Ausgabe Nr. 21, Herbst 2022: Essay

Wie werden Bilder für Argumentationen verwendet?

Über Semiotik und Rhetorik in der visuellen Kommunikation

Von Andreas Schelske


1 Logik und visu­el­le Argumentation

Bil­der, sei­en es unbe­weg­te oder beweg­te, erhal­ten in der com­pu­ter­un­ter­stütz­ten Kom­mu­ni­ka­ti­on der post­mo­der­nen Welt­ge­sell­schaft eine zuneh­mend bedeu­tungs­vol­le­re Posi­ti­on hin­sicht­lich ihrer Quan­ti­tät, Qua­li­tät und auch ihrer argu­men­ta­ti­ven Auto­ri­tät. Im Jour­na­lis­mus wer­den Bil­der bei­spiels­wei­se als Rea­li­täts­be­wei­se her­an­ge­zo­gen. Im Mar­ke­ting sol­len Bil­der den Kun­den zum Kauf anre­gen und in der Public Rela­ti­ons ein posi­ti­ves Image eta­blie­ren. Und die Social Media wür­den ohne Bil­der das Poten­ti­al ihrer trans­kul­tu­rell ver­mit­teln­den Wir­kung ver­lie­ren, eine kul­tu­rel­le Glo­ba­li­sie­rung von Design – und Lebens­sti­len zu mani­fes­tie­ren. Manch­mal unter­stüt­zen Bil­der auch eine post­fak­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on, die kraft Emo­tio­na­li­sie­rung und schein­ba­ren Evi­denz ver­sucht zu über­re­den, aber die infol­ge einer ver­ba­len Logik und Argu­men­ta­ti­on kaum über­zeu­gen kann. Hin­sicht­lich all die­ser Bild­ver­wen­dun­gen drängt die Fra­ge: Wor­in besteht der Erfolg visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on? Die Akteu­re ver­wen­den Bil­der mit der Absicht, einen Sach­ver­halt dar­zu­le­gen und kom­mu­ni­ka­tiv mit­zu­tei­len. Sie betrei­ben eine visu­el­le Argu­men­ta­ti­on, um ihre kom­mu­ni­ka­ti­ven Zie­le zu errei­chen. Aber wie und was kann als visu­el­le Argu­men­ta­ti­on gel­ten? Wel­cher Logik und wel­cher Rhe­to­rik folgt die visu­el­le Argu­men­ta­ti­on und wie wird sie stra­te­gisch ein­ge­setzt? Und zu fra­gen ist auch: Wel­che Zei­chen müs­sen Bil­der tra­gen, um Recht in einem Dis­kurs zu behalten?

Der fol­gen­de Text erör­tert Begrif­fe, mit denen über Bil­der gespro­chen wird, obgleich die Anschau­ung von Bil­dern not­wen­dig eine ande­re Pra­xis beinhal­tet als eine Theo­rie. In die­sem Sin­ne ori­en­tiert sich der Text an dem phi­lo­so­phi­schen Dik­tum von Imma­nu­ell Kant: »Gedan­ken ohne Inhalt sind leer, Anschau­un­gen ohne Begrif­fe sind blind.«[1] Um die auf­ge­zeig­ten Fra­gen zu beant­wor­ten, wird im Fol­gen­den zunächst reka­pi­tu­liert, war­um Bil­der nicht den Kri­te­ri­en stand­hal­ten, die in der for­ma­len Logik der Phi­lo­so­phie für eine Aus­sa­gen­lo­gik und Prä­di­ka­ten­lo­gik not­wen­dig sind. Im Anschluss dar­an wird dar­ge­legt, wie die Semio­tik eine Bild­lo­gik stützt, die den Begriff der Logik im Sin­ne sei­ner alt­grie­chi­schen Her­kunft als den­ken­de Kunst, Vor­ge­hens­wei­se, Fol­ge­rich­tig­keit oder ver­nünf­ti­ge Schluss­fol­ge­rung bezeich­net.[2] Die Bild­lo­gik als den­ken­de Kunst zu beschrei­ben, obgleich sie ohne eine Logik der Ver­ba­li­sie­run­gen und damit der Spra­che aus­kommt, mutet unpro­ble­ma­tisch an, da aus­schließ­lich der Homo Sapi­ens Bil­der als Zei­chen erstel­len kann und sie für die zwi­schen­mensch­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on nutzt. So soll der Zweck der Zei­chen­theo­rie dar­in bestehen, die Logik visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on zu klären.

Für vie­le Akteu­re gehört es zur all­täg­li­chen Pra­xis, visu­ell zu den­ken und kom­mu­ni­ka­tiv mit­tels Bil­dern zu han­deln. Oft möch­ten Bild­han­deln­de mit­tels visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on jeman­den davon über­zeu­gen, wie etwas aus­sieht, wie etwas exis­tiert und wie über etwas zu den­ken ist. Des­halb lau­tet die fina­le Fra­ge fol­gen­der Über­le­gun­gen: Wie fol­gen Bil­der ihrer Logik, die ihnen unter­schied­li­che For­men der visu­el­len Argu­men­ta­tio­nen erlau­ben? Um die­ses Ergeb­nis zu erlan­gen, gehen dem Fra­gen vor­aus, die klä­ren, wie logi­sche Argu­men­ta­tio­nen mit­tels Wor­ten in einer Spra­che auf­ge­baut sind. Die Ana­lo­gie zwi­schen Spra­che und Bild­spra­che hat zwar in der Bild­wis­sen­schaft nur zu Miss­ver­ständ­nis­sen[3] geführt, weil Bil­der sich nicht als eine Spra­che defi­nie­ren las­sen, trotz­dem bie­tet die Argu­men­ta­ti­ons­theo­rie der sprach­ba­sier­ten Logik eini­ge Hin­wei­se, wor­auf eine bild­ba­sier­te Logik zu ach­ten hat.

