Buchbesprechung

Control the narrative”

Ellen Lupton über »Storytelling« im Design

Eine Rezension von Rebekka Taplick


Jedes Design­pro­dukt erzäh­le eine Geschich­te, so der Stand­punkt der Autorin Ellen Lup­t­on und der Aus­gangs­punkt ihres Buches »Design is Sto­rytel­ling«. Im Buch unter­sucht die Autorin die Psy­cho­lo­gie der visu­el­len Kom­mu­ni­ka­ti­on aus Sicht des »Sto­rytel­lings« und regt an, »Sto­rytel­ling« im Design zu nut­zen. »Design is Sto­rytel­ling« ist eine Inspi­ra­ti­on und Samm­lung für krea­ti­ves Den­ken, das zeigt, wie mit nar­ra­ti­ven Tech­ni­ken bedeu­ten­de Gra­fi­ken, Pro­duk­te, Dienst­leis­tun­gen und Erleb­nis­se gestal­tet wer­den können.

Das Buch »Design is Sto­rytel­ling« ist in die Berei­che »Action« (S. 3), »Emo­ti­on« (S. 3) und »Sen­sa­ti­on« (S. 3) geglie­dert. Im ers­ten Kapi­tel, »Action«, wird das Grund­ge­rüst des »Sto­rytel­lings« beschrie­ben. Anhand lite­ra­ri­scher Geschich­ten wer­den der sche­ma­ti­sche Auf­bau einer Geschich­te erklärt und ver­schie­de­ne Stra­te­gien zum Fest­le­gen einer Nar­ra­ti­on gezeigt. Bei­spie­le aus dem Design unter­stüt­zen das Geschrie­be­ne. Das zwei­te Kapi­tel, »Emo­ti­on«, han­delt von der Aus­ge­stal­tung einer Geschich­te. Hier geht es um die Emo­tio­nen, die mit bestimm­ten gestal­te­ri­schen Mit­teln beim Betrach­ter aus­ge­löst wer­den sol­len. Das drit­te Kapi­tel des Buches, »Sen­sa­ti­on«, ist der Wahr­neh­mung gewid­met. Man erfährt, wie ein Mensch Din­ge wahr­nimmt und wie man die­se Wahr­neh­mungs­mus­ter für die Gestal­tung eines Design­pro­duk­tes nut­zen kann. Am Ende des Buches gibt es zusätz­li­che Hil­fe­stel­lun­gen, die die erlern­ten »Tools« (S. 12) ergänzen.

Im ers­ten Kapi­tel, »Act 1: Action« (S. 15), wird der Hand­lungs­auf­bau einer Geschich­te ver­an­schau­licht. Am Bei­spiel des klas­si­schen Mär­chens »Die drei klei­nen Schwein­chen« macht Lup­t­on den Auf­bau eines Erzähl­bo­gens sicht­bar und zeigt, anhand der Raum­ge­stal­tung von »Ikea« und ver­schie­de­nen Aus­stel­lungs­räu­men, wie der »Nar­ra­ti­ve Arc« (S. 22) im Design genutzt wird und wel­che unter­schied­li­che Wir­kun­gen beim Kun­den her­vor­ge­ru­fen wer­den kön­nen. Der Kun­de soll zum Held der Geschich­te wer­den, die der Desi­gner ent­ste­hen lässt: »con­trol the nar­ra­ti­ve« (S. 31). “Sounds, Mate­ri­als, and gra­phics add atmo­sphe­re and build dra­ma­tic ten­si­on.” (S. 33) Meh­re­re Illus­tra­tio­nen ver­bild­li­chen das Beschrie­be­ne. Wie sich die Wich­tig­keit die­ser »expe­ri­ence eco­no­my« (S. 66) von der Ver­gan­gen­heit bis hin zur Gegen­wart ent­wi­ckelt hat, wird im zwei­ten Kapi­tel the­ma­ti­siert. In der zwei­ten Hälf­te des ers­ten Kapi­tels wer­den Tech­ni­ken genannt, mit denen man den Erzähl­bo­gen im Design­pro­zess abbil­den kann. Mit dem »Sto­ry­board« (S. 34) soll man die Sze­nen eines Films und den Nut­zer­ver­lauf von inter­ak­ti­ven Medi­en dar­stel­len kön­nen, die »Rules of Threes« (S. 40) hel­fe bei der Ent­wick­lung über­ra­schen­der Geschich­ten, und »Sce­na­rio Plan­ning« (S. 44) und »Design Fic­tion« (S. 50) erwei­tern das Wis­sen zur Gestal­tung von Geschichten.

