Mythen des Alltags

Duschen

Was das Brausen über uns sagt

Von Rebekka Taplick


Wie­der spät dran, der Wecker hat schon drei­mal geklin­gelt. Noch schnell unter die Dusche, das eis­kal­te Was­ser pras­selt ins Gesicht – sofort ist man wach. Oder doch eher der Typ Mor­gen­mensch: direkt nach dem ers­ten Alarm­ton auf­ste­hen, aus­gie­big früh­stü­cken und in aller Ruhe unter die war­me Dusche, um ent­spannt in den Tag zu starten.

Dusch­ge­wohn­hei­ten sind von Mensch zu Mensch unter­schied­lich, auch wenn sich die Tätig­keit an sich kaum unter­schei­det. Die einen duschen mor­gens, die ande­ren lie­ber abends, man­che jeden Tag und man­che nur, wenn sie Sport gemacht haben. Über Zeit­punkt und Häu­fig­keit erfährt man rela­tiv schnell etwas, wenn die­ses The­ma zufäl­lig zur Spra­che kommt. Wor­über man meist nicht redet? Über die Tem­pe­ra­tur, die Dusch­zeit oder ob man sich wäh­rend­des­sen noch die Zäh­ne putzt. Aber genau bei die­sen Din­gen wird es beson­ders inter­es­sant. Denn es gibt Stu­di­en und Umfra­gen, die behaup­ten, dass man anhand von Dusch­ge­wohn­hei­ten die kör­per­li­che Gesund­heit, die men­ta­le Grund­stim­mung und die Lebens­ge­wohn­hei­ten eines Men­schen able­sen kann.

Eine Fra­ge, die sich bei jedem Duschen stellt: warm oder kalt? Im Win­ter wird vor­wie­gend warm geduscht, im Som­mer eher küh­ler. Neben der Regu­la­ti­on von Kör­per­wär­me und Außen­tem­pe­ra­tur habe der Wär­me­grad des Was­sers wei­te­re Ein­flüs­se auf das kör­per­li­che Wohl­be­fin­den und die Gesund­heit. War­mes Duschen sor­ge für eine Erwei­te­rung der Blut­ge­fä­ße und einer damit ein­her­ge­hen­den Rela­xa­ti­on der Mus­keln.[1] Neben dem Grund der Rei­ni­gung und Kör­per­pfle­ge wür­den rund 44 % der Deut­schen den Effekt von war­men Was­ser bevor­zu­gen und haupt­säch­lich zur Ent­span­nung duschen.[2] 33 % dage­gen gehe es vor allem um einen fri­schen Start in den Tag[3], kalt Duschen rege die Durch­blu­tung an und mache wacher.[4] Vor allem für Sport­ler sol­le sich das täg­li­che Kalt-Duschen als eine Ergän­zung zum Sport eig­nen, da ähn­li­che Pro­zes­se wie beim Aus­dau­er­trai­ning in Gang gesetzt wer­den.[5] Die erhöh­te Pro­duk­ti­on von Mito­chon­dri­en sor­ge für mehr Ener­gie, die ange­reg­te Durch­blu­tung für einen bes­se­ren Blut­druck, und das Immun­sys­tem wer­de gestärkt.[6]

Doch es exis­tie­ren auch Vor­ur­tei­le zu den ver­schie­de­nen Was­ser­tem­pe­ra­tu­ren. Das Ste­reo­typ über den Kalt­du­scher klingt ein­leuch­tend: Er gilt als fit und aktiv. Dem­ge­gen­über steht das eher unlo­gisch klin­gen­de Ste­reo­typ über den Warm­du­scher: Er gilt als schwäch­lich und fei­ge. Wor­an liegt das? Der Begriff »Warm­du­scher« bekam sei­ne kli­schee­haf­te Begriffs­de­fi­ni­ti­on durch einen Gag zuge­wie­sen. In einer sati­ri­schen Kom­men­tie­rung der Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft 1998 bezeich­ne­te Harald Schmidt den Natio­nal­spie­ler Jür­gen Klins­mann als »Warm­du­scher« und lös­te damit einen medi­en­wirk­sa­men Skan­dal aus – das Ste­reo­typ des Warm­du­schers wur­de gebo­ren.[7]

