Mythen des Alltags

Kaffeekultur

Das braune Gold in der Tasse

Von Sarah Prestel


7:30 Uhr – ein mecha­ni­sches Sur­ren unter­bricht die Stil­le der Woh­nung. Der Was­ser­hahn rauscht, der Mensch murrt. Ein Kli­cken hallt mehr­mals durch den Raum, der Gas­herd möch­te wohl auch erst geweckt wer­den. Es folgt ein Zischen und Glu­ckern. Der Wecker piepst lei­se im Hin­ter­grund. Ein woh­li­ger Duft erfüllt die Küche. Ein müdes Lächeln huscht über die Lip­pen. Die­se 10 Minu­ten Ruhe sind uner­läss­lich, um in den Tag zu star­ten – nur man selbst und eine Tas­se frisch gebrüh­ten Kaf­fees, natür­lich nach ita­lie­ni­scher Art. Rena­to Bial­et­ti, Sohn des bekann­ten Erfin­ders des Espres­so­ko­chers, war so begeis­tert von die­ser Art, sei­nen täg­li­chen Kaf­fee zu genie­ßen, dass er sei­ne letz­te Ruhe in einem über­gro­ßen Espres­so­ko­cher fand.[1]

Wenn die­se all­täg­lich mil­lio­nen­fach in Haus­hal­ten der Welt voll­zo­ge­ne Hand­lung hin­ter­fragt wird, zei­gen sich diver­se Ein­flüs­se, nicht nur aus der ita­lie­ni­schen Kaf­fee­kul­tur. Sei es nun der alt­be­kann­te Fil­ter­kaf­fee oder doch die hip­pe Vari­an­te des Cold Brew – sein Aro­ma ist unver­wech­sel­bar und kann doch so unter­schied­lich sein. Der tra­di­tio­nel­le grie­chi­sche Kaf­fee wird bei­spiels­wei­se mit Zucker gebrüht und ent­hält gemah­le­ne Kicher­erb­sen für eine »tor­fig-erdi­ge« Note.[2] In den Wei­ten des Inter­nets fin­det man zu jeder Brüh­va­ri­an­te, jeder Kaf­fee­boh­ne, jeder Milch­sor­te und jedem Süßungs­mit­tel eine pein­lich genaue Anlei­tung, wor­auf zu ach­ten sei und was unter allen Umstän­den ver­mie­den wer­den soll­te. Da könn­te man glatt mei­nen, dass vor You­tube und Wiki­pe­dia kein trink­ba­rer Kaf­fee exis­tier­te. Doch ist aus frü­hen Schrif­ten zu ent­neh­men, dass bereits im 14., 15. Jahr­hun­dert im Jemen Kaf­fee groß­flä­chig ange­baut wur­de. Über Mek­ka erober­te der Ara­bica-Kaf­fee ab dem 16. Jahr­hun­dert das süd­öst­li­che Euro­pa. Zahl­rei­che Kaf­fee­häu­ser eröff­ne­ten, dar­un­ter das ers­te deut­sche Kaf­fee­haus 1673 in Bre­men.[3]

Bald galt Kaf­fee als wich­ti­ges Han­dels­gut und wur­de somit auch innen­po­li­tisch bedeut­sam in den Kon­sum­län­dern. Aus die­sem Grund ent­stand ab 1780 ein gefürch­te­ter Beruf unter Fried­rich dem Gro­ßen. Der soge­nann­te »Kaf­fee­schnüff­ler« soll­te gewähr­leis­ten, dass dem Staats­mo­no­pol des Kaf­fee­rös­tens nichts im Wege stand.[4] Mit Beginn der Indus­tria­li­sie­rung wur­de der Genuss des Kaf­fee­trin­kens auch der brei­ten Bevöl­ke­rung und sogar den ärme­ren Schich­ten zugäng­lich. Kaf­fee galt als eine Nah­rungs­quel­le, so weich­te man Brot in einer soge­nann­ten Kaf­fee­sup­pe ein. So wur­de sowohl der Hun­ger gestillt als auch der Müdig­keit durch die har­te Arbeit ent­ge­gen­ge­wirkt.[5]

Um die eigent­li­che Ent­de­ckung die­ses Wun­der­mit­tels hin­ge­gen exis­tie­ren viel­fäl­ti­ge Legen­den. Es ist von uner­müd­li­chen Zie­gen in Äthio­pi­en und Heil­kun­di­gen aus Afri­ka die Rede. 

Bei die­ser lan­gen Geschich­te ver­wun­dert es nicht, dass Kaf­fee zum Lieb­lings­ge­tränk der Deut­schen gewor­den ist: Ein Bun­des­bür­ger trinkt im Schnitt rund 168 Liter Kaf­fee pro Jahr[6] – nicht nur am Morgen …