Die unhin­ter­geh­ba­re Bedeut­sam­keit von KI-Technologien

Um den KI-Dis­kurs in Deutsch­land unter­su­chen zu kön­nen, habe ich an ande­rer Stel­le (Som­mer­feld 2023) ein medi­en­kul­tur­r­he­to­ri­sches For­schungs­pro­gramm ent­wi­ckelt, das als Theo­ry-Method-Packa­ge gewich­ti­ge kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Strö­mun­gen und medi­en­wis­sen­schaft­li­che Ana­ly­se­werk­zeu­ge[5] mit den Kern­ein­sich­ten und Instru­men­ta­ri­en der Wis­sen­schaft der Rhe­to­rik zusam­men­bringt. Wäh­rend sich der Mensch als hand­lungs­fä­hi­ge Grö­ße in den Kul­tur­wis­sen­schaf­ten bereits seit eini­gen Jah­ren in jenem Netz aus Dis­kur­sen und nicht-mensch­li­chen Akteu­ren zu ver­lie­ren droht, in das ihn Post­struk­tu­ra­lis­mus und Post­hu­ma­nis­mus ein­ge­webt haben, bin ich der Über­zeu­gung, dass es mit der Rhe­to­rik gelingt, das schein­bar Unver­ein­ba­re mit­ein­an­der zu ver­ei­nen, den Men­schen sowohl als fremd­be­stimmt als auch als hand­lungs­fä­hig und kul­tur­schöp­fe­risch zu den­ken. Der Mensch fügt sich in die Leer­stel­len poten­zi­el­ler kul­tu­rel­ler Trans­for­ma­ti­on[6], um, mit Rhe­to­ri­ker Joa­chim Kna­pe (2000, 76) gespro­chen, »wenigs­tens für einen Moment infor­ma­tio­nel­le Sou­ve­rä­ni­tät zu erlan­gen« und damit zum Ora­tor zu wer­den. In die­ser Per­spek­ti­ve geht kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Dis­kurs­for­schung dar­über hin­aus, den Ist-Zustand ver­ste­hen zu wol­len – sie will vom Ist-Zustand zum Soll-Zustand und Sub­jek­te ent­spre­chend mit den Werk­zeu­gen aus­stat­ten, die­sen Zustand ima­gi­nie­ren und ver­wirk­li­chen zu kön­nen. Eine medi­en­kul­tur­r­he­to­ri­sche Ana­ly­se des KI-Dis­kur­ses fragt also nicht nur danach, wel­che Vor­stel­lung von den Tech­no­lo­gien wir uns machen, son­dern auch danach, inwie­fern der Mensch im bestehen­den tech­no­kul­tu­rel­len Sinn­ge­flecht noch hand­lungs­fä­hig ist und wel­che Fähig­kei­ten er kul­ti­vie­ren muss, um Kul­tur nach­hal­tig aktiv gestal­ten zu kön­nen. Man könn­te auch sagen: um nicht wie Dave Eggers Mae zu enden.

Eben­falls an ande­rer Stel­le (vgl. Som­mer­feld 2023) habe ich eine Fall­stu­die zur Zei­tungs­be­richt­erstat­tung zu Künst­li­cher Intel­li­genz und des­sen Spie­ge­lung auf Social Media am Bei­spiel Face­book durch­ge­führt. Social-Media-Dis­kurs­frag­men­te gel­ten als eine ver­nach­läs­sig­te aber umso wich­ti­ge Grö­ße in der Dis­kurs­for­schung, da sich dort die Gren­zen des Sag­ba­ren und des Nicht-Sag­ba­ren ver­schie­ben. Wäh­rend bei­spiels­wei­se im Kli­ma­wan­del-Dis­kurs die The­se von der »Kli­ma­lü­ge« in den Mas­sen­me­di­en als das nicht Arti­ku­lier­ba­re gilt, wird die­se in den sozia­len Medi­en sehr wohl ver­tre­ten (Tereick 2013, 2016). Die gesell­schaft­lich gesetz­ten Wahr­hei­ten wer­den hier her­aus­ge­for­dert, und das muss zunächst als ein all­ge­mei­nes Poten­zi­al betrach­tet wer­den, das Chan­cen wie Gefah­ren für den sozia­len Frie­den bie­tet und auf die Not­wen­dig­keit des Kul­ti­vie­rens rhe­to­ri­scher Kom­pe­ten­zen ver­weist.[7] Unter­su­chun­gen Künst­li­cher Intel­li­genz erlau­ben eine kri­ti­sche Refle­xi­on der gegen­wär­ti­gen (Un-)Möglichkeitsbedingungen des Ora­tors (Som­mer­feld 2023, S. 120—251).] So fin­den sich in sozia­len Medi­en wie Face­book bei­spiels­wei­se Ver­ba­li­sie­run­gen von Sexis­mus, die in die­ser Dras­tik und Expli­zit­heit in den Mas­sen­me­di­en, d. h. im hege­mo­nia­len Dis­kurs, nicht denk­bar wären.[8] Gleich­sam wird aber, zumin­dest in Ansät­zen, im Face­book-Kor­pus das infra­ge gestellt, was viel­leicht als impli­zi­te gro­ße Erzäh­lung Künst­li­cher Intel­li­genz bezeich­net wer­den kann: dass die KI-Tech­no­lo­gien unhin­ter­geh­bar bedeut­sam sei­en. Als über­ge­ord­ne­tes Deu­tungs­mus­ter zieht sich die­se »Erzäh­lung« durch das gesam­te Zei­tungs-Kor­pus: sei es durch die ver­wen­de­te Revo­lu­ti­ons-Rhe­to­rik, wenn KI als epo­chal, als gro­ßes The­ma unse­rer Tage, als Geschich­te hin­ter allen ande­ren Geschich­ten bezeich­net wird, die das Ver­hält­nis von Mensch und Maschi­ne erst­mals von Grund auf ver­än­de­re[9] und mit der Ent­de­ckung von Feu­er und Elek­tri­zi­tät sowie der Erfin­dung der Schrift ver­gli­chen wird; sei es durch das visu­el­le Ste­reo­typ (Visio­typ) von künst­lich-blau­en Zah­len­hin­ter­grün­den, die bei­spiels­wei­se über eine Abbil­dung der Land­flä­chen der Erde gelegt wer­den; oder sei es durch das Nicht-Gesag­te, näm­lich die Abwe­sen­heit alter­na­ti­ver Gesell­schafts­ent­wür­fe, in denen der (Sub-)Text ein­mal nicht das Bild von KI als Natur­ge­walt zeichnet.

