Buchbesprechung
»Design ist politisch, weil …«
Friedrich von Borries über Design und Gesellschaft
Im Vergleich zu anderen Disziplinen gibt es in der Designbranche wenige wissenschaftliche Auseinandersetzungen und theoretische Abhandlungen. Friedrich von Borries, studierter Architekt, lehrt das noch junge Fach Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Er beschäftigt sich mit der Beziehung von Gestaltung und gesellschaftlicher Entwicklung. So erschien 2016 sein Buch »Weltentwerfen – Eine politische Designtheorie«.
Darin stellt von Borries ein Bewertungsraster für Design unter politischen Aspekten vor. Für ihn hat jedes Design heutzutage eine politische Aussage: »Design ist politisch, weil Design in die Beschaffenheit der Welt eingreift.« (S. 31) Bei der Bewertung von Design seien »politische und ethische Kriterien (…) lange abgelehnt« (S. 34) worden. Diese Thesen könnten die Dringlichkeit und Wichtigkeit seines Buches untermauern – allerdings ist zu erwähnen, dass die politische Dimension von Design durchaus von beispielsweise Victor Papanek, den er selbst zitiert (vgl. S.20), betrachtet wurde oder auch von Andreas Koop.– Als weitere Grundlage teilt der Autor mit, dass seine Theorie auf Gedanken der Kulturwissenschaften aufbaut. Im Laufe des Buches bezieht er sich daher auf Philosophen, Anthropologen oder Soziologen wie Martin Heidegger, Vilém Flusser, Arnold Gehlen, Günther Anders, Giorgio Agamben, Immanuel Kant, Jean-Jacques Rousseau oder Peter Sloterdijk.
Zu Beginn definiert von Borries den Begriff »Design« und stellt damit eine gemeinsame Basis her. Er versteht Design nicht nur als die Gestaltung von Dingen oder Gegenständen, sondern vielmehr als das Entwerfen von Prozessen, gesellschaftlichen Systemen und der Selbstgestaltung. Dabei lehnt er sich an einen bekannten Satz Immanuel Kants an: »Entwerfen ist der Ausgang des Menschen aus seiner Unterworfenheit.« (S. 15) Weiterhin erklärt er: »Design kann damit als Ausdruck von Normen, aber auch von Ängsten und Hoffnungen verstanden werden.« (S. 18)
Aus dieser weit gefassten und politischen Betrachtung von Design entwickelt von Borries vier Kategorien: Überlebensdesign, Sicherheitsdesign, Gesellschaftsdesign und Selbstdesign. »Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander, treten miteinander in Beziehung, bauen aufeinander auf, um sich schließlich ineinander aufzulösen.« (S. 33 f.) Im Hauptteil des Buches definiert er ebendiese vier Kategorien und zeigt anhand von aktuellen, interessanten, gesellschaftsrelevanten Beispielen auf, wieso etwas als gut oder schlecht verstanden werden kann. Gut bedeutet für ihn entwerfendes Design, das Freiheiten und neue Möglichkeiten schafft. Schlecht bedeutet für ihn unterwerfendes Design, das Zwänge kreiert oder zu Machtzwecken instrumentalisiert wird. »Entwerfendem Design steht unterwerfendes Design gegenüber. Die Grenzen sind fließend.« (S. 20) Genau diese Wechselbeziehung von Entwerfen und Unterwerfen »bürdet Designern die Verpflichtung auf, sich immer wieder mit den Verwertungskontexten (…) ihrer Arbeit auseinanderzusetzen.« (S. 21) Daraus folgt auch von Borries‹ Appell, jeder Designer müsse sich selbst und sich innerhalb seiner Arbeiten politisch positionieren.
Das Buch ist angenehm fordernd zu lesen und erweist sich als gute Lektüre für Gestalter, die Interesse an politischen und philosophischen Design-Fragestellungen haben. Friedrich von Borries hat sich umfassend mit geisteswissenschaftlicher Literatur auseinandergesetzt und stellt spannende, teils bekannte Brücken zwischen Design und Politik her. Seine vier gesetzten Kategorien analysiert er Schritt für Schritt und untersucht sie nach ent- und unterwerfenden, also nach guten und schlechten Aspekten. Die Beispiele umfassen dabei die Gestaltung der Wasser- und Nahrungsverteilung, die Debatte um die Balance von Freiheit und Sicherheit, Probleme, die sich aus Big Data ergeben, oder die Frage, wie man Freitod kategorisieren könnte. Da er selbst – konsequenterweise – politisch Position einnimmt, baut seine Theorie sehr auf seiner westlichen, liberalen Sicht auf die Dinge auf.
Schlussendlich folgert er, dass hinter jedem gestalteten Gegenstand und Prozess ein Stück Weltentwerfen steckt: »Im Anthropozän ist die Welt gleichzeitig Gegenstand und Ergebnis von Design.« (S. 119) Und nicht zuletzt lüftet er das Geheimnis um die ominöse Türklinke, die es auf das Buchcover geschafft hat. Inwieweit ist ihre Gestaltung ein politischer Ausdruck?