In zwei­ten Kapi­tel, »Act 2: Emo­ti­on« (S. 57), wer­den gestal­te­ri­sche Mit­tel gezeigt, mit denen man den Inhalt einer Geschich­te detail­liert aus­schmü­cken und Emo­tio­nen beim Betrach­ter aus­lö­sen kann, um ihn zur Hand­lung zu Bewe­gen. Zu Beginn des Kapi­tels beschreibt Lup­t­on, wie Emo­tio­nen ent­ste­hen und wel­che Grund­be­dürf­nis­se des Men­schen erfüllt sein müs­sen, um bestimm­te Emo­tio­nen wecken zu kön­nen. Desi­gner sol­len sich zu Beginn des Design­pro­zes­ses über­le­gen, wel­che Emo­tio­nen beim Betrach­ter aus­ge­löst wer­den müs­sen, um ihn zur Hand­lung zu bewe­gen (“Emo­ti­on trig­gers action”, S. 60). Um das Nut­zer­er­leb­nis eines Kun­den nach­voll­zie­hen zu kön­nen, emp­fiehlt Lup­t­on allen Desi­gnern, im Rah­men der »emo­tio­nal jour­ney« (S. 72) eige­ne erfahr­ba­re Situa­tio­nen zu beob­ach­ten und zu bewer­ten. Dadurch soll der Desi­gner fest­stel­len kön­nen, wel­che Aktio­nen ange­nehm waren und wel­che ver­bes­sert wer­den könn­ten. Die­se gewon­ne­nen Erkennt­nis­se sol­len im Ent­wick­lungs­pro­zess eines Design­pro­duk­tes ver­wen­det wer­den. Lup­t­ons belieb­tes Bei­spiel der Mär­chen spielt auch hier wie­der eine Rol­le (“Ima­gi­ne that Cinderella’s fairy god­mo­ther is a digi­tal pro­duct. What ratings would this fic­tion­al app earn for cus­to­mer expe­ri­ence?”, S. 76). Kom­ple­men­tie­ren­de Stra­te­gien wäh­rend des Design­pro­zes­ses sei­en die Erstel­lung von »Per­so­nas« (S. 90) und die Über­prü­fung von Desi­gnideen mit­hil­fe der »Co-crea­ti­on« (S. 82). In »Color and Emo­ti­on« (S. 104) wird über die kul­tu­rell abhän­gi­ge Bedeu­tung von Far­ben gespro­chen und wie in der Design­bran­che die­se unter­schied­li­chen Wahr­neh­mun­gen genutzt wer­den. Und in »Emo­ji« (S. 100) zeigt Lup­t­on anhand meh­re­rer Illus­tra­tio­nen, wel­che Wir­kungs­wei­sen die unter­schied­li­chen Posi­tio­nie­run­gen von ein­fa­chen Stri­chen haben können.

Im drit­ten Kapi­tel, »Act 3: Sen­sa­ti­on« (S. 113), spricht Lup­t­on über die Art, wie das Gehirn Din­ge wahr­nimmt und wie dies für die Gestal­tung genutzt wer­den kann. Hin­ter­legt wer­den die Schil­de­run­gen mit ver­schie­de­nen Stu­di­en. Bei­spie­le, mit denen der Leser die beschrie­be­ne Wahr­neh­mung tes­ten kann, lie­fert Lup­t­on gleich mit. Zudem stellt Lup­t­on Pla­ka­te und Illus­tra­tio­nen vor, bei denen das Wis­sen, in wel­cher Rei­hen­fol­ge das Auge Din­ge wahr­nimmt, genutzt wur­de, um bild­haf­te Hier­ar­chien ent­ste­hen zu las­sen, die zu Geschich­ten wer­den. Dass sich ein Desi­gner nicht nur auf die visu­el­le Gestal­tung kon­zen­trie­ren soll, zeigt Lup­t­on mit dem »Tool« »Mul­ti­sen­so­ry Design« (S. 142). Mit dem Anspre­chen von Geschmacks-, Hör- und Tast­sinn kön­ne ein Design­pro­dukt oder eine Dienst­leis­tung voll­kom­men abge­run­det wer­den – und eine Sen­sa­ti­on entstehen.

