Symposion »Affekte und ihre Wirkung« | Essay

Wie Gefühle angesprochen werden

Eine Einführung in die rhetorische Affektenlehre

Von Bernd Steinbrink


Im Rah­men des Sym­po­si­ons »Affek­te und ihre Wir­kung«, das an der Fach­hoch­schu­le Kiel am 1. Mai 2015 ver­an­stal­tet wur­de, hielt der Orga­ni­sa­tor der Tagung, Bernd Stein­brink, einen Vor­tag auf der Basis des fol­gen­den Essays.

Die Affek­ten­leh­re hat eine lan­ge Tra­di­ti­on. Affek­te, so hat­ten bereits die frü­hen Rhe­to­ri­ker der Vor­so­kra­tik erkannt, übten bedeu­ten­den Ein­fluss auf Rich­ter, Ent­schei­dungs­trä­ger und deren Urtei­le aus. Aller­dings war die Leh­re von den Affek­ten in der vor­aris­to­te­li­schen Zeit wenig sys­te­ma­tisch. In der Rhe­to­rik gab es die Theo­rie von die Rede­tei­len, die spä­ter als »par­tes ora­tio­nis« bezeich­net wur­den. Den ver­schie­de­nen Rede­tei­len – Ein­lei­tung, Haupt­teil, Schluss – waren unter­schied­li­che Auf­ga­ben zuge­teilt, der Schluss soll­te die Rich­ter auch emo­tio­nal errei­chen. Aris­to­te­les ver­band die Leh­re von den Rede­tei­len in sei­ner Rhe­to­rik mit den Pro­duk­ti­ons­sta­di­en der Rede, den spä­te­ren offi­cia ora­tio­nis: der inven­tio (der red­ne­ri­schen Erfin­dung und Recher­che), der dis­po­si­tio und elo­cu­tio (wobei die spä­ter von Rhe­to­ri­kern behan­del­ten Aspek­te memo­ria und actio bzw. pronun­tia­tio von ihm nicht berück­sich­tigt wur­den). Zwar dis­ku­tiert Aris­to­te­les die Affek­te auch aus­führ­lich im 3. Buch sei­ner Rhe­to­rik im Zusam­men­hang mit dem Rede­schluss, doch stel­len sie für ihn Über­zeu­gungs­mit­tel, pist­eis, dar, die neben der ratio­na­len Argu­men­ta­ti­on von Belang sind: »Ange­mes­sen­heit [pre­pon] wird der Stil haben, wenn er Pathos und Ethos ver­mit­teln kann, und das ana­log dem zugrun­de lie­gen­den Sach­ver­halt.«[1] Die Aus­drü­cke Pathos und Ethos ste­hen bei Aris­to­te­les für die Begrif­fe Affekt und Charakter.

Die Aus­führ­lich­keit, mit der Aris­to­te­les in sei­ner Rhe­to­rik die Affek­te behan­delt und damit zum Begrün­der der rhe­to­ri­schen Affek­ten­leh­re wird, mag auf Pla­ton zurück­ge­hen. Der lehn­te die Affekt­wir­kung in sei­ner »Poli­te­ia«, der Schrift vom Staat, zwar weit­ge­hend ab. »Wir fürch­ten für unse­re Wehr­män­ner, daß sie uns eben nicht durch die­sen Schau­der auf­ge­lös­ter und weich­li­cher wer­den als bil­lig.«[2] An ande­rer Stel­le for­dert er für die Musik eine Aus­wahl zuge­las­se­ner Ton­ar­ten, denn die »(i)onische (…) und die lydi­sche wer­den schlaff genannt«[3] und bewirk­ten Weich­lich­keit. Auf der ande­ren Sei­te for­dert Pla­ton in sei­ner Schrift »Phai­dros« für den Red­ner, er sol­le sich mit den psy­cho­lo­gi­schen Ursa­chen befas­sen, die für die Wir­kung der Rede maß­geb­lich sind.[4] Und genau das macht Aris­to­te­les. Bei ihm steht der Begriff »Pathos« für Affek­te, er führt zusam­men­fas­send ver­schie­de­ne an, nach­dem er zuvor dis­ku­tiert hat­te, wie sie erweckt wer­den: Mit­leid, Ent­rüs­tung, Zorn, Hass, Neid, Eifer, Furcht, Begier­de, Freu­de, Freund­schaft, Sehn­sucht und feind­se­li­ge Hal­tung. [5] Wenn klar ist, »wenn Art und Bedeu­tung der Fak­ten fest­ste­hen, schürt man die Emo­tio­nen des Hörers. Die­se sind Mit­leid, Ent­rüs­tung, Zorn, Haß, Neid, Eifer­sucht und Streit­lust«.[6]

