Buchbesprechung

»… von Wissenschaft durchsetzt und durchwuchert«

Uwe Pörksen untersucht die Veränderungen der Alltagssprache

Eine Rezension von Melissa Rogg


»Ey Alter, wie geil is das denn??« Sie den­ken das ver­schan­de­le die deut­sche Spra­che? Falsch gedacht! Die Plas­tik­wör­ter sind das wah­re Übel – und die Exper­ten sind schuld daran!

Uwe Pörk­sens Ana­ly­se über einen bestimm­ten Wort­typ wur­de 1988 zum ers­ten Mal ver­öf­fent­licht und Klett-Cot­ta brach­te 2011 nun die sieb­te Auf­la­ge her­aus. Schon dies zeigt, dass das The­ma der Umgangs­spra­che in ihrem Wan­del immer noch, oder immer wie­der, aktu­ell ist.

»Die Ana­ly­se eines Wort­typs, der unse­re Spra­che, unser Den­ken und unse­re Welt ver­än­dert«, so der Klap­pen­text auf dem Taschen­buch, der auf den ers­ten Blick nicht viel Auf­schluss über den Inhalt gibt. Pörk­sen ist Sprach­wis­sen­schaft­ler, der bis 2000 Deut­sche Spra­che und Älte­re Lite­ra­tur am Deut­schen Semi­nar Frei­burg lehr­te. In die­sem Buch ver­sucht er einen Wort­typ, den er »Plas­tik­wör­ter« nennt, zu iden­ti­fi­zie­ren, beschrei­ben und kri­ti­sie­ren. Der Unter­ti­tel »Die Spra­che einer inter­na­tio­na­len Dik­ta­tur« lässt erah­nen, dass es sich hier nicht nur um eine Kri­tik an der deut­schen Spra­che han­delt, son­dern um gesell­schafts­kri­ti­sche Aspek­te, die sich unter ande­rem im Wan­del einer Spra­che ausdrücken.

Der ers­te Satz der 127-sei­ti­gen Aus­füh­rung gibt dem Leser die kla­re Aus­sa­ge: »Die­ser Essay ver­sucht zu beschrei­ben, in wel­cher Wei­se die Umgangs­spra­che in jüngs­ter Zeit ver­än­dert wor­den ist und wohin die Rei­se zu gehen scheint.« (S.11) Anschlie­ßend gibt Pörk­sen eine kur­ze Beschrei­bung der Begrif­fe »Umgangs­spra­che« und »Mathe­ma­ti­sie­rung der Umgangs­spra­che«. Plas­tik­wör­ter sind aus sei­ner Sicht Wör­ter, die aus der Wis­sen­schaft kom­men bezie­hungs­wei­se aus der Umgangs­spra­che in die Wis­sen­schaft gewan­dert sind und nun wie­der ihren Weg zurück in die All­tags­spra­che fin­den. Die­ser Pro­zess ver­än­de­re die Wör­ter in ihrer Bedeu­tung und Ver­wen­dung. Er will damit nicht sagen, »dass die Umgangs­spra­che zu einer wis­sen­schaft­li­chen Spra­che wer­den, son­dern, dass sie von Wis­sen­schaft durch­setzt und durch­wu­chert sei« (S.12). Pörk­sen gibt Begrif­fe wie »Kom­mu­ni­ka­ti­on«, »Ent­wick­lung«, »Sexua­li­tät«, »Iden­ti­tät« und »Infor­ma­ti­on« als Bei­spie­le an und erläu­tert ein paar davon im Lau­fe des Buchs ausführlicher.

