Dass man zu den Begrif­fen »Tech­nik« oder »Tech­nik­rhe­to­rik« ver­geb­lich Ein­trä­ge im begriffs­ge­schicht­li­chen Stan­dard­werk »His­to­ri­sches Wör­ter­buch der Rhe­to­rik« sucht, dürf­te nicht als eine Art ein­ma­li­ger »Betriebs­un­fall« der deutsch­spra­chi­gen Rhe­to­rik­for­schung zu wer­ten sein, son­dern auf eine deut­li­che Dif­fe­renz der Dis­kus­sio­nen im deutsch­spra­chi­gen zu denen im angel­säch­si­schen Raum ver­wei­sen; dort wird zur Tech­nik­rhe­to­rik inten­siv und seit län­ge­rem gear­bei­tet. Exem­pla­risch sei auf die Arbei­ten von Alan G. Gross ver­wie­sen. Er hat meh­re­re Bücher ver­fasst, mit­ver­fasst und her­aus­ge­ge­ben, die sich mit Fra­gen der Wis­sen­schafts- und Tech­nik­ver­mitt­lung, der Rhe­to­ri­zi­tät und den Per­sua­si­ons­stra­te­gien von Wis­sen­schaft und Tech­nik befas­sen und sie his­to­risch, her­me­neu­tisch und kri­tisch unter­su­chen.[5] Seit 2009 gibt Gross die Buch­rei­he »Rhe­to­ric of Sci­ence and Tech­no­lo­gy« her­aus.[6]

Ame­ri­ka­ni­sche Autoren behan­deln Wis­sen­schafts- und Tech­nik­rhe­to­rik oft gemein­sam.[7] Mit dem eng­li­schen »tech­no­lo­gy« wer­den ange­wand­te Wis­sen­schaf­ten ver­knüpft, inso­fern ist »tech­no­lo­gy« auch ein­be­zo­gen in eine Refle­xi­on der Wis­sen­schaft. Neben sol­chen begriff­li­chen Aspek­ten dürf­te ein Grund aber in den an ame­ri­ka­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten ver­brei­te­ten Stu­di­en zu »Sci­ence, Tech­no­lo­gy, and Socie­ty« zu fin­den sein, den soge­nann­ten »STS pro­grams«, die sich den Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen Wis­sen­schaft, Tech­nik und Gesell­schaft zuwen­den.[8]

Ver­ein­zelt wird aber auch in der deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur auf eine Ver­bin­dung von Rhe­to­rik und Tech­nik abge­ho­ben. Nor­bert Bolz hat in sei­nem Buch »Das Gestell« ein Kapi­tel mit »Die Rhe­to­rik der Tech­nik« über­schrie­ben[9], auf des­sen fünf Sei­ten er sich aller­dings eher in kul­tur­phi­lo­so­phi­schen Vor­be­trach­tun­gen ergeht, denn eine detail­lier­te Tech­nik­rhe­to­rik zu ent­wi­ckeln. Bolz schließt an Hans Blu­men­bergs Dik­tum über die »›Sprach­lo­sig­keit‹ der Tech­nik« an, die dazu geführt habe, »daß die Leu­te, die das Gesicht unse­rer Welt am stärks­ten bestim­men, am wenigs­ten wis­sen und zu sagen wis­sen, was sie tun«[10]. Bolz führt dazu aus: »Wenn die Phi­lo­so­phie nicht mehr in der Lage ist, unse­re Zeit in Gedan­ken zu fas­sen, dann müs­sen wir auf die Rhe­to­rik der Tech­nik hören, statt auf die Rhe­to­rik der Dis­kur­se. Das Pro­blem der Tech­nik ist nicht, dass wir nicht wis­sen, was wir tun, son­dern dass wir nicht zu sagen wis­sen, was wir tun.«[11] Rhe­to­rik der Tech­nik hät­te also mit Tech­nik­ver­mitt­lung auf einer grund­sätz­li­chen Ebe­ne zu tun. Bolz befasst sich an ande­ren Stel­len mit dem Ver­hält­nis von Design, Rhe­to­rik und Tech­nik, das als Benut­zer­freund­lich­keit der Com­pu­ter des Nut­zers tie­fes Nicht­ver­ste­hen der Tech­nik mas­kiert: »Die Intel­li­genz der Pro­duk­te besteht gera­de dar­in, den Abgrund des Nicht­ver­ste­hens zu ver­de­cken. So löst sich das Gebrau­chen vom Ver­ste­hen ab. Wer heu­te von intel­li­gen­tem Design spricht, meint, daß der Gebrauch des Geräts selbst­er­klä­rend ist. Doch die­se Erklä­rung führt nicht zum Ver­ständ­nis, son­dern zum rei­bungs­lo­sen Funk­tio­nie­ren. Man könn­te des­halb for­mel­haft sagen: Benut­zer­freund­lich­keit ist die Rhe­to­rik der Tech­nik, die unse­re Igno­ranz hei­ligt. Und die­se design­spe­zi­fi­sche Rhe­to­rik, die sich eben nicht in Dis­kur­sen, son­dern in der Tech­nik des Inter­face Design aus­prägt, ver­schafft uns heu­te die Benut­ze­ril­lu­si­on der Welt.«[12]

