Aber ist es nicht auch so, dass wir selbst oft Ent­schei­dun­gen tref­fen müs­sen, ohne hun­dert­pro­zen­tig sicher sein zu kön­nen, dass unse­re Infor­ma­tio­nen auf Wahr­heit beru­hen? Auch hier for­dern wir Ratio­na­li­tät, Über­prüf­bar­keit, Begründ­bar­keit, sind oft von der »Wahr­heit« der getrof­fe­nen Aus­sa­gen über­zeugt, obwohl der Beweis so sicher nicht ist und wir sehr genau wis­sen, dass die Wege zur Erkennt­nis in Zei­ten von »Fake News«, Trol­len und Bots noch schwie­ri­ger gewor­den sind. Der Anspruch auf Wahr­haf­tig­keit besteht wei­ter­hin, wie aber lässt sich dies im All­tag – sei es in Berei­chen der Poli­tik, der Wirt­schaft, der Öffent­lich­keit und eben der Medi­en – prü­fen? Denk­bar ist eine Prü­fung im Rück­griff auf wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se, was zum einen über­for­dernd sein kann und sich zum ande­ren als schwie­rig erweist, wenn die­se nicht so unzwei­fel­haft sind. Gibt es wei­te­re Kri­te­ri­en? Kann die Dis­zi­plin der Rhe­to­rik even­tu­ell Wege weisen?

III. Rhe­to­rik und Glaubwürdigkeit

Bei der Bezeich­nung »Rhe­to­ri­ke­rin« den­ken vie­le Men­schen sogleich, dies sei eine »Exper­tin für Über­rump­lungs­tak­ti­ken«, nach­ge­ra­de jemand, der weiß, wie sich etwas ver­kau­fen lässt, manch­mal auch mani­pu­lie­ren – und ja, sol­che Exper­ten gibt es, schließ­lich wer­den immer mehr Schu­lun­gen ange­bo­ten, die behaup­ten durch das Erler­nen rhe­to­ri­scher Kunst­grif­fe sei es ein­fach, mehr Ein­fluss­mög­lich­kei­ten zu erhal­ten. Aber jede, die sich mit dem Fach Rhe­to­rik beschäf­tigt hat, weiß, dass die­ses Geba­ren nichts mit seriö­ser Rhe­to­rik zu tun hat, denn es wider­spricht sowohl ihrem Kon­zept als auch ihren ethi­schen Prä­mis­sen. Den Begriff »Wahr­heit« nutzt die Rhe­to­rik im Grun­de nicht. Sie spricht eher von Wahr­haf­tig­keit oder Wahrheitsansprüchen.

Rhe­to­rik braucht der­je­ni­ge z. B. wenn sie einen Vor­trag hal­ten will, der über etwas infor­mie­ren möch­te, der von einem Stand­punkt über­zeu­gen will und der nicht lang­wei­len darf – also alles Ansprü­che, die wir sicher auch von ande­ren Medi­en erwar­ten. Will ich einen Vor­trag hal­ten, den die Hören­den als glaub­wür­dig aner­ken­nen, dann bin ich ver­pflich­tet, wis­sen­schaft­lich vor­zu­ge­hen, d. h. ich muss den Anspruch, wah­re Erkennt­nis erlan­gen zu wol­len, ver­in­ner­li­chen und ler­nen, wis­sen­schaft­li­che Metho­den anzu­wen­den. Erken­nen aber will nicht nur der, der eine Bot­schaft, eine Nach­richt, aber auch eine Erzäh­lung wei­ter­ge­ben will, son­dern auch die­je­ni­gen, die sie hören, lesen oder in heu­ti­gen Bild­wel­ten sehen. Wir for­dern Glaub­wür­dig­keit, und die­se wird damit zur Grund­la­ge von kom­mu­ni­ka­ti­ven Pro­zes­sen. Denn »Glaub­wür­dig­keit ist sozu­sa­gen die Basis, auf der Kom­mu­ni­ka­ti­on funk­tio­niert; sie ist das kom­mu­ni­ka­ti­ve Urver­trau­en, ohne das nichts geht«[6].

Sie hat aber nichts zu tun mit blin­dem Ver­trau­en, auch nichts mit Gefolg­schaft oder dem Wunsch, ein­fa­che Lösun­gen für kom­pli­zier­te Fra­gen zu erhal­ten, denn sie ist immer ein dyna­mi­sches Kon­strukt, nach­ge­ra­de nicht sta­tisch. Das heißt, auch wenn Kom­mu­ni­ka­ti­on nur gelin­gen kann, wenn sich die Gegen­über als glaub­wür­dig ein­schät­zen, so geschieht dies kei­nes­wegs auf­grund von Füh­rungs­po­si­tio­nen, gesell­schaft­li­chen Stel­lun­gen, Cha­ris­ma oder ein­fach aus Grün­den der eige­nen Ent­las­tung, son­dern auf­grund von im Pro­zess erkenn­ba­ren Zei­chen. Neh­me ich den ein­gangs zitier­ten Arti­kel, dann reicht es nicht, dass ich der »Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung« ein gewis­ses Ver­trau­en ent­ge­gen­brin­ge oder die Aus­sa­ge, dass der Autor Wis­sen­schaft­ler ist, ihn in mei­nen Augen seri­ös erschei­nen lässt. Sowohl Zei­tung als auch Autor müs­sen sich die­ses Ver­trau­en ver­die­nen. Glaub­wür­dig­keit impli­ziert kei­nes­wegs die Auf­ga­be des eige­nen kri­ti­schen Urteils­ver­mö­gens und macht Nach­prüf­bar­keit nicht unnö­tig. Daher gilt die Auf­for­de­rung an Jour­na­lis­tIn­nen, Nach­rich­ten auch von schein­bar seriö­sen Quel­len wie »dpa« zu über­prü­fen. Ver­trau­en ersetzt nicht die Not­wen­dig­keit der Begrün­dung, son­dern gehört untrenn­bar zu ihr.

Nur kurz wie­der­ho­le ich den Rekurs auf die Rhe­to­rik: Der Bezug zur Wahr­haf­tig­keit erklärt sich in der Rhe­to­rik durch die Zen­trie­rung auf die Hören­den. Heu­te heißt dies: auf all die­je­ni­gen, die das von mir bereit­ge­stell­te Medi­um nut­zen. Frei­lich über­legt sich jede Autorin und jeder Autor, jeder Red­ner, ob er nicht bei gän­gi­gen Mei­nun­gen zumin­dest begin­nen soll­te, damit er oder sie Auf­merk­sam­keit erlan­gen kann. Und um die­se nicht zu ver­lie­ren, nut­zen sie leicht nach­voll­zieh­ba­re Argu­men­te und wis­sen zugleich, dass es immer auch dar­auf ankommt, die Gefühls­welt zu errei­chen. Des­halb ist die Argu­men­ta­ti­on oft ein­ge­bun­den in eine Geschich­te, eine, die zur Glaub­wür­dig­keit füh­ren soll und gera­de dadurch Über­zeu­gungs­kraft ent­fal­tet. Denn egal mit wel­chen Medi­en jemand über­zeu­gen will oder even­tu­ell auch nur infor­mie­ren, immer muss es für die Rezi­pi­en­ten, also Lesen­de oder Hören­de die Chan­ce geben, sich wie­der­zu­fin­den und gege­be­nen­falls auch wider­spre­chen zu können.


Datenschutz-Übersicht
Sprache für die Form * Forum für Design und Rhetorik

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.