Petrar­cas Bli­cken erschloss sich dage­gen eine ganz ande­re Dimen­si­on. Weder von ter­ri­to­ria­len Ansprü­chen noch von prak­ti­schen Zwe­cken über­haupt gelei­tet, kon­sti­tu­ier­ten sie einen neu­en, von funk­tio­na­len Bestim­mun­gen ent­bun­de­nen räum­li­chen Zusam­men­hang. Dar­in erweist sich Petrar­ca bekannt­lich als einer der »frü­hes­ten völ­lig moder­nen Men­schen« – wie ihn Jakob Bur­ck­hardt nann­te –, dass er den vor ihm sich öff­nen­den irdi­schen Raum unab­hän­gig von des­sen Nutz­bar­keit in sei­ner ästhe­ti­schen Qua­li­tät und damit erst in sei­ner Bedeu­tung als »Land­schaft« wahrnahm.

Wie neu­ar­tig die­se Betrach­tung der umge­ben­den Welt sei­ner­zeit war, zeigt  Petrar­cas Bestür­zung über die zur Besin­nung auf die mensch­li­che See­le mah­nen­den Wor­te Augus­tins, die er ange­sichts von alle­dem, was er »eins ums ande­re bestaun­te«,  in den mit­ge­führ­ten Bekennt­nis­sen gele­sen hat­te: »Ich war wie betäubt … und schloss das Buch im Zorn mit mir selbst dar­über, dass ich noch jetzt Irdi­sches bewun­der­te.« Reu­mü­tig kehr­te er um: »Da beschied ich mich, genug von dem Ber­ge gese­hen zu haben, und wand­te das inne­re Auge auf mich selbst.«[6]

Die gegen­über dem All­tags­be­wusst­sein erwei­ter­te ästhe­ti­sche Wahr­neh­mung, damals schock­ar­tig aus­ge­löst durch Ent­gren­zung, Über­schrei­tung des eng Zweck­mä­ßi­gen, bestimmt bis heu­te das Land­schafts­se­hen, das sich im Rah­men des Hori­zonts voll­endet. Als wesent­li­ches Moment der Raum­wahr­neh­mung trennt der Hori­zont nicht nur Him­mel und Erde, oben und unten; er setzt auch Nähe und Fer­ne und den Aus­schnitt der Wahr­neh­mung, der sich in sei­nem Rah­men zum Total­ein­druck einer Land­schaft zusam­men­schließt. Ein Gan­zes, das als sol­ches aller­dings nur dem tota­li­sie­ren­den und raum­kon­sti­tu­ie­ren­den Blick selbst ent­springt. Im Zen­trum der Land­schaft steht das Indi­vi­du­um, das sich in Bezie­hung zu sei­ner Umge­bung setzt. Das Ich, zum Sub­jekt gewor­den, sieht sich jedoch in der ästhe­ti­schen Betrach­tung nicht ein­fach einer Objekt­welt gegen­über, die am Hori­zont ihre augen­blick­li­che Gren­ze erreicht. Es wird sei­ner­seits von ihr berührt und angeregt.

Durch­läs­sig nur für Spe­ku­la­tio­nen, stellt sich der Hori­zont dem ruhen­den Betrach­ter unüber­wind­bar ent­ge­gen, hält sei­ne Stel­lung jedoch nicht gegen die Bewe­gung. Vor den Bli­cken beim Abstieg erhe­ben sich Hügel, die man von der Anhö­he in ihren flach gewell­ten Kon­tu­ren wahr­ge­nom­men hat­te, zu immer höhe­ren Bar­rie­ren. Im Anstei­gen zei­gen sich hin­ter den Din­gen ande­re Din­ge und hin­ter den ande­ren Din­gen wie­der ande­re Din­ge und so fort.


Ausgabe Nr. 2, Frühjahr 2013

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