Essay

Über Arbeit und die Diskriminierung Arbeitsloser

Eine alltagsästhetische Betrachtung

Von Pierre Smolarski


Was zei­gen wir, wenn wir von Arbeit reden? Wen zei­gen wir, wenn wir von Arbeits­lo­sig­keit reden? Im Sin­ne der Rhe­to­rik gefragt: Wie wird der Logos der Not­wen­dig­keit (des Arbei­tens) mora­lisch-emo­tio­nal gestützt?

Bei­de – Rhe­to­rik und All­tags­äs­the­tik – haben es mit einem ganz spe­zi­fi­schen Ver­ständ­nis von Not­wen­dig­keit zu tun. Im Fal­le der All­tags­äs­the­tik rührt die­ses Ver­ständ­nis von Not­wen­dig­keit aus dem Bezug zum all­täg­li­chen Dasein selbst. Der All­tag ist fest mit Nor­ma­ti­vi­tät ver­bun­den, mit den Vor­stel­lun­gen von dem, was die Norm ist oder sein soll. Die­se Nor­ma­ti­vi­tät des All­tags rührt in wei­ten Tei­len von der Not­wen­dig­keit des All­täg­li­chen her, denn zunächst kon­fron­tiert uns das Leben selbst mit den Not­wen­dig­kei­ten des Lebens­er­halts. Der Kreis­lauf des Lebens, das Beschaf­fen von Nah­rung, die Ein­ver­lei­bung und die neu­er­li­che Beschaf­fung, aber eben­so die Kon­sum­ti­on von Klei­dung, Wohn­raum und vie­lem mehr, hat einen zwin­gen­den Cha­rak­ter. Han­nah Are­ndt ord­net die­sen Tat­be­stand in den Lebens­zu­sam­men­hang der Natur, wenn sie schreibt: »Das Leben ist ein Vor­gang, der über­all das Bestän­di­ge auf­braucht, es abträgt und ver­schwin­den lässt, bis schließ­lich tote Mate­rie, das Abfall­pro­dukt ver­ein­zel­ter, klei­ner, krei­sen­der Lebens­pro­zes­se, zurück­fin­det in den alles umfas­sen­den unge­heu­ren Kreis­lauf der Natur selbst, die Anfang und Ende nicht kennt und in der alle natür­li­chen Din­ge schwin­gen in unwan­del­ba­rer, tot­lo­ser Wie­der­kehr.«[1] »Leben« ist in die­ser Wei­se nicht als das In-der-Welt-Sein des Sub­jek­tes ver­stan­den, son­dern als die all­ge­mei­ne Kate­go­rie natür­li­cher Pro­zes­se und kennt als sol­ches weder Tod noch Geburt, weder Sinn noch Frei­heit. Mensch­li­che Tätig­kei­ten, so Are­ndt, ent­sprin­gen der Not­wen­dig­keit, die­sen natür­li­chen Pro­zes­sen zu wider­ste­hen, und sind doch selbst in den Kreis­lauf der Natur gebun­den.[2] Das all­täg­li­che Dasein, das auch für ande­re Theo­re­ti­ker des All­tags wie Mar­tin Heid­eg­ger[3] und Agnes Hel­ler [4] durch die Sor­ge gekenn­zeich­net ist, durch das Besor­gen, wie durch die Für­sor­ge, erscheint bei Are­ndt durch die natür­lichs­ten Tätig­kei­ten des Men­schen am deut­lichs­ten: Dem Arbei­ten und Kon­su­mie­ren. Was die­se so »natür­lich« macht, ist gera­de ihr zwin­gen­der Cha­rak­ter und die end­lo­se Wie­der­ho­lung, in der sie das arbei­tend Her­vor­ge­brach­te nahe­zu umge­hend kon­su­mie­rend ver­brau­chen müs­sen. Ich zitie­re eine län­ge­re Pas­sa­ge aus der Vita Acti­va, weil Are­ndt hier­in auch zu einer Poin­te fin­det, die tref­fend das Grund­pro­blem vor Augen stellt:

»Nicht nur die Erhal­tung des Kör­pers, son­dern auch die Erhal­tung der Welt erfor­dert die mühe­vol­le, ein­tö­ni­ge Ver­rich­tung täg­lich sich wie­der­ho­len­der Arbei­ten. Obwohl die­ser Arbeits­kampf […] viel­leicht noch ›unpro­duk­ti­ver‹ ist als der ein­fa­che Stoff­wech­sel des Men­schen mit der Natur [den Marx als Arbeit bezeich­net], steht er doch in einem erheb­lich enge­ren Bezug zu der Welt, deren Bestand er gegen die Natur ver­tei­digt. Von ihm hören wir oft in Sagen und Mythen als wun­der­ba­ren hel­den­haf­ten Taten, wie etwa in den Geschich­ten von Her­ku­les, zu des­sen zwölf ›Arbei­ten‹ bekannt­lich auch die Rei­ni­gung des Augi­as­stalls gehör­te. […] Von sol­chen Hel­den­ta­ten ist aller­dings fak­tisch in dem täg­li­chen Klein­kampf, den der mensch­li­che Kör­per um die Erhal­tung und Rein­hal­tung der Welt zu füh­ren hat, wenig zu spü­ren; die Aus­dau­er, deren es bedarf, um jeden Tag von neu­em auf­zu­räu­men, was der gest­ri­ge Tag in Unord­nung gebracht hat, ist nicht Mut, und es ist nicht Gefahr, was die­se Anstren­gung so mühe­voll macht, son­dern ihre end­lo­se Wie­der­ho­lung. Die ›Arbei­ten‹ des Her­ku­les haben mit allen Hel­den­ta­ten gemein, dass sie ein­ma­lig sind; lei­der hat nur der Augi­as­stall die wun­der­ba­re Eigen­schaft, sau­ber zu blei­ben, wenn er ein­mal gesäu­bert ist.«[5]

Eben in die­sem Sin­ne wirkt auch die Heroi­sie­rung der Arbeit auf dem Pla­kat der Neu­en West­fä­li­schen, die hier­mit Zei­tungs­zu­stel­ler sucht, wie eine bis­si­ge Sati­re (Abb. 1).

Abb. 1: Helden der Arbeit im Niedriglohnsektor, Foto: Pierre Smolarski, 12.1.2017 in Bielefeld

Abb. 1: Hel­den der Arbeit im Nied­rig­lohn­sek­tor, Foto: Pierre Smo­lar­ski, 12.1.2017 in Bielefeld


Doppelausgabe Nr. 12 und 13, Herbst 2018

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