b) Cha­ris­ma­ti­scher Führer

In »Poli­tik als Beruf« hält Max Weber fest: »Es gibt der inne­ren Recht­fer­ti­gung, also der Legi­ti­ma­ti­ons­grün­de einer Herr­schaft […] im Prin­zip drei: Ein­mal die Auto­ri­tät des ›ewig Gest­ri­gen‹ [, der Tra­di­ti­on und hei­li­gen Sit­te]. Dann die Auto­ri­tät der außer­all­täg­li­chen per­sön­li­chen Gna­den­ga­be (Cha­ris­ma), die ganz per­sön­li­che Hin­ga­be und das per­sön­li­che Ver­trau­en zu Offen­ba­run­gen, Hel­den­tum oder ande­ren Führ­er­ei­gen­schaf­ten eines Ein­zel­nen: cha­ris­ma­ti­sche Herr­schaft, wie sie der Pro­phet oder – auf dem Gebiet des Poli­ti­schen – der geko­re­ne Kriegs­fürst oder der ple­bis­zi­tä­re Herr­scher, der gro­ße Dem­ago­ge und poli­ti­sche Par­tei­füh­rer aus­üben. End­lich Herr­schaft kraft ›Lega­li­tät‹, kraft des Glau­bens an die Gel­tung lega­ler Sat­zun­gen.«[10]

Die cha­ris­ma­ti­sche Herr­schaft stellt die Per­son und die ihr zuge­spro­che­nen Qua­li­tä­ten in den Mit­tel­punkt, wodurch das gesam­te poli­ti­sche Bestre­ben, die Zie­le der Par­tei etwa, mit der Durch­set­zungs­kraft die­ses Cha­ris­ma ver­wo­ben wer­den. Für Kirch­ner ist die­se Ver­wo­ben­heit ein Zei­chen des Popu­lis­mus und auch der Grund dafür, dass »mit dem Aus­schei­den oder gar Ver­schei­den des Popu­lis­ten meist die gan­ze Bewe­gung«[11] unter­geht. Selbst wo das nicht der Fall ist, kann die Pro­pa­gie­rung, man kön­ne den cha­ris­ma­ti­schen Kopf einer Bewe­gung aus­ma­chen und aus­schal­ten als Argu­ment dafür die­nen, man kön­ne so die Bewe­gung selbst zer­stö­ren, wie dies bei der Ver­fol­gung Osa­ma Bin Ladens der Fall war. In Bezug auf Varou­fa­kis war des­sen Rück­tritt und der Beginn der Ukrai­ne-Kri­se auch das Ende der Bericht­erstat­tung über die Grie­chen­land-Kri­se und also das media­le Ende der Kri­se selbst.

Im Wesent­li­chen schei­nen zwei Stra­te­gien her­vor­zu­ste­chen, wie die cha­ris­ma­ti­sche Füh­rungs­per­sön­lich­keit zu destru­ie­ren ist: Sein Herr­schafts­an­spruch muss als fol­gen­los und sein Ethos als wider­sprüch­lich her­aus­ge­stellt wer­den. Dies erklärt wenigs­tens zum Teil, war­um man in den media­len Bericht­erstat­tun­gen und in den vie­len Talk­run­den mit und über Varou­fa­kis und die Finanz­kri­se den Ein­druck gewin­nen muss­te, es wer­den kei­ne Argu­men­te zu The­sen aus­ge­tauscht und es wird nicht ver­sucht, auf einer Logos-Ebe­ne das deut­sche Fern­seh­pu­bli­kum von der Halt­lo­sig­keit der neu­en grie­chi­schen Posi­ti­on zu über­zeu­gen, son­dern es wer­den Zer­set­zungs­stra­te­gien des Ethos ange­wandt, die ins­be­son­de­re durch den Rekurs auf Bil­der und ihre ver­meint­li­che Evi­denz an Glaub­wür­dig­keit gewin­nen sol­len. In die­ser Wei­se gehört auch das popu­lis­tisch-meta­pho­ri­sche Ver­ständ­nis der Spiel­theo­rie, des For­schungs­fel­des des ehe­ma­li­gen Wirt­schafts-Pro­fes­sors Varou­fa­kis: Varou­fa­kis als »Spiel­theo­re­ti­ker« erscheint dann als ein Zocker, der sei­ne Spiel­chen mit der euro­päi­schen Wirt­schaft trei­be und auf Ver­zö­ge­rung und Bluff als Macht­mit­tel set­ze.[12]