Aus sei­nen Aus­füh­run­gen über »Sexua­li­tät« und »Ent­wick­lung« fer­tigt der Autor einen Kri­te­ri­en­ka­ta­log an, der Plas­tik­wör­ter iden­ti­fi­zie­ren soll. Eine Kurz­fas­sung der Kri­te­ri­en lau­tet: »Es [das Plas­tik­wort] ent­stammt der Wis­sen­schaft und ähnelt ihren Bau­stei­nen. Es ist ein Ste­reo­typ. Es hat einen umfas­sen­den Anwen­dungs­be­reich, ist ein ›Schlüs­sel für alles‹. Es ist inhalts­arm. Ein Reduk­ti­ons­be­griff. Kon­no­ta­ti­on und Funk­ti­on herr­schen vor. Es erzeugt Bedürf­nis­se und Uni­for­mi­tät. Es hier­ar­chi­siert und kolo­ni­siert die Spra­che, eta­bliert die Eli­te der Exper­ten und dient ihnen als ›Res­sour­ce‹. Es gehört einem noch recht jun­gen inter­na­tio­na­len Code an. Es ist beschränkt auf die Wort­spra­che.« (S.38)

Plas­tik­wör­ter sind »auf beun­ru­hi­gen­de Wei­se aus­tausch­bar.« (S.79) Der Autor zeigt dies in Wort­ket­ten, die in Zusam­men­hang ste­hen, aber kei­ne kon­kre­te Aus­sa­ge geben: »Infor­ma­ti­on ist Kom­mu­ni­ka­ti­on. Kom­mu­ni­ka­ti­on ist Aus­tausch. Aus­tausch ist eine Bezie­hung. Bezie­hung ist ein Pro­zess. Pro­zess bedeu­tet Ent­wick­lung. Ent­wick­lung ist ein Grund­be­dürf­nis. Grund­be­dürf­nis­se sind Res­sour­cen.« (S.80) Hier zeigt Pörk­sen, wie leicht eini­ge die­ser Begrif­fe ein­fach durch ande­re ersetzt wer­den kön­nen, ohne »sinn­frei« zu werden.

Das nächs­te Kapi­tel befasst sich mit dem »Exper­ten­tum«. Exper­ten wer­den als Haupt­ver­ant­wort­li­che dafür bezeich­net, dass die Umgangs­spra­che mit die­sen Plas­tik­wör­tern durch­wu­chert wird. Sie sind qua­si die Brü­cke zwi­schen Wis­sen­schaft und All­tags­spra­che, die die Durch­set­zung för­dert oder erst mög­lich macht. Sie geben den wis­sen­schaft­li­chen Begrif­fen ein wer­ten­des Ele­ment und ersetzt »das Begriffs­paar ›gut und böse‹ mit ›fort­schritt­lich und über­holt‹« (S.97). Damit ver­än­dert er das bis­her in der Wis­sen­schaft neu­tral gebrauch­te Wort und gibt es an den »Nor­mal­bür­ger« wei­ter. Pörk­sen bringt hier das Bei­spiel der poli­ti­schen Begrif­fe »rechts« und »links«. Was in der Poli­tik­wis­sen­schaft als blo­ße Ein­ord­nung der poli­ti­schen Ein­stel­lung fun­gier­te, ließ in der Umgangs­spra­che eine Vor­stel­lung rei­fen, was »ein Rech­ter« oder »ein Lin­ker« sei und gab ihm so eine Bewertung.

Der Begriff »Gesund­heit« ist ein wei­te­res Bei­spiel für ein Wort, das durch die Wis­sen­schaft in der Umgangs­spra­che ver­än­dert wur­de. Wer gesund ist, spricht nicht dar­über. Erst die Debat­ten über Gesund­heits­sys­te­me und Gesund­heits­öko­no­mie las­sen das Wort nun auch in der All­tags­spra­che wer­tend erscheinen.

