Hin­zu kommt die Rol­le der Kon­ver­ti­ten, die als Kämp­fer zum isla­mi­schen Glau­ben über­tre­ten. Sie wer­den geschätzt und aner­kannt aus zwei Grün­den: Zum einen ist da die Freu­de über den Bekehr­ten, die ja auch in ande­ren Reli­gio­nen zu fin­den ist.[19] Zum ande­ren ist der unver­kenn­ba­re Nut­zen ihres Wis­sens über die west­li­che Welt zu nen­nen. Denn sie ken­nen die west­li­che Spra­che, Kul­tur und Tech­no­lo­gie und ken­nen daher auch eher die Schwach­punk­te und Ver­letz­bar­keit der Län­der, aus denen sie kom­men. Dar­aus resul­tiert eine enor­me Stei­ge­rung des Gefühls der Aner­ken­nung und der eige­nen Bedeu­tung, die sich hin zu Bemäch­ti­gungs- und All­machts­ge­füh­len ent­wi­ckeln können.

Die Moti­va­tio­nen die­ser Men­schen, sich für ein – aus unse­rer Sicht – Ter­ror­re­gime zu enga­gie­ren, sind viel­fäl­tig. Da ist zum einen die Über­zeu­gung, für eine Sache (Reli­gi­on, Gemein­schaft, Frei­heit, ande­re Form von Staat, Wirt­schaft und Gemein­schaft) zu kämp­fen. Es kommt aber auch der Wunsch der Beach­tungs­er­zwin­gung für die eige­ne Per­son dazu. Rache­ge­füh­le und der Wunsch nach Kom­pen­sa­ti­on für angeb­li­che oder wirk­li­che Demü­ti­gun­gen, Belei­di­gun­gen und Nie­der­la­gen kön­nen eine Rol­le spie­len. Die Erwar­tung kon­kre­ter Beloh­nun­gen im Jen­seits[20] sind eben­falls star­ke Moti­ve, bis hin zur Ver­zweif­lung über aus­sichts­lo­se per­sön­li­che Situa­tio­nen. Laten­te Sui­zid­ab­sich­ten kön­nen eben­falls vor­han­den sein.

Hin­zu kommt, dass es in einer inter­es­sen­ge­steu­er­ten Aus­le­gung der Schrif­ten des jewei­li­gen reli­giö­sen oder ideo­lo­gi­schen Hin­ter­grunds mög­lich scheint, ohne Schuld­ge­füh­le mora­li­sche Hemm­nis­se[21] über Bord wer­fen zu kön­nen. So ent­ste­hen Recht­fer­ti­gungs­fi­gu­ren für Mord, Ver­ge­wal­ti­gung, Raub, Berei­che­rung etc. Den Dschi­had als Spaß- und Aben­teu­er­ver­an­stal­tung zu pro­pa­gie­ren ist kein Zynis­mus, son­dern eine kon­se­quen­te Ent­mo­ra­li­sie­rung. Hier fin­det sich die Posi­ti­on des Tra­sy­m­a­chos wie­der, dem es nur dar­um geht, der Stär­ke­re zu sein. Die­se Posi­ti­on bedarf noch nicht ein­mal einer reli­giö­sen Begrün­dung, obwohl sie meist vor­ge­scho­ben wird. Übrig bleibt unge­hemm­tes, instinkt­ent­fes­sel­tes Han­deln. Dies erin­nert durch­aus an Wal­len­steins Sol­da­tes­ka im Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg. Das Ziel der end­lo­sen Kämp­fe war schon lan­ge aus den Augen ver­lo­ren – es ging nur noch um die Bei­be­hal­tung der Lebens­form als Sol­dat. So wur­den die Kriegs­hand­lun­gen ein sich selbst erhal­ten­des Sys­tem: Der Krieg ernährt sich aus den jeweils erober­ten Gebie­ten selbst.[22]

Ist der Ter­ro­rist also ledig­lich ein rei­ner Ego­ist? Man wird ver­mut­lich immer eine Mischung von Moti­va­tio­nen fin­den, die man viel­leicht in ein sehr ver­ein­fa­chen­des Sche­ma brin­gen kann, das kom­bi­na­to­risch unter­schei­det zwi­schen ego­is­ti­schen und altru­is­ti­schen Moti­ven, ver­bun­den mit der Unter­schei­dung, ob die Per­son zu ster­ben bereit ist oder nicht.