Bolz hebt hier ins­be­son­de­re auf Com­pu­ter- und Medi­en­tech­nik ab, also genau den Bereich der Tech­nik­rhe­to­rik, der in der deutsch­spra­chi­gen Lite­ra­tur am häu­figs­ten dis­ku­tiert wird. Auf eben­sol­che medi­en­rhe­to­ri­schen Aspek­te, die sich mit tech­nik­rhe­to­ri­schen zumin­dest in Tei­len über­schnei­den, geht sub­stan­ti­ell Fran­ce­s­ca Vidal ein in ihrer »Rhe­to­rik des Vir­tu­el­len«[13] und mit dem von ihr her­aus­ge­ge­be­nen »Hand­buch Medi­en­rhe­to­rik«[14]. Zu Fra­gen der Medi­en-, Bild-, Film-, Design- oder visu­el­len Rhe­to­rik u. Ä. sind auch im deutsch­spra­chi­gen Raum über die letz­ten Jah­re eine Rei­he von Mono­gra­fien, Sam­mel­bän­de und auch Peri­odi­ka erschie­nen, »Tech­nik­rhe­to­rik« oder »Rhe­to­rik der Tech­nik« spie­len jedoch eine nach­ge­ord­ne­te Rol­le, zuwei­len mutet es so an, als sähen die Autoren Medi­en nicht als einen Teil der Tech­nik, son­dern als eine eigen­stän­di­ge Sphäre …

Dazu bei­tra­gen dürf­te die gerin­ge Rol­le, die Rhe­to­rik als aka­de­mi­sche Dis­zi­plin in Deutsch­land spielt.[15] Dass Rhe­to­rik in ande­ren Sprach­räu­men an den Uni­ver­si­tä­ten stär­ker ver­tre­ten ist als in Deutsch­land, dürf­te meh­re­re Ursa­chen haben: Pla­tons Her­ab­set­zung der Rhe­to­rik im »Gor­gi­as« hat hier­zu­lan­de womög­lich stär­ker gewirkt[16], da auch Kant sich nicht gera­de schmei­chel­haft über Rhe­to­rik äußer­te[17] – zwei Groß­den­ker reden klein, das wirkt. Eine wei­te­re Ursa­che für den schwe­ren Stand der Rhe­to­rik in Deutsch­land wird dar­in zu sehen sein, dass Rhe­to­rik durch den Genie­kult in der deut­schen Klas­sik eine Her­ab­set­zung erfuhr[18], eine wei­te­re dar­in, dass Rhe­to­rik wegen ihres Miss­brauchs durch die Natio­nal­so­zia­lis­ten in Ver­ruf gera­ten ist und als pro­pa­gan­dis­ti­sche Mani­pu­la­ti­on gilt. In die­sem Essay jeden­falls wird Rhe­to­rik als der Teil der Phi­lo­so­phie ange­se­hen, der sich mit der Theo­rie und Pra­xis mensch­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on und Argu­men­ta­ti­on befasst, die per­sua­si­ven Wir­kun­gen kom­mu­ni­ka­ti­ver Akte unter­sucht und nach der Mög­lich­keit eines ratio­na­len Dis­kur­ses von Argu­men­ta­tio­nen fragt, wenn nicht pri­mär über Wahr­hei­ten, son­dern über Wahr­schein­li­ches gestrit­ten wird. Wird Rhe­to­rik in die­sem Sin­ne als ein Teil der Phi­lo­so­phie betrach­tet, so kann eine Rhe­to­rik der Tech­nik als Teil der Tech­nik­phi­lo­so­phie gese­hen wer­den, zumin­dest aber als ein Bei­trag zur Technikphilosophie.

