Filmbesprechung

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»The Artist« – stumm, aber nicht nur leise

Eine Rezension von Constanze Schneider


Ein Stumm­film, schwarz­weiß – das ist die Revo­lu­ti­on auf der Lein­wand und das gleich in zwei­er­lei Hin­sicht. »Revo­lu­tio« aus dem Latei­ni­schen ein­mal als »umwäl­zen«, »rich­tungs­wei­send« und ein­mal als »zurück­wäl­zen«. Das Revo­lu­tio­nä­re ist in die­sem Film auf unglaub­lich char­man­te Art gelöst, dass man ver­sucht ist, die Ana­ly­se aufzugeben.

Der Film bedient sich also einer Tech­nik, die für das Erschei­nungs­jahr sehr mutig erscheint – ein Stumm­film in schwarz­weiß, mit vie­len lan­gen Ein­stel­lun­gen und dazu noch in 3:4 gedreht. Aus heu­ti­ger Sicht gibt es dafür kei­nen Grund, tech­ni­sche Mit­tel sind da. So wie frü­her die Male­rei in der Funk­ti­on des puren Abbil­dens durch die Foto­gra­fie über­flüs­sig gemacht wur­de, wur­de der Stumm­film durch Ton­film abge­löst, der Schwarz­weiß-Film durch den Farb­film. Von wegen! »The Artist« beweist das Gegen­teil. Der Text, den die Schau­spie­ler »spre­chen«, wird in eini­gen prä­gnan­ten Sät­zen ein­ge­blen­det. Für die Titel­se­quenz bedient man sich eben­falls eines cha­rak­te­ris­ti­schen Ele­ments des frü­hen Films, Schau­spie­ler, Titel und Regis­seur wer­den vor Beginn des Films bedacht. Es folgt eine Zeit­an­ga­be, in der der Film spielt, 1927.

Die lau­tes­te Sze­ne eröff­net den Film. Sie steht in extre­men Kon­trast zu dem ruhi­gen Vor­spann, audi­tiv und visu­ell. Der Haupt­dar­stel­ler wird von zwei Män­nern mit Strom­schlä­gen am Kopf gefol­tert. Mit schmerz­ver­zerr­tem Gesicht und den Mund zum stum­men Schrei geöff­net »Ich sage nichts! Ich sage kein Wort!!!«[1] wird der Zuschau­er über die Situa­ti­on auf­ge­klärt. Bedroh­li­che Musik beglei­tet von Anfang an die­se Sze­ne, die sich mit dem Schnitt in ein Thea­ter fort­setzt. Es wird nun deut­lich, dass die­se Anfangs­sze­ne Teil eines Films ist, den die Zuschau­er im Thea­ter sehen. Die Musik dazu kommt aus dem Orches­ter­gra­ben, und das Thea­ter ist voll besucht. Um das Milieu der Schau­spie­le­rei und des Films wei­ter zu eta­blie­ren, wird die Hin­ter­büh­ne des Thea­ters gezeigt, auf der der Haupt­dar­stel­ler des Films mit sei­nem Hund das Gesche­hen auf der spie­gel­ver­kehr­ten Lein­wand ver­folgt. Geor­ge Valen­tin ist sowohl Haupt­dar­stel­ler des Films als auch des Films im Film, denn er spielt einen Schau­spie­ler. Nach der Pre­mie­re sei­nes eben gezeig­ten Films, lässt er sich vor dem Thea­ter fei­ern und wird unbe­ab­sich­tigt von einer Dame ange­rem­pelt, die sich nach ihrer Tasche bückt. Bei­de amü­sie­ren sich dar­über, sie drückt ihm im Eifer des Gefechts einen Kuss auf die Wan­ge, der am nächs­ten Tag in allen Zei­tun­gen abge­lich­tet ist.

Mor­gens – sie sitzt im Bus, er beim Früh­stück – begeg­nen bei­de die­sem Bild mit einem Lächeln, die Dame scheint fast ver­liebt. Die Sze­ne beginnt mit der Ein­blen­dung des ursprüng­li­chen »Hollywoodland«-Schriftzugs. 1927 war die­ser Schrift­zug Wer­bung für eine Mak­ler­fir­ma, die Grund­stü­cke ver­äu­ßern woll­te. Er kann also in einem Film, der in den Zwan­zi­gern spielt nur als eine Orts­an­ga­be ver­stan­den wer­den. Heu­te ste­hen die Buch­sta­ben aller­dings für die gan­ze Film­in­dus­trie und sind zur Meta­pher für Erfolg in sel­bi­ger gewor­den. In der Wahr­neh­mung des Kino­pu­bli­kums von 2011 und 2012, kann man also von die­sen Asso­zia­tio­nen aus­ge­hen. Der Ruf der Film­in­dus­trie führt die Dame zu den »Kino­graph Stu­di­os«, wo sie zufäl­lig eine Rol­le in einem Film mit Geor­ge Valen­tin ergat­tert und damit auch einen Namen in Hol­ly­wood bekommt, Pep­py Mil­ler. Die Sym­pa­thie der bei­den für­ein­an­der stei­gert sich wäh­rend der Dreh­ar­bei­ten, bis die Geschich­te eine Wen­dung bekommt, die sich durch Ein­füh­rung des Ton­films ein­läu­tet. Dabei benutzt der Film ein inter­es­san­tes Stil­mit­tel (Evi­denz), denn in einer kur­zen Sze­ne gibt es Ton im Stumm­film. Man hört plötz­lich das Glas, das auf den Tisch gestellt wird, oder den bel­len­den Hund, wäh­rend zuvor nur die Musik als laut­ma­le­ri­sches Ele­ment dien­te. Die­se Art Ton­film im Stumm­film tritt vor­her nicht auf. Die kur­ze Sequenz in der Mit­te des Films endet mit einer Hyper­bel, indem eine Feder zu Boden glei­tet und Geor­ge in dem Moment einen lau­ten Knall hört, den Krach nicht ertra­gen kann.


Ausgabe Nr. 4, Frühjahr 2014

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