Dabei geht es hier kei­nes­wegs dar­um, reak­tio­nä­ren Posi­tio­nen das Wort zu reden – das Rad der Zeit lässt sich nicht zurück­dre­hen und soll auch nicht zurück­ge­dreht wer­den. Wohl aber geht es dar­um, die Fra­ge auf­zu­wer­fen, ob auch die KI-Tech­no­lo­gien allein ent­lang der Fix­punk­te einer blin­den Fort­schritts­gläu­big­keit dis­ku­tiert wer­den sol­len, bei der stets das Mach­ba­re das Bestehen­de vor­an­treibt. Oder ob auch Alter­na­ti­ven skiz­ziert wer­den kön­nen, nach­ge­ra­de Tech­nik-Uto­pien, wie sie einst Brecht mit sei­ner Radio­theo­rie ent­warf, und ob dann vor das Mach­ba­re etwas ande­res tritt – das Mensch­li­che. Dafür gilt es auch, kom­ple­xe Tech­nik-Dis­kur­se zu ver­ste­hen sowie zu ent­schlüs­seln und dabei das gesam­te dis­kur­si­ve Spek­trum zu berück­sich­ti­gen. Denn dort, in den noch wenig beleuch­te­ten Ecken der Social-Media-Kom­mu­ni­ka­ti­on schim­mert, mit Ernst Bloch gespro­chen, das uto­pisch Unab­ge­gol­te­ne auf, das der wider­stän­di­ge Social-Media-Ora­tor für sich zu nut­zen ler­nen kann.

  1. [5] Ins­be­son­de­re Ansät­ze aus der Mul­ti­mo­da­li­täts­for­schung (Hol­ly 2006 sowie z. B. Klemm 2016; Klemm/Michel 2014) und Sozi­al­se­mio­tik (Kress/van Lee­u­wen 2021). 
  2. [6] »Obwohl vie­les für die Hete­ro­no­mie des Sub­jekts in die­sem ›post­sou­ve­rä­nen‹ Kul­tur­ge­fü­ge spricht, wird (…) mit der Wis­sen­schaft der Rhe­to­rik an der Idee des Ora­tors, als kul­tur­schöp­fe­risch täti­gem Sub­jekt, fest­ge­hal­ten. Der Ora­tor fügt sich in die Leer­stel­len poten­zi­el­ler kul­tu­rel­ler Trans­for­ma­ti­on ein, in die Brü­chig­keit des ›leib­per­for­ma­ti­ven‹ (But­ler 2013÷(1997), 2016) Sprech­akts, um Kul­tur aktiv zu gestal­ten« (Som­mer­feld 2023, 44). 
  3. [7] Dies ist eine von drei empi­risch gestütz­ten und anhand dis­kur­si­ver Ver­dich­tun­gen erläu­ter­ten Haupt­the­sen mei­ner Dis­ser­ta­ti­on, die lau­ten: I Die KI-Tech­no­lo­gien wer­den zum Schau­platz von Bedeu­tungs­kämp­fen dis­kur­si­ver Kon­ti­nui­tä­ten; II Social-Media-Kom­mu­ni­ka­ti­on bil­det ein dis­kur­si­ves Gegen­ge­wicht, das glei­cher­ma­ßen Gefah­ren wie Poten­zia­le für demo­kra­ti­sche Gesell­schaf­ten birgt; III Die Ergeb­nis­se medienkulturrhetorischer[/kulturwissenschaftlicher
  4. [8] In der For­schungs­li­te­ra­tur wird hier auch von Online Cul­tu­ral Back­lash gespro­chen (vgl. Inguanzo/Zhang/de Zúñi­ga 2021). 
  5. [9] Bei den in die­sem Abschnitt kur­siv gesetz­ten For­mu­lie­run­gen han­delt es sich um Zita­te aus dem für die Dis­ser­ta­ti­on unter­such­ten Zei­tungs­kor­pus aus ebd. S. 121—125.

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