Ego­is­tisch Altru­is­tisch
Bereit, selbst
zu sterben
Über­hö­hung der eige­nen Per­son; Anstre­ben der eige­nen »Hei­lig­keit«;
Erwar­tung jen­sei­ti­ger Beloh­nung um jeden Preis
Reli­giö­ser oder welt­an­schau­li­che Überzeugung
Fanatismus
Fehl­ge­lei­te­ter Idea­lis­mus­Nai­vi­tät und Realitätsverlust
Nicht bereit, zu sterben Stre­ben nach Macht
Aus­le­ben nie­de­rer Instink­te im Krieg­Wirt­schaft­li­che Interessen
Will etwas gemäß sei­ner Über­zeu­gung ver­wirk­li­chen oder verhindern

 

Die­se vier in der Tabel­le zusam­men­ge­stell­ten, unter­schied­li­chen Grün­de auf der Ebe­ne der Ter­ro­ris­ten könn­ten ein geeig­ne­ter Aus­gangs­punkt für die Bestim­mung dafür sein, wel­che Argu­men­te man suchen müss­te, um mit Ter­ro­ris­ten über­haupt ins Gespräch zu kommen.

3.2.2 Sys­te­mi­sche Aspekte

Wir müs­sen aller­dings noch einen Blick auf die Grün­de des Ter­ro­ris­mus als Erschei­nung wer­fen: Wir haben gese­hen, dass Ter­ro­ris­mus in den sel­tens­ten Fäl­len eine (para-)militärische Stra­te­gie ist, son­dern dass es sich eher um eine Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie han­delt. Durch die Tat soll gezeigt wer­den, dass das ange­grif­fe­ne Sys­tem ver­letz­lich ist und dass die orga­ni­sa­to­ri­schen Funk­tio­na­li­tä­ten emp­find­lich gestört wer­den kön­nen. Somit soll das Ver­trau­en in das Sys­tem unter­gra­ben wer­den. Das Resul­tat soll Angst und Unsi­cher­heit sein. Des­halb sind die Funk­ti­on der Medi­en und die Gegen­re­ak­tio­nen des Sys­tems in gewis­ser Wei­se ein­ge­plant. Dar­über hin­aus sol­len mit einem erfolg­rei­chen Schlag Sym­pa­thi­san­ten und Unter­stüt­zer rekru­tiert werden.

Es ist unbe­strit­ten, dass auf der indi­vi­du­el­len Ebe­ne reli­giö­se und welt­an­schau­li­che Zie­le als Über­zeu­gungs- und Moti­va­ti­ons­ker­ne ein­ge­setzt wer­den. Das pri­mä­re Ziel des Ter­ro­ris­mus ist es jedoch, durch sei­ne Wir­kun­gen eine Ver­än­de­rung der wirt­schaft­li­chen, poli­ti­schen, sozia­len und kul­tu­rel­len Ver­hält­nis­se zu errei­chen. Die eige­ne Dok­trin ist meist in den Anfangs­pha­sen noch wich­tig, ver­liert sich aber dann, wenn die Gewalt sich verselbständigt.

Die Bereit­schaft mög­li­cher Täter, bei einem Anschlag selbst ihr Leben zu las­sen, ist deut­lich gestie­gen. Dies mag an der reli­gi­ös-ideo­lo­gisch Begrün­dung lie­gen, die jeden­falls vom Selbst­mord­at­ten­tä­ter geglaubt wer­den muss. Dass es hier­für Rekru­tie­rungs­pro­gram­me gibt, die auch die Fami­li­en von Selbst­mord­at­ten­tä­tern finan­zi­ell unter­stüt­zen, zeigt auch die öko­no­mi­sche Sei­te des Ter­ro­ris­mus (Schnei­der 2002). Außer­dem las­sen sich Bezie­hun­gen zur orga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät bei der Finan­zie­rung nach­wei­sen (Soi­né 2005). Zudem zei­gen Unter­su­chun­gen, dass es – zumin­dest vor 2003 – nicht unbe­dingt die per­sön­li­che Armut ist, die Men­schen in die Arme des Ter­ro­ris­mus treibt (Krue­ger, Maleč­ko­vá 2003).