Zusätz­lich zum kör­per­li­chen Wohl­be­fin­den sol­le man auch die men­ta­le Grund­stim­mung eines Men­schen anhand der von ihm favo­ri­sier­ten Was­ser­tem­pe­ra­tur erken­nen kön­nen. Warm Duschen sol­le nicht nur den Kör­per ent­span­nen, son­dern auch den Geist. Die Erwei­te­rung der Blut­ge­fä­ße wür­den zu einer Erwei­te­rung des Bewusst­seins füh­ren und die Gedan­ken zur Ruhe kom­men las­sen. Kalt Duschen hin­ge­gen spre­che das sym­pa­thi­sche Ner­ven­sys­tem an. Es sor­ge für die erhöh­te Pro­duk­ti­on von Endor­phi­nen und Nor­ad­re­na­lin und erhö­he den Adre­na­lin­spie­gel: Die Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit wer­de gestei­gert und die Stim­mung geho­ben. Auf­grund die­sen Effek­tes emp­feh­len eini­ge For­scher sogar das Duschen mit kal­tem Was­ser als eine Maß­nah­me zur The­ra­pie von Depres­sio­nen.[6] Laut einer Stu­die der Yale Uni­ver­si­ty duschen vor allem ein­sa­me Men­schen mit wenig sozia­len Kon­tak­ten sehr warm und lan­ge. Die Wär­me und Ent­span­nung, die auf­grund der Erwei­te­rung der Blut­ge­fä­ße ent­ste­he, sor­ge für ein »in Wat­te gehüll­tes« Gefühl und imi­tie­re die mensch­li­che Wär­me.[8]

Zum The­ma »Dusch­zeit« exis­tiert eine aus­führ­li­che Umfra­ge. Die kür­zes­te Dusch­zeit sei bei rund 19 % der Deut­schen der Fall: Sie duschen unter fünf Minu­ten.[9] Zu ihnen wür­den die Men­schen gehö­ren, die kal­tes Was­ser für einen fri­schen Start in den Tag bevor­zu­gen. Etwas län­ger dusche die Mehr­heit der Befrag­ten, bei denen der Haupt­zweck der Kör­per­rei­ni­gung erfüllt wer­den sol­le: Rund 39 % duschen zwi­schen fünf bis zehn Minu­ten, laut Der­ma­to­lo­gen eine idea­le Zeit, um die Haut nicht zu über­stra­pa­zie­ren.[10] Zwi­schen zehn bis fünf­zehn Minu­ten wür­den 16 % der Deut­schen duschen.[11] Bei ihnen ste­he eine län­ge­re Ent­span­nung im Vor­der­grund, meist in Kom­bi­na­ti­on mit war­men Was­ser. Die Spit­zen­zeit im Duschen von über fünf­zehn Minu­ten wür­den ins­ge­samt 17,6 % der Befrag­ten errei­chen: 9 % duschen über fünf­zehn Minu­ten, 5,6 % bis zu zwan­zig Minu­ten, rund 2 % mehr als zwan­zig Minu­ten und rund 1 % dusche über drei­ßig Minu­ten.[12] Je län­ger die Dusch­zeit, des­to mehr stei­ge die Wahr­schein­lich­keit von Ein­sam­keit.[13] Dass fast 34 % der Deut­schen es lie­ben, aus­gie­big und lan­ge zu duschen, muss aller­dings kein Grund zur Sor­ge sein. Mit der Yale-Stu­die im Hin­ter­kopf soll­te man im Blick behal­ten, dass ein­sa­me Men­schen zwar lan­ge duschen, aber nicht jeder, der lan­ge duscht, auch ein­sam ist.