Im letz­ten Kapi­tel erklärt der Autor, was er unter »Mathe­ma­ti­sie­rung der Spra­che« ver­steht. Er behaup­tet, Plas­tik­wör­ter hät­ten viel mit der Spra­che der Mathe­ma­tik gemein­sam, indem sie einen hohen Abs­trak­ti­ons­grad besit­zen, kei­ne geschicht­li­chen Bezü­ge haben und dazu ten­die­ren, aus­tausch- oder umstell­bar zu sein. Des­wei­te­ren sind sie auf dem Weg, Suf­fi­xe oder Prä­fi­xe zu wer­den. »Ein Arzt grün­det ein Kran­ken­haus, ein Päd­ago­ge eine Schu­le, ein Natur­wis­sen­schaft­ler macht einen Ver­such. Der jewei­li­ge Exper­te […] grün­det ein Modell­kran­ken­haus, eine Modell­schu­le und macht einen Modell­ver­such.« (S.103) Im Anhang fasst Pörk­sen die Merk­ma­le und Kri­te­ri­en der Plas­tik­wör­ter noch ein­mal über­sicht­lich zusammen.

Das Buch ist für sprach­wis­sen­schaft­lich nicht sehr ver­sier­te Men­schen nicht unbe­dingt leicht zu ver­ste­hen. Gera­de am Anfang braucht es eini­ge Sei­ten, bis man ver­steht, was Pörk­sen wirk­lich unter Plas­tik­wör­tern ver­steht. Dies mag unter ande­rem dar­an lie­gen, dass die Bei­spie­le, die Pörk­sen bringt, von Lai­en nicht so leicht nach­voll­zieh­bar sind. Sie kom­men aus dem Bereich der Stadt­pla­nung, der Poli­tik und ande­ren Gebie­ten, in denen sich die meis­ten Leser wohl nicht hei­misch füh­len. Viel­leicht lässt auch die zeit­li­che Distanz von fast 25 Jah­ren die Bei­spie­le weni­ger ver­ständ­lich wer­den. Wer an einer recht aus­führ­li­chen Aus­füh­rung über eine neue Wort­gat­tung inter­es­siert ist, wird an die­sem Buch Gefal­len fin­den. Wer dies eher anstren­gend fin­det, wird es, wenn über­haupt, nur häpp­chen­wei­se zu Ende lesen.

Pörk­sens schon 1988 geäu­ßer­te Kri­tik an der Ver­än­de­rung der Spra­che ist sicher nach­voll­zieh­bar und auch heu­te noch aktu­ell. Was er aller­dings nicht in Betracht zieht, ist, dass eine gewis­se Ver­schrän­kung von Wis­sen­schaft und All­tags­spra­che unver­zicht­bar ist, um dem »Otto-Nor­mal­ver­brau­cher« neue Ent­wick­lun­gen ver­ständ­lich zu machen. Den­noch ist zu über­den­ken, auf wel­che Wei­se dies geschieht. Gera­de die von Pörk­sen kri­ti­sier­ten »Exper­ten« schei­nen rhe­to­risch erfolg­reich zu sein und so die Men­schen über ihre Aus­sa­gen von der Rich­tig­keit ver­schie­dens­ter Situa­tio­nen und Begriff­lich­kei­ten über­zeu­gen zu kön­nen. Jeder muss ange­hal­ten sein, die­se »Exper­ten« zu hin­ter­fra­gen und sich nicht durch ihre schein­ba­re rhe­to­ri­sche Über­le­gen­heit und Sach­kennt­nis ein­schüch­tern las­sen. Dies gilt nicht nur für die Wort-, son­dern auch für die Bild­rhe­to­rik. Auch Bil­der kön­nen durch Unge­nau­ig­keit und Aus­wech­sel­bar­keit die opti­sche Land­schaft auf­wei­chen und fest umris­se­ne Aus­sa­gen ver­hin­dern. Ob es kon­kre­te Moti­ve oder Bild­ar­ten gibt, die »Plas­tik­bil­der« sein könn­ten, wäre wohl ein inter­es­san­tes For­schungs­feld, das Pörk­sen in sei­nem Buch nicht anspricht, son­dern auf der rein sprach­li­chen Ebe­ne bleibt. Viel­leicht kön­nen die »Guten« sogar von den »bösen« Exper­ten ler­nen, und deren rhe­to­ri­sches Kön­nen für sich nutzen?


Ausgabe Nr. 2, Frühjahr 2013

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