Webers berühm­te Unter­schei­dung des Berufs­po­li­ti­kers in jenen, der öko­no­misch »von« der Poli­tik lebt und jenen der »für« die Poli­tik lebt – eine Unter­schei­dung, die leicht popu­lä­ren Anschluss fin­det und klar den zwei­ten prä­fe­riert – setzt für eben die­sen vor­aus, dass er »öko­no­misch von den Ein­nah­men, wel­che die Poli­tik ihm brin­gen kann, unab­hän­gig sein [muss]. Das heißt ganz ein­fach: Er muss ver­mö­gend oder in einer pri­va­ten Lebens­stel­lung sein, wel­che ihm aus­kömm­li­che Ein­künf­te abwirft.«[13] Für einen Lin­ken ergibt sich hier­aus ein Pro­blem, das in einem Topos – wir kön­nen ihn pro­be­wei­se »der Lin­ke und der Kavi­ar« nen­nen – mün­det, der der Gegen­sei­te immer wie­der zum Vor­wurf und zur Ethos-Atta­cke dient. Ent­we­der han­delt es sich um einen »Kavi­ar­lin­ken« oder um einen, der abhän­gig von sei­nen poli­ti­schen Ein­künf­ten und damit erpress­bar und sys­tem­ab­hän­gig ist, was ins­be­son­de­re für das Ethos des lin­ken Sys­tem­kri­ti­kers ver­nich­tend wäre. In eben die­ser Wei­se wur­den die Hoch­glanz­bil­der genutzt, die Varou­fa­kis in der Zeit­schrift »Paris Match« im März 2015 ver­öf­fent­lich­te und von denen er spä­ter mein­te, die­se Ver­öf­fent­li­chung der Bil­der – wohl­ge­merkt nicht des text­li­chen Inter­views – sei ein Feh­ler gewe­sen und er habe die Macht die­ser Bil­der unterschätzt.

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Abbildungen 7, 8, 9: http://www.watson.ch/International/Griechenland/960103957-Varoufakis-bereut-Homestory-Fotos.

Abbil­dun­gen 7, 8, 9: http://www.watson.ch/International/Griechenland/960103957-Varoufakis-bereut-Homestory-Fotos.

Genau­ge­nom­men war es aber nicht die Macht die­ser Bil­der, die mit ihrer Insze­nie­rung des bür­ger­li­chen Ehe-Idylls (Abb. 7), der Muße­stun­de für Lite­ra­tur und Musik (Abb. 8) und der aus­ge­wo­ge­nen fett­ar­men Ernäh­rung (Abb. 9) eher lang­wei­li­ge und kit­schi­ge Moti­ve zei­gen. Es war die Macht der Kon­tras­tie­rung, die durch die Neu­kon­tex­tua­li­sie­rung der Bil­der ent­stand. Die­se wur­den etwa in der deut­schen Pres­se erst da zum Spreng­stoff, wo sie nicht zusam­men mit dem ursprüng­li­chen Inter­view, son­dern vor dem Hin­ter­grund der von Varou­fa­kis selbst beschrie­be­nen huma­ni­tä­ren Kata­stro­phe, die durch das »Spar­dik­tat der Troi­ka« ver­ur­sacht wur­den, gezeigt wur­den; ein Kon­trast, der in Grie­chen­land selbst gar nicht erst auf­ge­macht wer­den muss­te. Inner­halb kür­zes­ter Zeit ent­stan­den Foto­mon­ta­gen, die die­sen Angriff aufs Ethos deut­lich machten.

Abbildung 10: https://wpimg.wallstcn.com/uploads/1d/2a/98/12.jpg!article.foil.

Abbil­dung 10: https://wpimg.wallstcn.com/uploads/1d/2a/98/12.jpg!article.foil.

https://pbs.twimg.com/media/B_98Oh4U0AE_u7q.jpg.

https://pbs.twimg.com/media/B_98Oh4U0AE_u7q.jpg.

Abbildung 12: http://ipanic.gr/wp-content/uploads/2015/03/1796668_10204471073671270_3796386001706674686_n.jpg.

Abbil­dung 12: http://ipanic.gr/wp-content/uploads/2015/03/1796668_10204471073671270_3796386001706674686_n.jpg.

Zum einen durch Mit­tel des Kon­tras­tes auf der Ebe­ne von »huma­ni­tä­rer Kata­stro­phe« und »Wohl­stands­lin­ken« (Abb. 10) oder auf der Ebe­ne des Kon­tras­tes von »poli­ti­schem Pro­test gegen ein Unter­drü­ckungs­sys­tem« und »Insze­nie­rung von bür­ger­lich anmu­ten­der Pri­vat­heit« (Abb. 11), zum ande­ren aber auch durch eine iro­ni­sche Über­in­sze­nie­rung der Home­sto­ry des Poli­ti­kers und einer Über­set­zung in gewerb­li­che Wer­be­fo­tos (Abb. 12).


Ausgabe Nr. 10, Frühjahr 2017

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