Es wäre nun leicht, einen Sprung zur moder­nen Affekt­for­schung zu machen, bei­spiels­wei­se zu Paul Ekman. Der in der Wis­sen­schaft nicht unum­strit­te­ne For­scher unter­schei­det sie­ben soge­nann­te Basis­emo­tio­nen: Fröh­lich­keit, Wut, Ekel, Furcht, Ver­ach­tung, Trau­rig­keit und Über­ra­schung. Er fin­det und unter­sucht sie vor allem im mimi­schen Aus­druck. Doch zwi­schen Aris­to­te­les und der moder­nen For­schung lie­gen diver­se Ent­wick­lun­gen und Dis­kus­sio­nen, in denen es immer wie­der um Affek­te und ihre Wir­kung geht, wobei die grund­le­gen­den Affek­te unter­schied­lich benannt wer­den. Zurück also zu Aristoteles.

Aris­to­te­les unter­schei­det vom Pathos, den »eigent­li­chen« Affek­ten, den Begriff »Ethos«. »Was die Glaub­wür­dig­keit betrifft, kommt es sehr dar­auf an, (…) daß der Red­ner einen bestimm­ten Ein­druck hin­ter­läßt, daß die Zuhö­rer den Ein­druck gewin­nen, die Stim­mung des Red­ners, die er ver­mit­telt, sprä­che sie in irgend­ei­ner Wei­se an (…). Daß Red­ner selbst glaub­wür­dig sind, dafür gibt es drei Grün­de (…): Es sind dies Ein­sicht, Tugend und Wohl­wol­len.«[7] Nun bezeich­net Aris­to­te­les Ethos nicht als eine Spiel­art der mil­de­ren, sanf­ten Affek­te, bei ihm bezeich­net es den Cha­rak­ter und das damit ver­bun­de­ne Image des Red­ners, das aller­dings auch auf die Stim­mung der Zuhö­rer wirkt. Eine spä­te­re Inter­pre­ta­ti­on im Sin­ne mil­de­rer Affek­te, zum Teil durch Cice­ro und spä­ter durch Quin­ti­li­an, ist daher aller­dings nahe­lie­gend. Auch ist dar­aus zu lesen: Ein Red­ner, der über­zeu­gen will, muss sel­ber über­zeu­gend sein und die Affek­te, die er beim Publi­kum her­vor­ru­fen will, selbst leben. Inso­fern ver­bin­det sich die Per­son des Red­ners in der Pra­xis mit den Affek­ten, die er her­vor­ru­fen will. Wie wesent­lich die Per­son des Red­ners für den Über­zeu­gungs­pro­zess ist, zeigt sich schon dar­in, dass der wohl bekann­tes­te Rhe­tor der Römer, Cice­ro, sei­ne bei­den wich­tigs­ten Schrif­ten zum The­ma »Vom Red­ner (de ora­to­re)« und »Der Red­ner (ora­tor)« nann­te. Die Über­zeu­gungs­kraft von Per­so­nen zeigt sich übri­gens in heu­ti­ger Zeit auch in der Wer­bung: Wir ken­nen die Chef­wer­bung und die Pro­mi­nen­ten­wer­bung, bei denen jeweils das Anse­hen der Per­son als Über­zeu­gungs­grund ange­führt wird.