»Ach!«, hät­te Lori­ot erneut gesagt. Und wei­ter? Die Sache wird lei­der nicht bes­ser, wenn es um Wahr­neh­mung von Magnet­fel­dern geht: »Ver­hal­tens­stu­di­en zeig­ten, dass der bio­lo­gi­sche Inkli­na­ti­ons­kom­pass durch Licht akti­viert wird und offen­bar im Auge loka­li­siert ist. Der omi­nö­se Magnet­füh­ler müs­se aus Mole­kü­len in der Netz­haut bestehen. Ange­regt durch Licht kom­me es zu einer Elek­tro­nen­über­tra­gung …, dabei ent­stün­den freie Elek­tro­nen – ein Radi­kal­paar … die For­scher spre­chen von einem Sin­gu­lett- und Triplettzustand.«

Wer Wis­sen­schaft ver­mit­telt, will sie doch zum Gegen­stand eines anre­gen­den Gesprächs machen. Wie dies mit den oben zitier­ten Infor­ma­tio­nen gelin­gen soll, bleibt eben­so schlei­er­haft wie die Her­kunft der Über­zeu­gung man­cher Ver­mitt­ler, sie hät­ten mit ihren Sät­zen etwas erklärt. Da gibt es zum Bei­spiel einen Auf­satz über »Ent­zau­ber­te Anti­oxi­dan­zi­en«, der mit sei­nem Titel doch behaup­tet, alles erklärt zu haben. Zum Bei­spiel so: »Eini­ge Arten von frei­en Radi­ka­len för­dern mög­li­cher­wei­se die Gesund­heit …, indem sie oxi­da­tiv­en Stress ver­ur­sa­chen. Bestimm­te freie Radi­ka­le sti­mu­lie­ren die zel­lu­lä­ren Repa­ra­turme­cha­nis­men eines Orga­nis­mus. Wurm­mu­tan­ten, die über­durch­schnitt­lich vie­le Super­oxi­de bil­den, leben län­ger, büßen den Zuge­winn an Lebens­dau­er aber mit anti­oxi­dan­zi­en­an­ge­rei­cher­ter Nah­rung wie­der ein.«

Jetzt soll­te alles klar sein, aber nur für den­je­ni­gen, der schon vor­her wuss­te, wor­um es ging. Tat­säch­lich zeigt die Ver­wen­dung der Voka­bel »Ent­zau­be­rung« nicht nur eine gro­be Über­schät­zung des eige­nen Ver­ste­hens – wer den Bei­trag liest, fin­det nur mehr Kom­ple­xi­tät des Gesche­hens. Der Rück­griff auf die Ent­zau­be­rung lässt eine Unter­wer­fung der Ver­mitt­ler unter das aus dem Jah­re 1917 stam­men­de Ver­dikt des Sozio­lo­gen Max Weber erken­nen, der den Wis­sen­schaft­lern vor­warf, die Welt ent­zau­bert und also lang­wei­lig gemacht zu haben. Wel­cher For­scher hat jemals die Welt ent­zau­bert und auf­ge­hört, sich zu wun­dern? Die Geheim­nis­se der Natur wer­den durch die Wis­sen­schaft nicht ge- oder erklärt. Sie wer­den durch tie­fe­re Geheim­nis­se ersetzt, wie sich an dem Bei­spiel des frei­en Falls zei­gen lässt und wie jeder durch eige­ne Erfah­run­gen prü­fen kann. Der freie Fall beschäf­tigt die Men­schen seit der Anti­ke, als etwa Aris­to­te­les die Idee vor­trug, dass Din­ge ihren Platz in der Welt haben und sich zu ihm hin­be­we­gen. Solch eine ziel­ge­rich­te­te Erklä­rung wur­de im 17. Jahr­hun­dert durch New­ton auf­ge­ge­ben, der das Fal­len von Gegen­stän­den auf eine Schwer­kraft zurück­führ­te. Wenn heu­te der Phy­sik­leh­rer fragt, war­um Din­ge nach unten fal­len, darf man nicht ant­wor­ten, dass dies dar­an liegt, dass die, die nach oben fal­len, längst weg sind. Man muss »Schwer­kraft« sagen – und soll­te dann zurück­fra­gen, was das ist und wie sie zustan­de kommt. Dies bleibt trotz vie­ler Jahr­hun­der­te und trotz Ein­stein ein Geheim­nis, und zwar eines, das tie­fer reicht als das Fal­len selbst.

Wer sich auch nur etwas Mühe mit der Wis­sen­schaft macht, wird bemer­ken, dass die Welt durch ihre Erklä­run­gen gera­de nicht ent-, son­dern viel­mehr ver­zau­bert wird. Es gibt kei­ne end­gül­ti­gen Ant­wor­ten und immer nur neue Fra­gen. Die wis­sen­schaft­lich erfass­te Welt ist nicht lang­wei­lig, wie die Sozio­lo­gen dies ger­ne hät­ten. Sie steckt vol­ler Geheim­nis­se, die an Tie­fe zuneh­men und immer neue Gene­ra­tio­nen von For­schern locken und vor allem jun­ge Men­schen begeis­tern kön­nen. Mit dem Nobel­preis fängt das Stau­nen erst an. Nur ist dar­über nichts zu lesen. So ver­schwin­den die Namen der Preis­trä­ger aus dem Gedächt­nis, bevor sie über­haupt geehrt wer­den. Die Ver­mitt­lung von Wis­sen­schaft muss sich gewal­tig ändern.


Ausgabe Nr. 3, Herbst 2013

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