Selbst­mord­at­ten­ta­te haben drei Vor­tei­le aus der Sicht des Ter­ro­ris­mus, nicht unbe­dingt aus der Sicht des Ter­ro­ris­ten: Sie beto­nen bei Betrof­fe­nen wie bei der eige­nen Anhän­ger­schaft die Wich­tig­keit der eige­nen Zie­le. Die Pla­nung ist ein­fach, weil die wei­chen Zie­le kaum geschützt wer­den kön­nen und der Täter kei­ne Flucht pla­nen muss. Letzt­lich ist jede Abschre­ckungs­stra­te­gie sinn­los: Mit was soll man den Atten­tä­ter bestra­fen, wenn er nicht mehr lebt?

  1. [19] vgl. Lukas 15, 7: »Ich sage euch: Eben­so wird auch im Him­mel mehr Freu­de herr­schen über einen ein­zi­gen Sün­der, der umkehrt, als über neun­und­neun­zig Gerech­te, die es nicht nötig haben umzu­keh­ren« (zit. nach Einheitsübersetzung). 
  2. [20] Bei­spiel­haft her­aus­ge­grif­fen: Sure 56, 15—23, oder 52, 17—24.
  3. [21] Die Dis­kus­si­on ver­läuft hier­zu­lan­de meis­tens im Hin­blick auf »west­lich gepräg­te«, mora­li­sche Hemm­nis­se. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass alle Reli­gio­nen und Welt­an­schau­un­gen mora­li­sche Vor­stel­lun­gen ent­wi­ckelt haben, die bestimm­tes Tun und Las­sen mora­lisch bewer­ten und ggf. ver­ur­tei­len oder for­dern. So kann man leicht Suren fin­den, die sich als eine Auf­for­de­rung zur gegen­sei­ti­gen Tole­ranz inter­pre­tie­ren las­sen, z. B. Sure 109. Die meis­ten Suren rufen Allah als Aller­bar­mer an. Ande­rer­seits fin­den sich in der Tora resp. im Alten Tes­ta­ment (z. B. Jesa­ia 13, 1—22) Stel­len über einen grau­sa­men, rächen­den und alles ver­nich­ten­den Gott. Selbst im Neu­en Tes­ta­ment las­sen sich har­te Straf­an­dro­hun­gen (z. B. Mar­kus 9, 42—50, Johan­nes 15,6) und auch Auf­for­de­run­gen zur Gewalt fin­den (Lukas 19, 27). 
  4. [22] »Ers­ter Kür­as­sier: Und weil sich’s nun ein­mal so gemacht, / Daß das Glück dem Sol­da­ten lacht, / Laßt’s uns mit bei­den Hän­den fas­sen, / Lang wer­den sie’s uns nicht so trei­ben las­sen. / Der Frie­de wird kom­men über Nacht, / Der dem Wesen ein Ende macht; / Der Sol­dat zäumt ab, der Bau­er spannt ein, / Eh man’s denkt, wird’s wie­der das Alte sein. / Jetzt sind wir noch bei­sam­men im Land, / Wir haben’s Heft noch in der Hand. / Las­sen wir uns aus­ein­an­der spren­gen, / Wer­den sie uns den Brod­korb höher hän­gen. / Ers­ter Jäger: / Nein, das darf nim­mer­mehr geschehn! / Kommt, laßt uns Alle für Einen stehn!« Schil­ler, Fried­rich: Wal­len­steins Lager, Elf­ter Auf­tritt. In: Schil­ler (1966), Bd. III, S. 40 f.