1.1 Bild­ba­sier­te Logik

Sehr ver­ein­facht, aber ohne weit­rei­chen­de Erklä­rungs­kraft lässt sich der prag­ma­ti­sche Umgang mit visu­el­ler Argu­men­ta­ti­on mit Bird­sell and Gro­ar­ke fol­gen­der­ma­ßen beschrei­ben: »We under­stand visu­al argu­ments to be argu­ments (in the tra­di­tio­nal pre­mi­se and con­clu­si­on sen­se) which are con­vey­ed in images.«[4] Sol­che tau­to­lo­gi­schen Erklä­run­gen fol­gen der all­täg­li­chen Beob­ach­tung, dass Bil­der in der Pra­xis als visu­el­le Argu­men­te ver­wen­det wer­den und des­halb auch Argu­men­te sein sol­len. Die­ser rhe­to­ri­sche Trick lässt sich leicht durch­schau­en, weil dann eben­falls ein Faust­schlag auf das Auge eines Ant­ago­nis­ten der­art evi­dent bzw. empi­risch bedeut­sam wirkt, um ihn im ansons­ten sprach­li­chen Dis­sens von der eige­nen Mei­nung final zu über­zeu­gen. Ein solch »über­wäl­ti­gen­des Argu­ment«, wie man es im Deut­schen umgangs­sprach­lich benennt, kann ein­ge­setzt wer­den, um sei­nen Ant­ago­nis­ten mit­tels Evi­denz ohne wei­te­re Argu­men­te zu über­zeu­gen. Hand­lun­gen oder bild­haf­te Zei­chen müs­sen sich nicht als Argu­men­te defi­nie­ren las­sen, obgleich sie im All­tag schein­bar wie Argu­men­te wir­ken. Hin­zu­kommt, wor­auf Roque hin­weist, dass die Benen­nung des visu­el­len Kanals nicht aus­reicht, um die visu­el­le Argu­men­ta­ti­on als sol­che zu defi­nie­ren.[5] Das visu­el­le Medi­um Bild ver­mit­telt immer die Bot­schaft, dass etwas visu­ell prä­sent wird, ohne dass eine Argu­men­ta­ti­on in pro­po­si­tio­na­len Sprech­ak­ten dem gleich­kom­men könn­te oder soll­te. Bei­spiels­wei­se bie­tet das Bild »Feld­ha­se« von Albrecht Dürer eine Evi­denz, die über­zeugt, weil sie im Jah­re 1502 mit­tels einer foto­rea­lis­ti­schen Dar­stel­lung visu­ell argu­men­tiert, wie ein Feld­ha­se so rea­lis­tisch wie mög­lich per Ähn­lich­keit bezeich­net wer­den kann. Hier wirkt die visu­el­le Prä­senz eines Bil­des evi­dent, weil Betrach­ter ohne Wor­te ver­ste­hen und gege­be­nen­falls reagie­ren, obwohl sie für das Gese­he­ne noch kei­ne Wor­te fin­den oder gar Argu­men­te erkennen.

Die Evi­denz – im Sin­ne einer anschau­en­den Gewiss­heit – beschreibt die »broa­der cate­go­ry«[6], die ver­ständ­lich macht, dass Betrach­ter bei­spiels­wei­se ein Foto als einen empi­ri­schen Beweis für die Exis­tenz von etwas aner­ken­nen und dies unbe­zwei­fel­bar Erkenn­ba­re als Wort in ihre ver­ba­le Argu­men­ta­ti­on ein­fü­gen. Wenn ein Bild auf Rezi­pi­en­ten wirkt, als ob es ein Argu­ment sei, dann ist dies aber kein Beweis dafür, dass es not­wen­dig den Begriffs­ab­gren­zun­gen des Argu­ments folgt, wie sie die Phi­lo­so­phie der Logik defi­niert. Wenn Bil­der wie »schla­gen­de Argu­men­te« ver­wen­det wer­den, dann kann ihre Evi­denz über­zeu­gen, ohne dass es sprach­wis­sen­schaft­li­chen oder phi­lo­so­phi­schen Defi­ni­tio­nen eines Argu­ments ent­spricht. Es wird sich an spä­te­rer Stel­le zei­gen, wie Bil­der als »schla­gen­de Argu­men­te« eine Plau­si­bi­li­tät und Evi­denz anbie­ten, die die Zustim­mungs­be­reit­schaft bei Rezi­pi­en­ten zwei­fel­los erhöht. Inso­fern führt Scholz mit der Dar­stel­lung der Neu­en Rhe­to­rik von Chaïm Perel­man [7] auf die weg­wei­sen­de Spur, dass »zwi­schen der Wahr­heit einer The­se und Zustim­mungs­be­reit­schaft zu einer The­se zu unter­schei­den«[8] sei.


Datenschutz-Übersicht
Sprache für die Form * Forum für Design und Rhetorik

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.