Mir fällt ein, wir sind ja ste­cken­ge­blie­ben, in unse­rer ­klei­nen, unbe­deu­ten­den Geschich­te zu Beginn. Wie fing sie gleich an?

»Es war ein­mal ein klei­ner Jun­ge, dem wur­de von sei­nem Leh­rer auf­ge­tra­gen, ein Bild zu malen. Ja, und dann mal­te er die­ses Bücher­zim­mer mit dem bär­ti­gen Mann, der auf einer Schreib­ma­schi­ne tippt. Und der Leh­rer woll­te wis­sen, was er denn spä­ter nun wer­den wolle.
Der Jun­ge sah ihn erstaunt an und sag­te: ›Das sieht man doch!
›Sonst ­wür­de ich ja wohl nicht fra­gen‹, gab der Leh­rer zurück.
­›Schrift­stel­ler, Schrift­stel­ler will ich wer­den!‹ rief der klei­ne Junge.
›Ein Schrift­stel­ler – der ver­dient doch nichts, das ist doch kein ­Beruf‹, sag­te der Lehrer.
›Das macht nichts‹, sag­te der klei­ne Junge.
›Na, du wirst schon sehen‹, sag­te der Leh­rer und frag­te noch: ›Und wie willst du das denn wer­den? Meinst du etwa, als ­Schrift­stel­ler kön­ne man irgend­wo eine Leh­re machen? Oder gar Schrift­stel­ler studieren?‹
Aus dem klei­nen Jun­gen wur­de ein ­jun­ger Mann, und die­ser jun­ge Mann arbei­te­te, als er Mit­te Zwan­zig war, als – «

Aber an die­ser Stel­le soll­ten wir uns wie­der dem »Zau­ber­berg« zuwen­den und zur nächs­ten Sta­ti­on fahren.

3. Sta­ti­on: Zeit auf dem Zau­ber­berg – phi­lo­so­phi­sche ­Weg­mar­ken des Romans

Tho­mas Mann lässt in den Figu­ren des Romans bestimm­te Lebens­kon­zep­te, phi­lo­so­phi­sche oder reli­giö­se Posi­tio­nen auf­tre­ten. Die Bezü­ge zur Phi­lo­so­phie­ge­schich­te im Detail aus­zu­leuch­ten, das lässt sich an die­ser Stel­le nicht machen. Ein paar Stich­wor­te fie­len ja schon, so wur­de ange­ris­sen, wofür Settem­b­ri­ni, Naph­ta, Pep­per­korn oder auch Kro­kow­ski stehen.

Tho­mas Mann war sicher in man­cher Phi­lo­so­phie bele­sen, aber er war kein Phi­lo­soph, war nicht sys­te­ma­tisch geschult. Er spiel­te eher mit Theo­rien und Vor­bil­dern, mit Lek­tü­re­er­leb­nis­sen, die er vor­nehm­lich bei Fried­rich Nietz­sche und Arthur Scho­pen­hau­er fand. Wie heißt es in einer Ein­lei­tung zu drit­ten Band sei­ner Essays: »Wer über Musik und Phi­lo­so­phie bei Tho­mas Mann zu han­deln hat, stößt schnell auf die beherr­schen­den Namen Wag­ner, Scho­pen­hau­er und Nietz­sche. Neben ihnen ver­blaßt alles ande­re so sehr, daß dem Vor­wurf einer höchst ein­sei­ti­gen musi­ka­li­schen und phi­lo­so­phi­schen Aus­bil­dung bei­na­he nichts zu ent­geg­nen ist.«[6] Es ist nicht die Auf­ga­be eines Romans, einen wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs über die Theo­rien eines Phi­lo­so­phen zu füh­ren, viel­mehr geht es um eine Anwen­dung sol­cher Theo­rien auf die Leben im Roman. Der Ger­ma­nist Her­mann Kurz­ke bringt es auf den Punkt: »Es han­delt sich dabei weni­ger um die Über­nah­me eines phi­lo­so­phi­schen Sys­tems als um die Aus­for­mu­lie­rung einer Lebens­stim­mung; nicht Lehr­sät­ze und Maxi­men des Den­kers wer­den ange­nom­men, son­dern ein ver­wand­tes Lebens­ge­fühl wird dank­bar als Bestä­ti­gung des eige­nen begrüßt.«[7]

Der Roman­titel »Der Zau­ber­berg« ver­weist denn auch auf Nietz­sche- und auf Goe­the-Lek­tü­ren. Das Wort »Zau­ber­berg« taucht bei Nietz­sche in des­sen »Die Geburt der Tra­gö­die aus dem Geis­te der Musik« auf[8]; die »Wal­pur­gis­nacht« in Goe­thes »Faust« fin­det auf einem »zau­ber­tol­len«[9] Berg statt, dem Bro­cken im Harz.

Man könn­te aus phi­lo­so­phi­scher Sicht den Roman in vie­ler­lei Rich­tun­gen aus­le­gen. Ich möch­te das an die­ser Stel­le beschrän­ken und so deu­ten: Im »Zau­ber­berg« wird am Bei­spiel eines ­jun­gen Man­nes, Hans Cas­torp, dar­ge­legt, wie man sich im Leben ori­en­tiert, wie man zu sich fin­det oder auch nicht, wel­che wider­strei­ten­den Posi­tio­nen wir im und zum Leben ein­neh­men kön­nen. Nicht expli­zit bei Tho­mas Mann, aber in mei­ner Sicht­wei­se kreist der Roman um zen­tra­le anthro­po­lo­gi­sche und ethi­sche Fra­gen. Bei Imma­nu­el Kant fin­den wir die­se Fra­gen kurz und klar als Quar­tett formuliert:
»1) Was soll ich tun?
2) Was darf ich hoffen?
3) Was kann ich wissen?
4) Was ist der Mensch?«[10]
Kants berühm­te Fra­gen zie­len auf unse­re Mensch­wer­dung als ­huma­ne, erfüll­te Wesen.– An einer Stel­le im »Zau­ber­berg« fin­det Hans Cas­torp die Quint­essenz für solch ein Stre­ben nach Mensch­wer­dung, eine Quint­essenz in einem Satz, den ein Traum ihm ein­gibt. Es ist der ein­zi­ge Satz auf 750 Sei­ten, der ­typo­gra­fisch her­vor­ge­ho­ben, näm­lich kur­siv gesetzt wird:
»Der Mensch soll um der Güte und der Lie­be wil­len dem Tode ­kei­ne Herr­schaft ein­räu­men über sei­ne Gedan­ken.«[11]


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