Sti­lis­tik und Ethik

Es gibt selbst­ver­ständ­lich noch wei­te­re Grün­de. Und einen die­ser Grün­de füh­re ich im Fol­gen­den noch aus. Mir geht es um einen wesent­li­chen Aspekt, der lite­ra­risch-künst­le­ri­sches Schrei­ben vom wis­sen­schaft­li­chen Schrei­ben trennt, die Rede ist von einer bestimm­ten Ver­bin­dung zwi­schen Ethik und Stilistik. 

Um Ihnen nahe­zu­brin­gen, was ich damit mei­ne, soll­te ich dar­le­gen, wel­che Wis­sen­schafts­auf­fas­sung mir vor­schwebt. Ich bezie­he mich auf den Phi­lo­so­phen Karl Rai­mund Pop­per, des­sen »Logik der For­schung« zu den bedeu­tends­ten wis­sen­schafts­theo­re­ti­schen Wer­ken des 20. Jahr­hun­derts gezählt wird.

Ein an Karl Pop­per ori­en­tier­ter Wis­sen­schafts­be­griff geht davon aus, dass wir nach Wahr­heit stre­ben. Nach all den »ismen« und »Post«-Moden in den intel­lek­tu­el­len, phi­lo­so­phi­schen und geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Dis­kur­sen dürf­te die­se Vor­stel­lung alt­mo­disch wir­ken, die­se Idee, dass wir uns der Wahr­heit annä­hern, aber nie sicher sein kön­nen, in ihrem Besitz zu sein. Auch wenn die­se Vor­stel­lung alt­mo­disch sein mag, ich möch­te an ihr aus vie­len Grün­den fest­hal­ten, die ich heu­te nicht aus­füh­ren kann. Neh­men wir das ein­fach mal als Set­zung, für die­sen Vor­trag zumin­dest, hin: Das Pro­jekt Wis­sen­schaft lässt uns alle nach Wahr­heit stre­ben. Nun wis­sen wir auch: Die Wis­sen­schaft spie­gelt den aktu­el­len Stand des Irr­tums. Wir kön­nen uns eben nie sicher sein, im Besitz der Wahr­heit zu sein, wir soll­ten immer davon aus­ge­hen, dass wir uns irren könn­ten, dass irgend­je­mand irgend­wann unse­re Theo­rien wider­le­gen und durch erklä­rungs­kräf­ti­ge­re, über­zeu­gen­de­re erset­zen könn­te – aber wir soll­ten danach stre­ben, einen Bei­trag zu leis­ten zur Annä­he­rung an die Wahr­heit. Die Wahr­heits­su­che wird im Pro­jekt der Wis­sen­schaft beglei­tet durch die Tugend der Kri­tik, des kri­ti­schen Prü­fens der Argu­men­te, Ideen, The­sen, die wir entwickeln.

Dar­aus ent­ste­hen durch­aus wis­sen­schafts­ethi­sche Kon­se­quen­zen, die sich auf das Schrei­ben nie­der­schla­gen. Ein Autor eines wis­sen­schaft­li­chen Tex­tes muss die­sen in eine Form brin­gen, die Kri­tik erlaubt. Damit ist eine For­de­rung auf­ge­stellt, die sich auf die Sti­lis­tik und die Argu­men­ta­ti­on wis­sen­schaft­li­cher Tex­te aus­wirkt. Damit Argu­men­te über­haupt kri­ti­siert wer­den kön­nen, müs­sen sie sich in einem Stil klei­den, der das erlaubt. Argu­men­te müs­sen klar und ver­ständ­lich for­mu­liert wer­den, sie dür­fen sich nicht hin­ter einem undurch­dring­li­chen Jar­gon ver­ste­cken. Wel­cher Stil wäre also in die­sem Sin­ne der ange­mes­se­ne in der Wis­sen­schafts­pro­sa? Der, der den Stil­qua­li­tä­ten Klar­heit, Deut­lich­keit, Ver­ständ­lich­keit gerecht wird, den­je­ni­gen Stil­qua­li­tä­ten also, die schon in der anti­ken Rhe­to­rik dis­ku­tiert wur­den. Seit 2500 Jah­ren erprobt: Die Rhe­to­rik ist die ältes­te Theo­rie über das Gestal­ten mit Spra­che und Zei­chen, die ältes­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft und die ältes­te Argumentationstheorie. 

Form und Inhalt, Stil und Argu­ment gehen also eine Ver­bin­dung ein, die wis­sen­schafts­ethi­schen Anfor­de­run­gen ent­spre­chen muss. Um Miss­ver­ständ­nis­sen vor­zu­beu­gen: Das hat nichts mit poli­ti­scher Kor­rekt­heit zu tun oder mit irgend­wel­cher sprach­po­li­zei­li­cher Regelungswut.


Doppelausgabe Nr. 8 und 9, Herbst 2016

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