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Intertextualität beim Schreiben in der Fremdsprache

Eine longitudinale Fallstudie

Von Imke Neumann-Fatia


Die Stu­die beleuch­tet den Umgang eines Stu­den­ten mit Quel­len in der Zweit­spra­che Eng­lisch über einen Zeit­raum von fünf Semes­tern hin­weg. Die ana­ly­sier­ten Haus­ar­bei­ten zei­gen eine deut­li­che Ver­än­de­rung im Umgang mit und dem Ein­satz von Quel­len, die unter ande­rem auf dem posi­ti­ven Ein­fluss von schreib­in­ten­si­ven Semi­na­ren beruht.

1  Zur Ausgangssituation

Der rich­ti­ge Umgang mit Quel­len, also die Nutz­bar­ma­chung von Inter­tex­tua­li­tät, gehört zu den Kern­kom­pe­ten­zen, die Stu­den­ten erwer­ben sol­len und ist damit essen­ti­el­ler Bestand­teil der Sozia­li­sa­ti­on im Fach. Durch die Publi­ka­ti­on von Infor­ma­ti­ons­ma­te­ria­li­en und die Behand­lung die­ses The­men­kom­ple­xes in Lehr­ver­an­stal­tun­gen ver­su­chen Uni­ver­si­tä­ten, den kor­rek­ten Gebrauch von Quel­len zu för­dern, oft vor allem mit dem Ziel, Pla­gia­te zu verhindern.

Zahl­rei­che Stu­di­en haben gezeigt, dass die­se Maß­nah­men aller­dings nur begrenzt wirk­sam sind: So ken­nen Stu­den­ten zwar die Regeln des kor­rek­ten Quel­len­ge­brauchs und wis­sen, wie an ihren Uni­ver­si­tä­ten mit Pla­gia­ten ver­fah­ren wird. Die Umset­zung die­ses theo­re­ti­schen Wis­sens ist in der Pra­xis jedoch nicht immer erfolg­reich. Tat­säch­lich sind stu­den­ti­sche Tex­te häu­fig von unan­ge­mes­se­ner Zita­ti­on und patch­wri­ting gekenn­zeich­net (Li & Casa­na­ve 2012). Auch Pla­gia­te tre­ten häu­fig auf, wobei eine Täu­schungs­ab­sicht nur in einem gerin­gen Teil der Fäl­le nach­zu­wei­sen ist und es sich bei einem Groß­teil um unbe­ab­sich­tig­te Pla­gia­te han­delt (Peco­ra­ri 2003, 2006). Die Ursa­chen für die­sen pro­ble­ma­ti­schen Umgang mit Quel­len sind viel­fäl­tig. Sie kön­nen in kul­tu­rel­len Unter­schie­den begrün­det sein (Mata­le­ne 1985, Pen­ny­cook 1996, Peco­ra­ri 2003), aber auch in Unter­schie­den zwi­schen dem Quel­len­ge­brauch in ver­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen (Hyland 1999, Bou­ville 2008, Peco­ra­ri 2006). Auch feh­len­de Sprach­kennt­nis in der L2 kann zu feh­ler­haf­tem Quel­len­ge­brauch bei­tra­gen oder die­sen sogar ver­ur­sa­chen (Petrić 2012); ein wich­ti­ger Fak­tor sind hier feh­len­des Selbst­ver­trau­en und man­geln­de Kennt­nis­se beim Para­phra­sie­ren des Quel­len­tex­tes (Yama­da 2003, Aba­si & Akba­ri 2008, Li & Casa­na­ve 2012, Shi 2012, Keck 2014). Eine zen­tra­le Erkennt­nis, die sich aus die­sen Stu­di­en ablei­tet, ist, dass Stu­den­ten inten­si­ves Feed­back zu ihrem Quel­len­ge­brauch benö­ti­gen, damit es zu einer Ver­bes­se­rung kom­men kann (Peco­ra­ri 2006).

Die vor­lie­gen­de Stu­die möch­te die bis­he­ri­ge For­schung um eine Fall­stu­di­en­be­ob­ach­tung ergän­zen, indem sie unter­sucht, wie ein Bache­lor-Stu­dent der Anglis­tik, Ger­ma­nis­tik und Phi­lo­so­phie Inter­tex­tua­li­tät in sei­nen Text­pro­duk­ten schafft. Zugrun­de liegt ihr ein Text­kor­pus, das aus fünf Haus­ar­bei­ten besteht, die über einen Zeit­raum von fünf Semes­tern hin­weg ver­fasst wur­den. Der Ver­fas­ser, Ben (ein Pseud­onym), schreibt in sei­ner Zweit­spra­che Eng­lisch zu The­men aus dem Bereich der eng­li­schen Lite­ra­tur- und Kul­tur­wis­sen­schaft und Lin­gu­is­tik. Um das Ent­ste­hen von Inter­tex­tua­li­tät über die­sen Zeit­raum ver­fol­gen zu kön­nen, wur­den die Semi­nar­ar­bei­ten in MAXQDA einer qua­li­ta­ti­ven und quan­ti­ta­ti­ven Ana­ly­se unter­zo­gen. Hier­zu wur­den alle Vor­komm­nis­se von direk­ten Zita­ten und Para­phra­sen von Quel­len kodiert und ihre Ver­wen­dung ana­ly­siert. Im Fol­gen­den sol­len pri­mär die Ergeb­nis­se der qua­li­ta­ti­ven Unter­su­chung dar­ge­stellt werden.

