn wir näm­lich ein oder zwei die­ser Fra­gen zu beant­wor­ten ver­ste­hen, nicht aber alle drei, so kön­nen wir wohl unmög­lich jeman­den in Zorn ver­set­zen. Ähn­lich ist es auch mit den ande­ren Affek­ten.«[8] Als Topoi für die Affek­te sieht Aris­to­te­les die gründ­li­che Ana­ly­se von Affek­ten durch Fra­gen nach deren Ursa­che. Zwar gibt es in der Rhe­to­rik eine umfang­rei­che Topos-For­schung, auch psy­cho­lo­gi­sche Topoi wur­den unter­sucht, die­ser Aspekt, der sich in beson­de­rer Wei­se auf die Wir­kungs­mäch­tig­keit bezieht, wur­de mei­ner Mei­nung nach ein wenig ver­nach­läs­sigt. Aris­to­te­les sieht also das Her­vor­ru­fen von Affek­ten in der Rede als legi­ti­me Auf­ga­be des Red­ners, gera­de­zu also not­wen­dig, um zu über­zeu­gen. Ähn­lich sah er ja auch im Rah­men sei­ner Dra­men­theo­rie die Affekt­er­zeu­gung als not­wen­dig und wich­tig, sogar sehr posi­tiv im Sin­ne einer Kathar­sis an.

Cice­ro führt auch eini­ge grund­le­gen­de Affek­te an, beim Pathos Lie­be, Hass, Zorn, Neid, Mit­leid, Hoff­nung, Freu­de, Furcht, Ver­druss[9], Quin­ti­li­an spricht ver­kürzt – im Rah­men des Schluss­teils der Rede – von Furcht, Zorn, Hass, Mit­leid, Neid, Emp­feh­lung[10].

Bei den meis­ten Phi­lo­so­phen der Zeit – etwa bei den Stoi­kern – steht der Ein­satz der Affek­te für die Rede weni­ger hoch im Kurs, schon hier wird der Vor­wurf erho­ben, sie ver­hin­der­ten, wenn es um die Wahr­heit gin­ge, die ratio­na­le Argumentation.

Bei den Rhe­to­ri­kern, bei Aris­to­te­les, Cice­ro und Quin­ti­li­an wird die Rede, die auf Argu­men­ten (dem Logos), Ethos und Pathos basiert eher wert­neu­tral gese­hen. Der rich­ti­ge Ein­satz von Argu­men­ten wird zu einer ethi­schen Ange­le­gen­heit als Sache des Red­ners erklärt, den Quin­ti­li­an dann als »vir bonus dicen­di peri­tus«, als »ethisch guten Men­schen, der gut, über­zeu­gend zu reden ver­steht«, vor­stellt[11]. Mit der Tri­as Logos, Ethos und Pathos bil­det sich in der Anti­ke auch die Leh­re von den drei Stil­ar­ten her­aus: der schlich­ten, der mitt­le­ren und der groß­ar­ti­gen, erha­be­nen Stil­art. Beson­ders die erha­be­ne Stil­art ist dem Pathos ver­pflich­tet, Ethos basiert danach eher auf der mitt­le­ren und schlich­ten. Aller­dings sind die drei Stil­ar­ten nicht voll­kom­men deckungs­gleich mit den drei Auf­ga­ben, auf die die Rhe­to­rik der Red­ner ver­pflich­tet, dem Beleh­ren, Unter­hal­ten und Bewe­gen – doce­re, delec­ta­re, move­re, wobei aller­dings beson­ders das move­re, das Bewe­gen, dem Pathos und der Affekt­er­re­gung ver­bun­den ist.

In den fol­gen­den Jahr­hun­der­ten änder­ten sich die Rhe­to­rik­re­zep­ti­on und die Ein­stel­lung zu den Affek­ten durch gesell­schaft­li­che, kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Ver­än­de­run­gen. Im Mit­tel­al­ter wur­de die Rhe­to­rik in beson­de­rem Maße in der Pre­digt­leh­re ver­ar­bei­tet. Der Kir­chen­va­ter Augus­ti­nus sah die Affek­te aller­dings nicht als wert­neu­tral an, er unter­schied zwi­schen posi­ti­ven und nega­ti­ven Affek­ten, ent­spre­chend zwi­schen einem Tugend- und eine Las­ter­ka­ta­log. Wobei die jewei­li­gen Las­ter­ka­ta­lo­ge als Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, inso­fern tra­di­tio­nell eher zum Ethos gerech­net, in die Leh­re von der sie­ben Tod­sün­den ein­flos­sen: Zorn, Neid, Hoch­mut, Völ­le­rei, Wol­lust, Hab­gier, Träg­heit. Als posi­ti­ve Affek­te wur­den jene ange­se­hen, die zur Bekeh­rung, zum Glau­bens­sieg, beweg­ten. Wobei die Affekt­er­re­gung in der Pre­digt nicht nur in der hohen Stil­art, sti­lus gran­de, erfol­gen, son­dern auch durch den mitt­le­ren und ein­fa­chen Stil erfol­gen soll­te Eini­ge Pre­digt­theo­rien behaup­ten gar, dass durch die Affekt­er­re­gung ewi­ge Freu­de und ewi­ge Ver­dam­mung im Vor­aus spür­bar wer­de.[12] Es wur­de auch ver­sucht, Affek­te im Publi­kum her­vor­zu­ru­fen, Pre­dig­ten rie­fen Applaus­be­kun­dun­gen her­vor, das Oster­la­chen war vom aus­ge­hen­den Mit­tel­al­ter bis ins 19. Jahr­hun­dert hin­ein mit der katho­li­schen Pre­digt zu Ostern ver­bun­den. Viel­fach wur­den die Affek­te auch neu­tral gese­hen, da sie letzt­lich doch der Kon­trol­le des frei­en Wil­lens unterstanden.