2. Berner Arbeitstreffen zur visuellen Rhetorik | Essay

Popkultur und Wirtschaftsterrorismus

Der Fall »Yanis Varoufakis« und seine Bilder

Von Pierre Smolarski


Rhe­to­risch gese­hen ist Popu­lis­mus zunächst nichts ande­res als der Ver­such einer tota­len Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Publi­kum. Wie Ken­neth Bur­ke betont, ist das Iden­ti­fi­ka­ti­ons­stre­ben die Basis aller rhe­to­ri­schen Pro­zes­se, es ist der Ver­such der Über­zeu­gung des Gegen­übers und der gelingt »only inso­far as you can talk his lan­guage by speech, ges­tu­re, tona­li­ty, order, image, atti­tu­de, idea, iden­ti­fy­ing your ways with his.«[1] Die Athe­ner vor den Athe­nern zu loben oder in Bur­kes Wor­ten eine »per­sua­si­on by flat­tery«[2] ist damit nur ein Spe­zi­al­fall, eine Tota­li­sie­rung der Iden­ti­fi­ka­ti­on und damit des per­sua­si­ven Moments. Der Popu­list ver­fährt voll­kom­men rhe­to­risch, inso­fern er, wie Umber­to Eco sagt, sein Ziel dadurch erreicht, dass er von etwas aus­geht, »was der Hörer schon weiß und will, und dass [er] zu bewei­sen ver­sucht, wie die Schluss­fol­ge­rung sich ganz natür­lich dar­aus ablei­tet.«[3] Der Popu­lis­mus-Vor­wurf wie­der­um, den Ralf Dah­ren­dorf als einen »dem­ago­gi­schen Ersatz für Argu­men­te«[4] beschreibt, ist selbst wie­der popu­lis­tisch und meint nichts ande­res als der Vor­wurf, etwas sei blo­ße Rhe­to­rik: eben in der Form eines tota­len Iden­ti­fi­ka­ti­ons­stre­bens, als eine Form der Anbie­de­rung an die doxa, als eine »Gefäl­lig­keit«.

»Ver­po­pung« ist ein Popu­lis­mus ohne kon­kre­te Über­zeu­gungs­ab­sicht. Er hat mit dem Popu­lis­mus des­sen zen­tra­les Moment gemein­sam, die Gefäl­lig­keit, die sich in der Pop­kul­tur als eine Insze­nie­rung des delec­ta­re, des Spa­ßes und der fol­gen­lo­sen Bespa­ßung aus­nimmt, des­sen rhe­to­ri­sches Ziel allein im atten­tum para­re zu lie­gen scheint. Inhal­te wer­den iro­nisch gebro­chen, Sti­le par­odiert, und der Rezi­pi­ent kann sich im Witz der Selbst­iro­nie ein geis­ti­ges Ver­mö­gen zuspre­chen, das es ihm zugleich erlaubt, sich jeder­zeit vom eige­nen Tun kri­tisch zu distan­zie­ren. Ver­po­pung meint mit Ger­hard Schul­ze gespro­chen die »Inan­spruch­nah­me eines Rechts auf Selbst­wi­der­spruch««[5]. Die­se kul­mi­niert im kul­tu­rell wohl para­dig­ma­ti­schen Topos: »Das ist so schlecht, das ist schon wie­der gut.« Ver­po­pung des medi­al ver­mit­tel­ten Polit-Popu­lis­mus ist hier­nach die Par­odie der Par­odie, die das Poli­ti­sche ent­po­li­sie­rend zum Simu­lak­rum des Poli­ti­schen macht und die Pop­iko­nen her­vor­bringt, die den Geset­zen der Mode unter­wor­fen sind, Mode-Acces­soires mit poli­ti­schem Flair. In die­ser Wei­se sind nicht nur der Papst oder der ehe­ma­li­ge US-Prä­si­dent Oba­ma Pop­iko­nen, son­dern auch Yanis Varou­fa­kis, der ehe­ma­li­ge grie­chi­sche Finanz­mi­nis­ter, mit dem ich mich im Wei­te­ren befas­sen will.

Abbildung 1: http://www.grreporter.info/en/forget_che_yanis_shirts_are_new_fashion/12956.

Abbil­dung 1: http://www.grreporter.info/en/forget_che_yanis_shirts_are_new_fashion/12956.

Abbildung 2: http://greece.greekreporter.com/2015/08/09/varoufakis-becomes-fashion-inspiration/.

Abbil­dung 2: http://greece.greekreporter.com/2015/08/09/varoufakis-becomes-fashion-inspiration/.

Die Abbil­dun­gen 1 und 2 zei­gen: Hier hat man mit »Che Gue­va­rou« die Pop-Ver­bin­dung zwi­schen Che Gue­va­ra und Varou­fa­kis gezogen.

Varou­fa­kis dient mir dabei als ein Bei­spiel, anhand sei­ner mit fünf Mona­ten recht kur­zer Amts­zeit lässt sich die rhe­to­ri­sche Indienst­nah­me des Visu­el­len gut zei­gen. Die­se ver­läuft zwi­schen zwei wider­sprüch­lich anmu­ten­den Polen, die sich zunächst so beschrei­ben las­sen: Auf der einen Sei­te steht das rea­le Gän­gel­band der Macht­in­ter­es­sen, der emp­fun­de­ne Ter­ror der Wirt­schaft, das »fis­ka­li­sche water­boar­ding« von dem Varou­fa­lis sprach und die huma­ni­tä­re Kri­se in Grie­chen­land. Auf der ande­ren Sei­te steht der media­le Popu­lis­mus der Talk­shows, die mehr Bil­der als The­sen dis­ku­tie­ren und Ste­reo­ty­pe zu prä­gen suchen, der Popu­lis­mus des per­so­ni­fi­zier­ten Hel­den und schließ­lich die Ver­po­pung der gesam­ten Gemenge­la­ge inner­halb der Netz­kul­tur, in der Polit-Pop als das gau­di­um des Pro­tests erscheint. Die Rol­le deut­scher Print­me­di­en ist hier­bei beson­ders kri­tisch zu betrach­ten: Wie eine Stu­die der Hans Böck­ler Stif­tung, die die Bericht­erstat­tung der Zei­tun­gen »Die Welt«, »Bild«, »Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung«, »Süd­deut­sche Zei­tung«, »Die taz« und »Spie­gel Online« unter­such­te, her­aus­fand, wur­de in über 38 % der unter­such­ten Arti­kel auf inhalt­li­che Punk­te wie Reform­vor­ha­ben und Pro­gram­me über­haupt kein Bezug genom­men. Sie schluss­fol­gern daher: »Die Reform­agen­da, ein­zel­ne Reform­vor­schlä­ge und ihre Umset­zung spiel­ten dem­nach in der Mehr­heit der Berich­te in den unter­such­ten Medi­en kei­ne gro­ße Rol­le.«[6]