2 Ergeb­nis­se

Die Inhalts­ana­ly­se zeigt, dass in den ers­ten drei Semi­nar­ar­bei­ten Inter­tex­tua­li­tät vor allem durch das Ein­fü­gen von ein­zel­nen Wör­tern in den Text­fluss des Ver­fas­sers erzeugt wird. Para­phra­sen und Zusam­men­fas­sun­gen von län­ge­ren Pas­sa­gen aus der Sekun­där­li­te­ra­tur fin­den sich nicht. Auch wer­den die Zita­te weder ein­ge­lei­tet noch kom­men­tiert, und so auch nicht mit dem sie umge­ben­den Text verknüpft.
Das fol­gen­de Bei­spiel illus­triert dies sehr anschaulich:

Sin­ce the human being can be refer­red to as »sto­rytel­ling ani­mal« (Gott­schall 2012), it is sto­ry, our »human uni­ver­sal« (Gott­schall 2012: 30), which we use to think about our­sel­ves and, con­se­quent­ly, to shape our sel­ves and our life. We are so accus­to­med to this »auto­ma­tic and swift […] pro­cess of con­s­truc­ting rea­li­ty that we are often blind to it – and redis­co­ver it with a shock of reco­gni­ti­on« (Bru­ner 2003: 8). (Semi­nar­ar­beit 1: 1)

Ein beson­de­res Merk­mal die­ser ers­ten Semi­nar­ar­beit ist, dass Quel­len nur in Ein­lei­tung und Theo­rie­teil her­an­ge­zo­gen wer­den. Der Haupt­teil der Arbeit – die eigent­li­che Inter­pre­ta­ti­on des Films Memen­to – ent­hält kein ein­zi­ges Zitat und kei­nen ein­zi­gen Quel­len­ver­weis. Eine Pla­gi­ats­prü­fung ergab, dass er nur aus der Eigen­in­ter­pre­ta­ti­on des Ver­fas­sers besteht. Da zahl­rei­che, leicht auf­find­ba­re Quel­len zu die­sem The­ma exis­tie­ren, liegt die Ver­mu­tung nah, dass Ben sich bewusst gegen deren Hin­zu­zie­hung ent­schied; mög­li­cher­wei­se, weil er es nicht für erfor­der­lich hielt, da er die Inter­pre­ta­ti­on eigen­stän­dig leis­ten konn­te. Auch Rück­be­zü­ge zu den in den vor­an­ge­gan­ge­nen Kapi­teln ver­wen­de­ten Quel­len las­sen sich nicht aus­ma­chen. Es zeigt sich somit, dass Ben zu Beginn sei­nes Stu­di­ums Inter­tex­tua­li­tät nicht gewinn­brin­gend ein­set­zen kann. Quel­len die­nen aus­schließ­lich dem Zweck der Infor­ma­ti­on, dem Bei­steu­ern von Wis­sen, über das der Ver­fas­ser selbst nicht ver­fügt. Obwohl kein Pla­gi­at und kein unwis­sen­schaft­li­cher Umgang mit den ver­wen­de­ten Quel­len fest­zu­stel­len ist, ist die­ser Umgang mit Quel­len­ma­te­ri­al durch­aus als pro­ble­ma­tisch zu bezeich­nen, da eine akti­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit dem wis­sen­schaft­li­chen Dis­kurs nicht statt­fin­det. Ein iden­ti­scher Umgang mit Quel­len ist in den zwei fol­gen­den Semi­nar­ar­bei­ten zu ver­zeich­nen; eine Wei­ter­ent­wick­lung ist nicht zu erken­nen. Dies ist umso bemer­kens­wer­ter, als Ben regel­mä­ßig die Schreib­be­ra­tung des Schreib­zen­trums auf­such­te, die ihn auf die­sen pro­ble­ma­ti­schen Quel­len­ein­satz hät­te auf­merk­sam machen müssen.


Doppelausgabe Nr. 8 und 9, Herbst 2016

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