Die­se For­de­rung nach Trans­pa­renz der Quel­len eines wis­sen­schaft­li­chen Tex­tes lässt sich auch wis­sen­schafts­theo­re­tisch absi­chern: Unbe­ding­te Ehr­lich­keit über die Quel­len, die Metho­den und die erreich­ten Ergeb­nis­se ist eine der Grund­be­din­gun­gen jeder wis­sen­schaft­li­chen Suche nach Wahr­heit und die For­de­rung nach Ein­hal­tung die­ser Ehr­lich­keit damit in ihrem Kern nicht ernst­haft in Fra­ge zu stel­len.[37]

Wenn dem aber so ist, erge­ben sich hier­aus Eck­pfei­ler für Regeln über die not­wen­di­gen Beleg­an­ga­ben: Es muss für den Leser nach­voll­zieh­bar sein, wel­che Ideen und erst Recht wel­che For­mu­lie­run­gen vom Autor einer wis­sen­schaft­li­chen Ver­öf­fent­li­chung selbst stam­men und wel­che von Drit­ten über­nom­men wur­den.[38] Gera­de bei der Inte­gra­ti­on vor­ge­fun­de­ner Text­be­stän­de ist daher zwin­gend deut­lich zu machen, was über­nom­me­ner Text ist und aus wel­cher Quel­le die­ser stammt. In der Regel erfolgt dies bei wört­li­chen Über­nah­men mit Anfüh­rungs­zei­chen, ande­re satz­tech­ni­sche Her­vor­he­bun­gen sind genau­so gut denk­bar, bis hin zum Fak­si­mi­le der Quel­len. Geht es nur um sinn­ge­mä­ße Über­nah­men, ent­fal­len sol­che opti­schen Kenn­zeich­nun­gen, die Pflicht zur nach­voll­zieh­ba­ren Anga­be der Quel­le und zu einer irgend­wie ver­ständ­li­chen Kenn­zeich­nung der Lauf­wei­te der Über­nah­me bleibt erhalten.

Gera­de weil man die­se basa­len Grund­re­geln wis­sen­schaft­li­chen Zitie­rens unmit­tel­bar aus dem Begriff der Wis­sen­schaft als trans­pa­ren­ter, metho­den­ge­lei­te­ter und nach­voll­zieh­ba­rer Suche nach Wahr­heit ablei­ten kann, sind die­se auch nicht so kon­tin­gent, wie dies ger­ne behaup­tet wird.[39] Stellt sich tat­säch­lich her­aus, dass eine wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin dau­er­haft und umfas­send die­se Min­dest­an­sprü­che ver­fehlt, wird irgend­wann die Wis­sen­schaft­lich­keit der Dis­zi­plin oder zumin­dest der betrof­fe­nen Text­gat­tung in Fra­ge ste­hen – wie im Moment etwa der medi­zi­ni­schen Dis­ser­ta­tio­nen.[40]

Vro­ni­Plag Wiki und ver­wand­te Doku­men­ta­ti­ons­platt­for­men bezie­hen sich nur auf die­se Grund­re­geln und doku­men­tie­ren nur Text­über­nah­men, bei denen sich gar kei­ne Bele­ge zur Quel­le fin­den oder sich aus der Beleg­an­ga­be nicht ent­neh­men lässt, dass und in wel­chem Umfang nicht nur gedank­li­che Ver­wandt­schaft zum Text der unter­such­ten Arbeit besteht, son­dern eben auch For­mu­lie­run­gen in einem sol­chen Umfang über­nom­men wur­den, dass der unbe­fan­ge­ne Leser dies der Beleg­an­ga­be nicht ent­neh­men kann.

Hin­zu kommt, dass die Zuord­nung eines doku­men­tier­ten Frag­ments einer Arbeit jeder­zeit von jedem nach­voll­zieh­bar und trans­pa­rent dis­ku­tiert wer­den kann. Wenn es im Ein­zel­fall also Zwei­fel dar­an gibt, dass eine doku­men­tier­te Text­über­nah­me nicht hin­rei­chend belegt ist, kön­nen die­se Zwei­fel ange­mel­det und die Ein­ord­nung des Frag­ments ggf. auch geän­dert wer­den. Inso­fern sind die Doku­men­ta­tio­nen als Anwen­dun­gen der oben beschrie­be­nen Grund­re­geln auch ein Ange­bot an alle Inter­es­sier­ten, eben die­se Anwen­dun­gen kri­tisch zu hin­ter­fra­gen und zu dis­ku­tie­ren. Eine sol­che leben­di­ge Dis­kus­si­on über die Grund­re­geln wis­sen­schaft­li­chen Zitie­rens anzu­re­gen, am bes­ten sogar über Fach­gren­zen hin­weg, wäre eines der Zie­le, wel­ches von nicht weni­gen Betei­lig­ten an Vro­ni­Plag Wiki ange­strebt werden.

