f) eine Nar­ra­to­lo­gie der Technik

In Homers »Odys­see« fin­det sich eine frü­he Dar­stel­lung des Baus eines Segel­schif­fes[33], die kei­ner Bau­an­lei­tung ent­spricht, rhe­to­risch aber die Fas­zi­na­ti­on und Ästhe­tik des tech­ni­schen Schaf­fens ein­fängt. Odys­seus wird immer wie­der als der »erfin­dungs­rei­che« Odys­seus apo­stro­phiert, ein frü­her Inge­nieur, der alle Prü­fun­gen nicht nur wegen sei­ner Tugen­den, son­dern wegen der Beherr­schung ela­bo­rier­ter Tech­nik besteht. Die Geschich­te des Erzäh­lens hat sich also schon in ihren frü­hen Zeug­nis­sen der Tech­nik zuge­wandt, sie zum Gegen­stand des Erzäh­lens gemacht und für ihre Erzähl­stra­te­gien genutzt. Dar­in hat sich bis heu­te nichts geän­dert. Die Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur ent­wirft Zukunfts­vi­sio­nen von Tech­nik, manch­mal dürf­ten sie Uto­pie blei­ben, manch­mal wer­den sie erstaun­lich schnell Rea­li­tät. Das fin­det bereits im ers­ten deut­schen Sci­ence-Fic­tion-Roman, Kurd Laß­witz’ »Auf zwei Pla­ne­ten«, der 1897 erschien.[34] Tech­nisch (und sitt­lich) den Men­schen hoch über­le­ge­ne Mars­men­schen kom­men auf die Erde, um in den gro­ßen Wüs­ten Son­nen­kraft­wer­ke zu errich­ten, denn ihre High-Tech-Kul­tur ist ener­gie­hung­rig – eine Idee, die rund 100 Jah­re spä­ter auf­ge­grif­fen wurde.

Tech­nik spielt nicht allein in lite­ra­ri­schen Gat­tun­gen, son­dern natür­lich auch in ande­ren Erzähl­me­di­en – Thea­ter, Hör­spiel, Oper, Film – eine Rol­le, im Film oft sogar als trei­ben­de Kraft der Erzäh­lung. Spiel­fil­me neh­men häu­fig vor­weg, was die Tech­nik spä­ter zum Stan­dard macht. So zeig­ten Fil­me Ges­ten­steue­rung von Benut­zer­ober­flä­chen, die nach nicht all­zu lan­ger Zeit in rea­len Pro­duk­ten genutzt wur­de; Ent­wick­ler von Mili­tär­tech­nik lie­ßen sich durch Fil­me inspi­rie­ren, sich selbst­steu­ern­de Kampf­ro­bo­ter sol­len nun Sol­da­ten erset­zen.[35] Gera­de Hol­ly­wood kann als visio­nä­re Ideen­schmie­de tech­ni­scher Ent­wick­lung ange­se­hen werden.

Eine Nar­ra­to­lo­gie der Tech­nik näh­me Fra­gen auf wie: Wel­che Geschichte(n) erzählt Tech­nik? Wie wird Tech­nik in Geschich­ten ver­mit­telt? Wie wird sie in Geschich­ten ent­wor­fen? Wel­che Erzähl­tech­ni­ken wer­den ein­ge­setzt, wenn Tech­nik erzählt wird?

g) die Geschich­te der Rhe­to­rik der Tech­nik

Wel­che Geschich­te hat die Rhe­to­rik der Tech­nik? In wel­cher Wech­sel­wir­kung steht sie zur Tech­nik­ge­schich­te? Der­lei Fra­gen gin­ge eine Geschichts­schrei­bung der Rhe­to­rik der Tech­nik nach.

Eine dia­chro­ni­sche Betrach­tung der Rhe­to­rik der Tech­nik dürf­te inter­es­san­te Ergän­zun­gen zur Tech­nik­ge­schich­te anbie­ten. Ein Aus­gangs­ver­mu­tung wäre, dass Tech­nik erst dann, wenn sie wir­kungs­voll zur Spra­che kam, eine gesell­schaft­li­che Akzep­tanz erziel­te. Ein wei­te­rer Ansatz läge in einer syn­chro­ni­schen Betrach­tung der Tech­nik­rhe­to­rik in bestimm­ten Pha­sen tech­ni­scher Ent­wick­lun­gen: Ist in unter­schied­li­chen tech­nik­rhe­to­ri­schen Per­sua­si­ons­stra­te­gien ein Grund dafür zu fin­den, dass eine oder dass kei­ne brei­te gesell­schaft­li­che Akzep­tanz für bestimm­te tech­ni­sche Neue­run­gen zu erzie­len war und ist?

h) die Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen Tech­nik und Rhe­to­rik der Technik

Wie bezie­hen sich Tech­nik und Spre­chen über Tech­nik auf­ein­an­der, wie tre­ten sie in eine Wech­sel­wir­kung? Ver­än­dern sich tech­ni­sche Ent­wick­lung und Nut­zung durch die Rhe­to­rik, mit der sie ver­mit­telt wer­den? Die­ser Punkt h) wie auch der vor­he­ri­ge g) eröff­nen einen Meta-Dis­kurs der Technikrhetorik. 

Aber vor dem Meta-Dis­kurs müss­te wohl erst ein Anfang gemacht wer­den. Die obi­ge Lis­te ist dafür selbst­re­dend nur Frag­ment – und böte gern eine Anre­gung, nicht allein, doch eben auch für einen Tech­nik­phi­lo­so­phen wie Klaus Kornwachs.

Lite­ra­tur

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Toul­min, Ste­phen Edel­s­ton: Der Gebrauch von Argu­men­ten. Kron­berg im Tau­nus 1975.

Vidal, Fran­ce­s­ca: Rhe­to­rik des Vir­tu­el­len. Die Bedeu­tung rhe­to­ri­schen Arbeits­ver­mö­gens in der Kul­tur der kon­kre­ten Vir­tua­li­tät. Mös­sin­gen-Tal­heim 2010.


Ausgabe Nr. 11, Herbst 2017

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