Buchbesprechung
»Nehmen Sie den Auftrag an?«
Maren Martschenko über gestaltende Beratung
Die Markenberaterin Maren Martschenko zeigt in ihrem Werk »Design ist mehr als schnell mal schön«, wie Kommunikationsdesigner sich zu gestaltenden Beratern weiterentwickeln können. Sie hat die sogenannte »Espressostrategie« entwickelt. Die soll, wie der italienische Kaffee, »klein, stark, auf das Wesentliche konzentriert« (S. 23) sein. Anhand der vier Schritte der »Espressostrategie« zeigt Martschenko, wie diese Entwicklung aussehen kann.
Die Weiterentwicklung zur gestaltenden Beratung ist aus Sicht der Autorin nötig, weil sich Designer aktuell in einem »Design-Dilemma« wiederfinden. Das Dilemma entsteht zum einen durch demokratisierende Design-Software, die vermeintlich jeden zum Designer macht. Dadurch hat sich bei Auftraggebern der Anspruch nach Design verstärkt, das vor allem schnell und billig sein soll. Dazu kommt, dass Designer ihre Arbeit eher als Gesamtprodukt verkaufen, zum Beispiel als Corporate Design, und nicht als den zeitaufwendigen Design-Prozess, der es tatsächlich ist. Das führt dazu, dass Design nicht die Wertschätzung und nicht die Entlohnung erfährt, die Designer sich wünschen.
Das Buch richtet sich an Kommunikationsdesigner, die es einerseits satthaben über Honorare zu verhandeln, und andererseits nicht mehr mit Auftraggebern auf der Ebene von »gefällt« oder »gefällt nicht« über ihre Entwürfe debattieren möchten. Gestaltende Berater haben laut Martschenko folgende Vorteile gegenüber Grafikdesignern: Die beratende Leistung wird in Zukunft eher nicht durch KI ersetzt, die Berater werden wesentlich früher in den Prozess eingebunden, nicht erst wenn etwas gestaltet werden soll, sie agieren mit den Auftraggebern auf Augenhöhe, die Bezahlung ist besser und sie »werden fürs Denken und Fragen stellen bezahlt« (S. 13).
Die vier Ebenen der »Espressostrategie« sind mit Sein, Haben, Sagen und Tun benannt. Jeder Ebene sind mehrere Kapitel im Buch gewidmet. In ihnen wird ausführlich beschrieben, welche Schritte Gestalter gehen sollten, um sich zu gestaltenden Beratern weiterzuentwickeln. Im ersten Schritt »Sein« geht es zunächst darum, für sich selbst zu klären, ob man die Anforderungen, die an Berater gestellt werden, erfüllt; ein Fragebogen hilft bei der Selbst-Einschätzung. Neben persönlichen Eigenschaften wie Konfliktbereitschaft, Ausdauer, Geduld, Interesse für Menschen und zwischenmenschliche Dynamiken sind auch betriebswirtschaftliches Denken, Verständnis des jeweiligen Fachbereichs, Moderations- und Mediationsfähigkeiten und Projektmanagement-Erfahrung nötig. Außerdem gilt es herauszuarbeiten, was die eigenen Ziele sind und was einen antreibt. Martschenko nennt es: das eigene Warum finden (S. 63), das der Motor der Motivation ist. Eine Kernfrage, da man erst nach der Definition der eigenen Motivation auch begründen kann, warum Auftraggeber eine Beratung buchen sollten. Für die Selbsteinschätzung stellt Martschenko in der »Toolbox Sein« noch weitere Techniken zur Verfügung: zum Beispiel die »Love-Shower« (S. 62), bei der man Feedback von zufriedenen Kunden einholt und sich so die eigenen Stärken bewusst macht. Weitere Toolboxen mit Fragebögen, Tipps und Projektmanagement-Werkzeugen gibt es für die Bereiche »Haben«, »Sagen« und »Tun«.
Um von der Gestaltung in die Beratung zu kommen, sei es für Gestalter wichtig, in einigen Punkten umzudenken: Anstatt ein fertiges Produkt zu verkaufen wie ein Logo oder ein Plakat, steht nun der ergebnisoffene Prozess im Vordergrund: »Das Gute ist: wenn Sie keine Ergebnisse verkaufen, rückt der Prozess automatisch in Vordergrund.« (S. 50) Die Arbeit wird nicht mehr für den Kunden gemacht, sondern mit ihm: »Die kreative Leistung bei diesem Prozess liegt idealerweise viel mehr bei den Auftraggebenden (…).« (S. 51) Anders als der Designer ist der Berater für den Prozess verantwortlich, nicht für das Ergebnis. Es geht darum, gemeinsam mit den Auftraggebern die besten Antworten auf die anfangs gestellten Fragen zu finden.
Im nächsten Teil »Haben« geht es darum, wie ein »Magnetprodukt« entwickelt wird. Ein Prototyp des neuen Beratungsangebots, das die eigenen Leistungen »mit den Unternehmenszielen der idealen Auftraggeberschaft verknüpft« (S. 96). Auftraggeber beurteilt Martschenko mithilfe der »Design-Leiter«, die vom »Dansk Design Center« entwickelt wurde. Es geht darum, wie viel Design-Verständnis in den jeweiligen Firmen schon vorhanden ist. Kurz gesagt: je mehr, desto besser. Da es sehr wichtig ist, den Wert des angebotenen Produkts zu kennen, gibt Martschenko praktische Hinweise, wie dieser Wert sauber zu kalkulieren sei.
»Sagen« beschreibt, wie die frisch gebackenen Berater über sich und ihre Fähigkeiten berichten können. Auch wenn »netzwerken« etwas negativ konnotiert sein kann, geht es genau darum: Gleichgesinnte finden, mit Entscheidern ins Gespräch kommen, sich selbst als Experte ins Gespräch bringen. Martschenko empfiehlt statt eines Portfolios lieber Fallstudien zu zeigen und »Storytelling« statt Akquise zu betreiben. So können über analoge und digitale Kanäle die eigene Haltung transportiert werden, Vertrauen aufgebaut und Authentizität bewiesen werden.
Der letzte Teil »Tun« komprimiert nochmal die Inhalte der vorangegangenen Teile und fasst zusammen, wie man tatsächlich als gestaltender Berater in kleinen, konkreten Schritten ins Tun kommt. Abschließend zählt Martschenko in einer Not-to-do-list auf, was man besser sein lässt, wie zum Beispiel: »Führen Sie keine Akquisegespräche mehr mit Menschen, die ohne Entscheidungskompetenz auf strategischer Ebene sind.« (S. 157) Dann findet man direkt bei den Menschen Gehör, die über Strategie und Budget entscheiden können.
Das Buch ist lesenswert für Designer, die sich in Richtung Beratung weiterentwickeln möchten und eine konkrete Strategie suchen, wie sie das erreichen können – so dass sie nicht mehr erst am Ende etwas »hübsch machen« sollen, sondern viel früher als Berater in den Entwicklungsprozess eingebunden werden.