Buchbesprechung

»Notfalls das Konzept überdenken«

Internationales Jahrbuch behandelt angewandte Rhetorik

Eine Rezension von Bettina Schröm


Mit den Wör­tern ist es wie mit dem Fuß­ball: Am Ende zählt das Ergeb­nis. Bleibt etwas hän­gen? Hat man über­zeugt? Oder sind Leser und Zuhö­rer ein­fach nur froh, wenn der Schluss­pfiff ertönt? Inso­fern kann bezüg­lich der Rhe­to­rik auch eine Fuß­ball-Weis­heit abge­wan­delt her­hal­ten: Die Wahr­heit liegt auf dem Blatt. Und dann, je nach Medi­um, natür­lich auch noch in der Stim­me, der Mimik, der Ges­tik, der Erschei­nung. Seit der Anti­ke sind es die Rhe­to­ri­ker, die sich in Theo­rie und Pra­xis dar­über aus­las­sen, wie all jene Din­ge ein­zu­set­zen sind und wie man die Wör­ter auf dem Blatt so grup­piert, dass sie die gewünsch­te Wir­kung haben. Doch die bei­den Par­tei­en – Theo­re­ti­ker und Prak­ti­ker – sind im Lauf der Jahr­hun­der­te ein wenig aus­ein­an­der­ge­drif­tet, schreibt in sei­nem Vor­wort zum Rhe­to­rik-Jahr­buch (Nr. 41) der Band­her­aus­ge­ber Vol­ker Friedrich. 

Hier eine Annä­he­rung zu schaf­fen, ist eines der Anlie­gen der Publi­ka­ti­on, die sich der »ange­wand­ten Rhe­to­rik« wid­met und ganz unter­schied­li­che Schlag­lich­ter wirft auf rhe­to­ri­sches Han­deln. Zumin­dest in der Leh­re täti­ge Men­schen dürf­ten gleich in meh­re­ren Kapi­teln auf inter­es­san­te Aspek­te tref­fen. Von der Schreib­di­dak­tik an Hoch­schu­len bis zur Rhe­to­rik in Video­kon­fe­ren­zen, von den »Frames« in der Bericht­erstat­tung über künst­li­che Intel­li­genz bis zur Mode­ra­ti­on von Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen: Es geht hier vor­wie­gend um Sprech- und Schreib­an­läs­se, die vie­len Men­schen ver­traut sind. Mat­thi­as Bernstorfs Auf­satz über »Die Trau­er­re­de in öffent­li­chen Deu­tungs­macht­kon­flik­ten« bil­det da fast eine »klas­si­sche« Ausnahme.

Und es geht ums Gefühl: Bernd Stein­brink holt das Rhe­to­rik-Hand­werk in Anleh­nung an den ame­ri­ka­ni­schen Psy­cho­lo­gen Robert Cial­di­ni aus dem Ratio­na­len und zeigt, wel­che emo­tio­na­len Mecha­nis­men wirk­sam wer­den – gera­de auch, um den even­tu­el­len Miss­brauch erken­nen zu kön­nen: »Nur die Reflek­ti­on und Ana­ly­se kann davor schüt­zen.« (S. 4) 

Hel­mut Eberl nimmt sich in dem Text »Über Gefah­ren der Aus­drucks­lo­sig­keit und den schö­nen Schein« die Antritts­re­de des aktu­el­len Bun­des­prä­si­den­ten Stein­mei­er ana­ly­tisch zur Brust – und fällt ein recht kri­ti­sches Urteil zur dort gezeig­ten Über­zeu­gungs­kraft des Staatsoberhaupts.

Wie wir Video­kon­fe­ren­zen rhe­to­risch über­zeu­gen­der und kurz­wei­li­ger gestal­ten kön­nen, ist Anlie­gen von Jürg Häu­ser­mann in »Online-Rhe­to­rik«, und wer den Text gele­sen hat, wird sich beim digi­ta­len Mee­ting nicht mehr naiv vor eine x-belie­bi­ge Kulis­se set­zen. Eben­so aktu­ell ist die Unter­su­chung von Ali­cia Som­mer­feld. Sie offen­bart, wel­che Nar­ra­ti­ve rund um das The­ma »KI Made in Euro­pe« die Medi­en­be­richt­erstat­tung bestimmen.

Vik­to­ria Kir­juchi­na und Tho­mas Grund­nigg zei­gen im Bei­trag »Visu­el­le Rhe­to­rik zwi­schen Theo­rie und Pra­xis«, wie die bewuss­te Anwen­dung rhe­to­ri­scher Metho­den Desi­gnern auf die Sprün­ge hel­fen kann – oder bes­ser könn­te, wenn sich die Design­theo­rie stär­ker auf die Rhe­to­rik besin­nen wür­de. In der Tren­nung von »Argu­ment« und »Aus­druck« sehen die Autoren ein ent­schei­den­des Moment, und mit dem Begriff »Über­zeu­gungs­nar­ra­tiv« schla­gen sie eine über­zeu­gen­de Brü­cke zum »visu­al storytelling«.

Moni­ka Oert­ner schil­dert in ihrem Text »Igno­ran­tia doc­torum – Hoch­schul­schreib­di­dak­tik und die Rhe­to­rik­tra­di­ti­on«, wie die Schreib­be­ra­tun­gen an Hoch­schu­len von rhe­to­ri­schen Model­len pro­fi­tie­ren kön­nen und was die Rhe­to­rik zur Schreib­di­dak­tik bei­tra­gen kann.– In einer münd­li­chen Hoch­schul­tra­di­ti­on ste­hen die zahl­rei­chen Debat­tier­clubs, die es unter­des­sen gibt. Eli­sa Schwarz und Daniil Pak­ho­men­ko zei­gen in »Wir müs­sen reden«, dass dort noch nicht alle Poten­zia­le aus­ge­schöpft wer­den und mit Hil­fe eines rhe­to­ri­schen Unter­baus bes­se­re Ergeb­nis­se erzielt wer­den könnten.

Am Ende des Ban­des steht ein Inter­view, das der Her­aus­ge­ber mit Olga Mann­hei­mer geführt hat »Über die Mode­ra­ti­on von Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen«. Mann­hei­mer ist Über­set­ze­rin, Lek­to­rin, Lite­ra­tur­ex­per­tin und erfah­re­ne Mode­ra­to­rin. Ihre Rat­schlä­ge sind kurz­wei­lig und hilf­reich. Abge­se­hen von der Uhr als wich­tigs­tem Werk­zeug eines Mode­ra­tors emp­fiehlt sie: »fle­xi­bel blei­ben und not­falls das Kon­zept über­den­ken« (S. 120) – ein Rat­schlag, den man ger­ne mit ins rest­li­che Leben nimmt.– Ergänzt wer­den die Bei­trä­ge um Rezen­sio­nen aktu­el­ler Fachliteratur.