Auch wenn die­sel­be Stu­die die dort »auf­ge­stell­te The­se, die Bericht­erstat­tung ori­en­tie­re sich stark an den han­deln­den Akteu­ren und weni­ger stark an den inhalt­li­chen The­men, zumin­dest für die Mehr­heit der jour­na­lis­ti­schen Arti­kel nicht bestä­tigt wer­den« konn­te, so zeig­ten doch »18 Pro­zent aller Arti­kel […] eine star­ke oder sehr star­ke Per­so­na­li­sie­rung und fokus­sier­ten damit in erheb­li­chem Maß auf bestimm­te Akteu­re.«[7] Die­se Per­so­na­li­sie­rung betraf vor allem grie­chi­sche Akteu­re und ging mehr­heit­lich mit einer nega­tiv-wer­ten­den Hal­tung ein­her. Betrach­tet man die Rol­le der Bil­der inner­halb die­ser Bericht­erstat­tung, auch jen­seits klas­si­scher Nach­rich­ten­por­ta­le und Zei­tun­gen, so tritt beson­ders die Figur des dama­li­gen grie­chi­schen Finanz­mi­nis­ters her­vor. Inner­halb der benann­ten Pole wird die Figur des Varou­fa­kis in unter­schied­li­chen Rol­len erfun­den (teil­wei­se auch von ihm selbst), die im Wei­te­ren ein­zeln nach­ge­zeich­net wer­den sol­len. Eines der wesent­li­chen Mit­tel des Pop, mit sei­nen Iko­nen wie des Popu­lis­mus, mit sei­nen Füh­rern, ist die Per­so­ni­fi­ka­ti­on, die es rhe­to­risch ermög­licht, kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge und Sys­te­me als Show­down zwi­schen Cha­rak­te­ren zu insze­nie­ren (Abb. 3).

Abbildung 3: http://www.sueddeutsche.de/politik/abstimmung-zu-griechenland-hilfen-schaeuble-ist-veraergert-ueber-varoufakis-1.2369096.

Abbil­dung 3: http://www.sueddeutsche.de/politik/abstimmung-zu-griechenland-hilfen-schaeuble-ist-veraergert-ueber-varoufakis-1.2369096.

In eben die­ser Wei­se wur­de die Ban­ken- und Spe­ku­la­ti­ons­kri­se visu­ell-medi­al aus­ge­tra­gen, die ihr Set­ting, ihre Büh­ne durch ihre Umbe­nen­nung in Finanz­kri­se, Staats­schul­den­kri­se, Euro­kri­se und schließ­lich Grie­chen­land­kri­se erhielt. Mit den Akteu­ren »Varou­fa­kis vs. Schäub­le« aus­ge­stat­tet, wur­de die­ses Set­ting zur Are­na, in der der rhe­to­ri­sche Agon ums Ethos aus­ge­tra­gen wer­den konn­te. Denn dar­um ging es vor­ran­gig, ums Ethos, um die Glaub­wür­dig­keit, die durch den Cha­rak­ter des Red­ners, oder das, was man für sei­nen Cha­rak­ter hält, gewon­nen wird.

Ich möch­te im Wei­te­ren eine klei­ne Aus­wahl der vor­ran­gig visu­el­len Cha­rak­ter­zu­schrei­bun­gen von Varou­fa­kis vor­stel­len: Es han­delt sich um Varou­fa­kis als Rebell und Rene­gat, als cha­ris­ma­ti­schen Füh­rer, als Super­held und schließ­lich als Ter­ro­rist, als Erpres­ser und Lügner.

