Ausgabe Nr. 2, Frühjahr 2013: Essay

Das zentrale Kriterium eines guten Entwurfs

Über den Wert des Designs

Von Poonam Choudhry


Der Phi­lo­soph Peter Slo­ter­di­jk nennt unse­re Zeit die Epo­che des »mas­sen­haf­ten self-desig­nings«: Jeder kann am Com­pu­ter gestal­ten, was das Zeug hält, ohne je eine Hoch­schu­le von innen gese­hen zu haben. Führt die Demo­kra­ti­sie­rung der Gestal­tung zum Ver­lust von Qua­li­tät? Ist Design-Kom­pe­tenz bereits eine aus­ster­ben­de Fähig­keit? Wel­chen Wert mes­sen wir guter Gestal­tung heut­zu­ta­ge eigent­lich bei?

Das Jahr 1876 war ein fol­gen­rei­ches für die deut­sche Indus­trie. Der offi­zi­el­le Bericht­erstat­ter der Welt­aus­stel­lung in Phil­adel­phia sprach von »der schwers­ten Nie­der­la­ge Deutsch­lands«. Man möge doch alles in  Bewe­gung set­zen, damit fort­an gute und zeit­ge­mä­ße Gestal­tung dem schlech­ten Ruf deut­scher Indus­trie­er­zeug­nis­se ent­ge­gen­wir­ke. Bis­her galt: Haupt­sa­che es funk­tio­niert, Erschei­nung ist Neben­sa­che. Nun setz­te sich die Erkennt­nis durch, Form­ge­stal­tung sei eine ent­schei­den­de Ingre­di­enz für den Erfolg eines jeden guten Pro­duk­tes. Ein Auf­trag des 1907 gegrün­de­ten Werk­bunds und obers­tes Pri­mat des spä­te­ren Bauhauses.

Wo aber ste­hen wir heu­te? Am schein­bar ande­ren Ende der dama­li­gen Auf­fas­sung. Heu­te, so scheint es, spielt das Gesicht eines Pro­dukts eine grö­ße­re Rol­le als sei­ne Funk­ti­on. Das Erschei­nungs­bild über­strahlt die Funk­ti­on, beein­träch­tigt sie oft gar. Der Kun­de misst for­ma­l­äs­the­ti­schen Merk­ma­len von sich aus höchs­ten Wert bei. Neh­men wir zum Bei­spiel einen Text. Ein Text soll­te zwi­schen den Buch­sta­ben weni­ger Abstand haben als zwi­schen den Zei­len, damit man ihn bes­ser lesen kann. Zu die­ser erfah­rungs­ge­mä­ßen For­ma­lie kom­men die emo­tio­nal über­zeu­gen­den Kom­po­nen­ten, die die Desi­gner lie­fern kön­nen. Wie ord­ne ich Text­blö­cke? Wie ist das Bild-Text-Ver­hält­nis? Wel­che Typo­gra­fie spricht den Leser an? Ver­sal, fett, far­big? Da die Pro­duk­te heu­te auf einem ähn­li­chen tech­ni­schen Stand sind, ist die emo­tio­na­le Ver­klei­dung sehr wich­tig gewor­den. Sie ver­spricht Distink­ti­on. das Allein­stel­lungs­merk­mal. Einen Text kann jeder dru­cken. Ihn rich­tig zu set­zen bleibt die Herausforderung.

Nach wie vor bleibt die Funk­ti­on das zen­tra­le Kri­te­ri­um eines guten Ent­wurfs. Aber genau dies wird mitt­ler­wei­le in den Hin­ter­grund gedrängt. Man bewegt sich teil­wei­se auf dem Ter­rain der tota­len Funk­ti­ons­ver­feh­lung man­cher Objek­te. In jugend­li­cher Nai­vi­tät habe ich ein­mal die dicke Ber­tha von Ales­si (ja, den Was­ser­kes­sel) zum Sperr­müll getan, da sie ein­fach nur getropft und nicht gegos­sen hat, wie man das als eine wesent­li­che Eigen­schaft von einem Was­ser­kes­sel erwar­ten dürf­te. Viel­leicht mar­kiert dies unse­re Ära: Das Inein­an­der-Flie­ßen von Design und Kunst. Eine Vase, die am Com­pu­ter schief gezo­gen wur­de, soll den Glanz des Spek­ta­ku­lä­ren ins Haus holen und dem Kun­den etwas Beson­de­res ver­mit­teln. Aber allein die Anders­ar­tig­keit gibt dem Design nicht das Anrecht, tat­säch­lich ein gutes Design zu sein. Die Abwei­chung von der Norm als Selbst­zweck ist nicht die Lösung: Wenn man sich die Krea­tio­nen des schwe­di­schen Tri­os »Front« anschaut, fragt man sich, ob ein Stuhl, der am Com­pu­ter spon­tan mit Lini­en gezeich­net ist und dann in ein 3D-Modell über­tra­gen wur­de, tat­säch­lich funk­tio­niert und ob man ihn mit sei­ner unebe­nen Sitz­flä­che über­haupt zum Sit­zen benut­zen kann. Oder ist hier wie­der die Kunst im Spiel? Dann stellt man ihn sich zum Anschau­en in die Ecke.


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