Fazit

Man soll­te nicht reflex­haft die Über­brin­ger schlech­ter Nach­rich­ten kri­ti­sie­ren, son­dern sich mit den Nach­rich­ten selbst aus­ein­an­der­set­zen. Weder tum­meln sich auf Platt­for­men zur Suche nach Pla­gia­ten in wis­sen­schaft­li­chen Tex­ten nur Inter­net-Trol­le mit zu viel Frei­zeit, aber ohne eige­ne Kom­pe­tenz, noch sind die­je­ni­gen, deren Arbei­ten als pla­gi­ats­be­trof­fen kri­ti­siert wer­den, schutz­be­dürf­ti­ge Opfer anony­mer Hecken­schüt­zen im Netz. Viel­mehr ist wis­sen­schaft­li­che Metho­den­kri­tik inte­gra­ler Bestand­teil jeder wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­plin, eben­so wie Trans­pa­renz ver­wen­de­ter Quel­len zu den Grund­bau­stei­nen jeder Wis­sen­schaft zählt. Wo dies nicht ein­ge­hal­ten wird, wird zwar Text pro­du­ziert, aber kei­ne Wis­sen­schaft betrie­ben. Wo dage­gen doku­men­tiert wird, dass die Regeln wis­sen­schaft­li­chen Arbei­tens ver­letzt wer­den, geschieht eben die Selbst­rei­ni­gung der Wis­sen­schaft, auf wel­che sich ihre Ver­tre­ter immer wie­der beru­fen. Daher soll­ten Platt­for­men wie Vro­ni­Plag Wiki in ihrer Arbeit von Wis­sen­schaft­lern aner­kannt und unter­stützt und nicht ver­teu­felt wer­den.[41]

  1. [37] Die DFG, Denk­schrift: Siche­rung guter wis­sen­schaft­li­cher Pra­xis, 2. Aufl., Wein­heim 2013, S. 40, unter Ver­weis auf Weber, Max: Wis­sen­schaft als Beruf (1917÷19). In: Stu­di­en­aus­ga­be der Max-Weber-Gesamt­aus­ga­be, Bd. 17, Tübin­gen 1994, S. 23: »daß inner­halb der Räu­me des Hör­saals nun ein­mal kei­ne ande­re Tugend gilt als eben: schlich­te intel­lek­tu­el­le Recht­schaf­fen­heit.« Krü­per, Juli­an: Die Sache, nicht die Schat­ten – Der Fall zu Gut­ten­berg, die Juris­pru­denz als Wis­sen­schaft und die Anfor­de­run­gen an juris­ti­sche Prü­fungs­ar­bei­ten. In: Zeit­schrift für das Juris­ti­sche Stu­di­um 2011, S. 198 (199) for­mu­liert hier: »Es soll immer mög­lich sein, zu den Quel­len zu zie­hen, um den Urhe­ber eines Gedan­kens selbst in Gestalt sei­nes Tex­tes auf­su­chen, befra­gen und prü­fen zu kön­nen. Es geht in den Wor­ten Phil­ip Melan­chthons in sei­ner Wit­ten­ber­ger Uni­ver­si­täts­re­de von 1518 dar­um, die Sache selbst, nicht aber nur ihre Schat­ten zu ergrün­den.«, http://t1p.de/Krueper-ZJS-2011-198 (Stand: 7.6.2016).
  2. [38] So auch das Ver­wal­tungs­ge­richt Düs­sel­dorf, Zeit­schrift für Urhe­ber- und Medi­en­recht 2014, S. 602 (610), im Fall A. Scha­van. Roig, Miguel: Avo­i­ding pla­gia­rism, self-pla­gia­rism and other ques­tionable wri­ting prac­ti­ces: A gui­de to ethi­cal wri­ting, 2013, http://t1p.de/Roig-Avoiding-Plagiarism (Stand: 7.6.2016), for­mu­liert dies so: »(T)he rea­der assu­mes that the aut­hor is the sole ori­gi­na­tor of the writ­ten work, that any text or ide­as bor­ro­wed from others are cle­ar­ly iden­ti­fied as such by estab­lished scho­lar­ly conventions«. 
  3. [39] Des­we­gen spricht Rixen, Ste­phan: Macht wis­sen­schaft­li­ches Fehl­ver­hal­ten unwür­dig? In: Neue Juris­ti­sche Wochen­schrift 2014, S. 1058 (1059), unter Ver­weis auf BVerw­GE 147, S. 292 ff., bei Ver­stö­ßen gegen die­se Grund­re­geln auch von »Nicht-Wis­sen­schaft«; ähn­lich auch Rieb­le, Vol­ker: Das Wis­sen­schafts­pla­gi­at, Frank­furt am Main 2010, S. 85. 
  4. [40] Zwei­felnd schon der Wis­sen­schafts­rat, »Anfor­de­run­gen an die Qua­li­täts­si­che­rung der Pro­mo­ti­on«, 2011, S. 29, http://t1p.de/Wissenschaftsrat-Promotion-2011 (Stand: 7.6.2016); sie­he auch Kra­mer, Bernd: Medi­zin-Pro­mo­tio­nen: Aka­de­mi­sche Ramsch­wa­re. In: Spie­gel online vom 28.9.2015, http://t1p.de/Kramer-SPON-20150928 (Stand: 7.6.2016).
  5. [41] Auch dies fin­det sich inzwi­schen zuneh­mend. So zitiert Beer, Kris­ti­na: Wis­sen­schaft­ler for­dert mehr Dis­kre­ti­on bei Vro­ni­Plag, hei­se online vom 24.3.2016, http://t1p.de/Beer-heise-20160324 (Stand 7.6.2016), aus einem dpa-Inter­view den Ombuds­mann für die deut­sche Wis­sen­schaft M. Löwer: »Vro­ni­Plag macht eine beacht­li­che Arbeit. (…) Dar­über kann und darf das Wis­sen­schafts­sys­tem sich nicht beschweren.« 

Doppelausgabe Nr. 8 und 9, Herbst 2016

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