Am Ende des Buches gibt Lup­t­on zusätz­li­che Hil­fe­stel­lun­gen, die die erlern­ten Fähig­kei­ten des »Sto­rytel­lings« ergän­zen sol­len. Mit »Impro­ve your wri­ting« (S. 154) soll man das Schrei­ben von Tex­ten ver­bes­sern kön­nen, mit »Pro­ject Gene­ra­tor« (S. 156) das »Sto­rytel­ling« anhand vor­ge­ge­be­ner The­men üben. Durch die ange­ge­be­nen Kapi­tel, auf die sich die jewei­li­ge Übung bezieht, lässt sich der Inhalt des Buches ver­in­ner­li­chen. Das Buch wird mit einer Check­lis­te zusam­men­ge­fasst, mit der man eige­ne Design­pro­duk­te auf die im Buch beschrie­be­nen Aspek­te des »Sto­rytel­lings« über­prü­fen kann.

Lup­t­ons Buch »Design is Sto­rytel­ling« ist eine Samm­lung hilf­rei­chen Wis­sens und Tech­ni­ken, mit denen man das »Sto­rytel­ling« in sei­ner Design­ar­beit ver­bes­sern kann. Zu jedem The­ma und jeder Gra­fik gibt es Quel­len­ver­wei­se, die ermög­li­chen, sich näher über das jewei­li­ge The­ma zu infor­mie­ren. Nach­dem man den Anfang des ers­ten Kapi­tels gele­sen hat, sind die »Tools« inner­halb der Kapi­tel so unter­teilt, dass sie allei­ne ver­ständ­lich sind und nicht in der ange­ge­be­nen Rei­hen­fol­ge gele­sen wer­den müs­sen. Bei den Ein­tei­lun­gen des Buches hat Lup­t­on Bezeich­nun­gen aus dem Thea­ter über­nom­men. Das Buch wird ein­ge­lei­tet mit “Curtain is clo­sed. Stage is dark” (S. 4) und been­det mit “Curtain clo­se, and house lights come up. Search the area for per­so­nal belon­gings.” (S. 152) Die Kapi­tel sind wie Sze­nen­an­fän­ge beschrie­ben: »Act 1« (S. 15), »Act 2« (S. 57), »Act 3« (S. 113). Lup­t­on spricht also nicht nur im Text über das »Sto­rytel­ling«, es wird auch gestal­te­risch direkt ange­wandt. So hat der Leser das Gefühl, beim Lesen in ein Schau­spiel­stück ein­zu­tau­chen und das »Sto­rytel­ling« selbst zu erleben.

Ellen Lup­t­ons Schreib­stil ist leicht ver­ständ­lich, the­ma­ti­sche Fach­wör­ter wer­den in einem ein­fa­chen Eng­lisch wie­der­ge­ge­ben. Sie spricht den Leser direkt an und sorgt für ein Gefühl des rea­len Gesprä­ches. Der Text ist humor­voll geschrie­ben und ange­nehm zu lesen. Dass Ellen Lup­t­on eine lang­jäh­ri­ge Kura­to­rin für zeit­ge­nös­si­sches Design war, merkt man vor allem bei den Bei­spie­len im Inte­ri­or Design. Die vor­ge­zeig­ten, teils auch sehr bekann­ten, Bei­spie­le und beglei­ten­den Gra­fi­ken unter­stüt­zen das Geschrie­be­ne und beto­nen, dass »Sto­rytel­ling« im erfolg­rei­chen Design schon lan­ge prak­ti­ziert wird. Von Kom­mu­ni­ka­ti­ons­de­si­gnern, Pro­dukt­de­si­gnern und Edi­to­ri­al Desi­gnern bis hin zu Mar­ken­stra­te­gen, Stu­den­ten und Kun­den – emp­feh­lens­wert ist das Buch für »anyo­ne inte­res­ted in using design to inspi­re action and stir emo­ti­on« (S. 6).