  1. [5] s. u. »Lite­ra­tur«.
  2. [6] Zu den The­men der Rei­he, die in vie­lem mei­ne unten aus­ge­führ­te Lis­te abde­cken und ergän­zen, hält der Ver­lag fest: »Alt­hough the point has alre­a­dy been made that sci­ence and tech­no­lo­gy are in some sen­se rhe­to­ri­cal, the field remains open to new topics and inno­va­ti­ve approa­ches. The Rhe­to­ric of Sci­ence and Tech­no­lo­gy series of Par­lor Press will publish works that address the­se and rela­ted topics:
    1. The histo­ry of sci­ence and tech­no­lo­gy approa­ched from a rhe­to­ri­cal perspective
    2. Sci­ence and tech­no­lo­gy poli­cy from a rhe­to­ri­cal point of view
    3. The role of pho­to­graphs, graphs, dia­grams, and equa­tions in the com­mu­ni­ca­ti­on of sci­ence and technology
    4. The role of sche­mes and tro­pes in the com­mu­ni­ca­ti­on of sci­ence and technology
    5. The methods used in rhe­to­ri­cal stu­dies of sci­ence and tech­no­lo­gy, espe­ci­al­ly the pre­do­mi­nan­ce of case studies
    6. The popu­la­riza­ti­on of sci­ence by sci­en­tists and non-scientists
    7. The effect of the Inter­net on com­mu­ni­ca­ti­on in sci­ence and technology
    8. The pedago­gy of com­mu­ni­ca­ting sci­ence and tech­no­lo­gy to popu­lar audi­en­ces and audi­en­ces of sci­en­tists and engineers
    9. The inclu­si­on of sci­ence and tech­no­lo­gy in rhe­to­ric and com­po­si­ti­on cour­ses.« (http://www.parlorpress.com/science; Zugriff am: 1.8.2017.)
  3. [7] vgl. Cec­ca­rel­li, Leah: Rhe­to­ric of Sci­ence and Tech­no­lo­gy. In: Mit­cham, Carl (Hg.): Ency­clo­pe­dia of Sci­ence, Tech­no­lo­gy, and Ethics. Bd. 3. Detroit 2015. S. 1625—1629. Die ein­schlä­gi­ge wis­sen­schaft­li­che Gesell­schaft, die »Asso­cia­ti­on for the Rhe­to­ric of Sci­ence, Tech­no­lo­gy, and Medi­ci­ne (ARSTM)«, nimmt die Medi­zin noch hin­zu: http://www.arstmonline.org (Zugriff am: 1.8.2017).
  4. [8] vgl. Cut­clif­fe, Ste­phen H.: Sci­ence, Tech­no­lo­gy, and Socie­ty Stu­dies. In: Mit­cham, Carl (Hg.): Ency­clo­pe­dia of Sci­ence, Tech­no­lo­gy, and Ethics. Band 4. Detroit 2015. S. 1723—1726. Stu­di­en­pro­gram­me die­ser Art sind im deutsch­spra­chi­gen Raum rar, Klaus Korn­wachs hat an der Bran­den­bur­gi­schen Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Cott­bus mit den Bache­lor- und Mas­ter­stu­di­en­gän­gen »Kul­tur und Tech­nik« Ver­gleich­ba­res aufgebaut. 
  5. [9] Bolz, Nor­bert: Das Gestell. Mün­chen 2012. S. 9—13.
  6. [10] Blu­men­berg, Hans: Ästhe­ti­sche und meta­phoro­lo­gi­sche Schrif­ten. Frank­furt am Main 2014(4). S. 14. 
  7. [11] Bolz, a. a. O., S. 11. 
  8. [12] Bolz, Nor­bert: Die Wirt­schaft des Unsicht­ba­ren. Spi­ri­tua­li­tät – Kom­mu­ni­ka­ti­on – Design – Wis­sen: Die Pro­duk­tiv­kräf­te des 21. Jahr­hun­derts. Mün­chen 1999. S. 114. 
  9. [13] Vidal, Fran­ce­s­ca: Rhe­to­rik des Vir­tu­el­len. Die Bedeu­tung rhe­to­ri­schen Arbeits­ver­mö­gens in der Kul­tur der kon­kre­ten Vir­tua­li­tät. Mös­sin­gen-Tal­heim 2010. 
  10. [14] Scheu­er­mann, Arne; Vidal, Fran­ce­s­ca (Hg.): Hand­buch Medi­en­rhe­to­rik. Ber­lin, Bos­ton 2016. 
  11. [15] Als Fach lässt sich Rhe­to­rik bis dato nur an der Uni­ver­si­tät Tübin­gen stu­die­ren, nur eine Hand­voll Pro­fes­su­ren füh­ren »Rhe­to­rik« in ihrer Betitelung. 
  12. [16] Sokra­tes kri­ti­siert die Rhe­to­rik, sie sei kei­ne Kunst oder Wis­sen­schaft, son­dern nur Erfah­rung und Übung und zie­le nicht auf das Gute, son­dern ledig­lich auf das Ange­neh­me (vgl. Stroh, Wil­fried: Die Macht der Rede. Eine klei­ne Geschich­te der Rhe­to­rik im alten Grie­chen­land und Rom. Ber­lin 2011. S. 144—163, ins­be­son­de­re S. 151 ff.). 
  13. [17] Er spricht von der Bered­sam­keit als »Kunst zu über­re­den, d. i. durch den schö­nen Schein zu hin­ter­ge­hen« (Kant, Imma­nu­el: Kri­tik der Urteils­kraft. Werk­aus­ga­be, Bd. 10. Frank­furt am Main: Suhr­kamp Ver­lag, 1981(5). § 53, S. 266.). 
  14. [18] Die Kunst, mit Wor­ten Wir­kung zu ent­fal­ten, wur­de als nicht lehr- oder erlern­bar ange­se­hen – man hat’s oder hat’s nicht. 

Ausgabe Nr. 11, Herbst 2017

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