Und zum Schluss der am häu­figs­ten ver­ges­se­ne Aspekt des Duschens – die zusätz­li­chen Rou­ti­nen. Ob aus Grün­den des Zeit­drucks oder zum Was­ser­spa­ren, 46 % der Deut­schen wür­den wäh­rend des Duschens noch wei­te­re Tätig­kei­ten erle­di­gen.[14] Vor allem das Zäh­ne­put­zen sei eine beson­ders belieb­te Gewohn­heit, die meist mor­gens mit einem Sprung unter die Dusche kom­bi­niert wer­de. Auch die Rasur fin­de häu­fig unter der Dusche statt: Män­ner wür­den sich vor­wie­gend bei der mor­gend­li­chen Dusche rasie­ren, Frau­en eher abends.

Wenn man, laut den Stu­di­en und Umfra­gen, so viel über einen Men­schen allein anhand sei­ner Dusch­ge­wohn­hei­ten her­aus­fin­den kann – war­um wird das nicht im All­tag genutzt? Wie wäre es, wenn man sich bei einem ers­ten Ken­nen­ler­nen nicht mit sei­nen Inter­es­sen, son­dern direkt mit sei­nen Dusch­ge­wohn­hei­ten vor­stell­te? Dann könn­te man mit der Auf­zäh­lung von nur einer Gewohn­heit alles über den Gegen­über erfah­ren – und spart sich lang­wei­li­ge Standardfragen.

Also: Warm­du­scher, 5 Minu­ten, ohne zusätz­li­che Rou­ti­nen. Und Sie?

  1. [1] Schim­mel­p­fen­nig GmbH & Co. KG: Unse­re Dusch­fak­ten: Heiß, Kalt oder Wech­sel­du­sche? URL: https://www.badshop.de/heiss-oder-kalt-duschen-und-weitere-duschfakten (Stand: 14.11.2022).
  2. [2] ebd. 
  3. [3] Hans­g­ro­he SE: Pres­se­infor­ma­ti­on. URL: https://badezimmer.com/document/33.415/Hansgrohe-Studie (Stand: 9.1.2023).
  4. [4] Bud­de, Jan­nis: Kalt duschen: Vor­tei­le und Schritt-für-Schritt Anlei­tung. URL: https://www.primal-state.de/kalt-duschen/ (Stand: 14.11.2022).
  5. [5] ebd. 
  6. [6] ebd. 
  7. [7] Rich­ter, Chris­ti­an: Der Fern­seh­fried­hof: Harald Schmidt und die Schwuch­tel-WM. URL: https://www.quotenmeter.de/n/42510/der-fernsehfriedhof-harald-schmidt-und-die-schwuchtel-wm (Stand: 14.11.2022).
  8. [6] Theo­fi­lopou­los, Zoi: War­um soll­te man jeden Tag kalt duschen? URL: https://www.viactiv.de/deshalb-solltest-du-jeden-tag-kalt-duschen#:~:text=Kalt%20duschen%20macht%20gl%C3%BCcklich,von%20Endorphinen%20und%20Noradrenalin%20erh%C3%B6ht (Stand: 14.11.2022).
  9. [8] Bargh, J. A., & Shalev, I.: Emo­ti­on. The Sub­sti­tu­ta­bi­li­ty of Phy­si­cal and Social Warmth in Dai­ly Life. URL: https://acmelab.yale.edu/sites/default/files/2011_the_substitutibility_of_physical_and_social_warmth.pdf (Stand: 14.11.2022).
  10. [9] Dusch­meis­ter GmbH & Co. KG: Deutsch­lands Dusch-Dia­gno­se. URL: https://www.duschmeister.de/service/dusch-diagnose/ (Stand: 9.1.2023).
  11. [10] ebd. 
  12. [11] ebd. 
  13. [12] ebd. 
  14. [13] Bargh, J. A., & Shalev, I.: Emo­ti­on. The Sub­sti­tu­ta­bi­li­ty of Phy­si­cal and Social Warmth in Dai­ly Life, a. a. O. 
  15. [14] Dittrich, Lisa: Eine Umfra­ge zeigt, was die Deut­schen wirk­lich unter der Dusche machen – und was sie künf­tig ändern soll­ten. URL: https://www.businessinsider.de/wissenschaft/duschverhalten-deutsche-energiesparen-geldsparen-klimaschutz-a/ (Stand: 13.11.2022).