a) Rebell und Renegat

Als im Janu­ar 2015 die lin­ke Par­tei »Syri­za« gewählt wur­de und Varou­fa­kis zu ihrem Finanz­mi­nis­ter ernann­te, kam eine Regie­rung zustan­de, die bereits einen Bruch mit dem als Spar­dik­tat emp­fun­de­nen Kurs der euro­päi­schen Kri­sen­be­wäl­ti­gung ange­kün­digt hat­te und für die­sen wohl auch gewählt wur­de. Es soll­te um Neu­ver­hand­lun­gen der Schul­den gehen, um ein Ende der »Herr­schaft der Tech­no­kra­tie der Troi­ka« und um den wirt­schaft­li­chen Auf­bau des Lan­des. Die Kampf­an­sa­gen aus der Wahl­kampf­zeit muss­ten die­se Par­tei und ihre Füh­rung bereits in das Licht des Rebel­len­tums und umstürz­le­ri­scher Unter­neh­mun­gen stel­len. Will man das rebel­lisch Sub­ver­si­ve eines Gegen­übers deut­lich machen, ohne dabei eine kom­pli­zier­te inhalt­li­che Debat­te anzu­fan­gen (zum einen, weil man die­se Debat­te nach so weni­gen Tagen noch gar nicht füh­ren kann, zum ande­ren, weil man die­se Debat­te zu ver­ste­hen dem Publi­kum wohl auch nicht zutrau­te, und ins­be­son­de­re, weil man auf die­se Wei­se die lin­ke Regie­rung ernst­zu­neh­men hät­te), so bedient man sich wohl bes­ten­falls bestimm­ter Ste­reo­ty­pe, die im Fal­le von Bil­dern eine Evi­denz vor­ge­ben kön­nen, die als unmit­tel­bar über­zeu­gend emp­fun­den wer­den kann (Abb. 4 und Abb. 5):

Abbildung 4: http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-zum-neuen-finanzminister-griechenlands-giannis-varoufakis-fotostrecke-123580-2.html.

Abbil­dung 4: http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-zum-neuen-finanzminister-griechenlands-giannis-varoufakis-fotostrecke-123580-2.html.

Abbildung 5: http://www.20min.ch/finance/news/story/21452840#showid=119532&index=2.

Abbil­dung 5: http://www.20min.ch/finance/news/story/21452840#showid=119532&index=2.

Die Pres­se, von »Spie­gel Online« bis zum »Han­dels­blatt«, nahm sich bei­spiels­wei­se die­ses Bil­des der Begeg­nung des grie­chi­schen und des bri­ti­schen Finanz­mi­nis­ters an. Das Han­dels­blatt titelt: »Ohne Kra­wat­te, dafür in Leder­ja­cke: So schlägt Finanz­mi­nis­ter Yanis Varou­fa­kis bei poli­ti­schen Ter­mi­nen auf. Ewig wird er das nicht machen kön­nen.«[8] In glei­chem Ton mei­nen auch ande­re Medi­en, von den Attri­bu­ten »ohne Kra­wat­te«, »mit Boots« und »mit Leder­man­tel« auf feh­len­de Ernst­haf­tig­keit schlie­ßen zu kön­nen. Ernst­haf­tig­keit aber gehört zu den Grund­vor­aus­set­zun­gen rhe­to­ri­scher Bemü­hun­gen. Zum einen muss der Ora­tor (als vir bonus) selbst als ernst­haft ange­se­hen wer­den, um sei­nen Äuße­run­gen Glaub­wür­dig­keit ver­lei­hen zu kön­nen; zudem muss die vor­ge­tra­ge­ne Sache ernst­haft sein, inso­fern sie auch ernst­haf­te Ver­än­de­run­gen im Den­ken, Füh­len und Han­deln des Publi­kums aus­zu­lö­sen sucht; schließ­lich muss aber auch die Art und Wei­se der Behand­lung die­ses Gegen­stan­des ernst­haft sein. Von die­sen drei rhe­to­ri­schen Dimen­sio­nen der Ernst­haf­tig­keit zielt die von Medi­en wie dem »Han­dels­blatt« und ande­ren vor­ge­brach­te »Stil­kri­tik« auf ein Unter­gra­ben vor allem der zuletzt genann­ten, der Ernst­haf­tig­keit als Ver­fah­rens­tech­nik, und im wei­te­ren Ver­lauf auch immer mehr auf die ers­te Dimen­si­on, der ver­meint­lich feh­len­den Ernst­haf­tig­keit des Ora­tors als eines Ethos-Defi­zi­tes. Nach Odo Mar­quard gilt: »Komisch ist und zum Lachen reizt, was im offi­zi­ell Gel­ten­den das Nich­ti­ge und im offi­zi­ell Nich­ti­gen das Gel­ten­de sicht­bar wer­den lässt.«[9] Dem­nach kön­nen Ver­fah­rens­ab­läu­fe dadurch sub­ver­tiert wer­den, dass inner­halb der­sel­ben gel­ten­de und für den Ablauf kon­sti­tu­ti­ve Aspek­te per­for­ma­tiv für nich­tig erklärt wer­den oder aber das für den Ver­fah­rens­ab­lauf Irrele­van­te für das Ver­fah­ren selbst erklärt wird. Im zwei­ten Sin­ne wird mit die­sen Bil­dern ver­fah­ren, wofür auch fol­gen­des Medi­en­bild ste­hen mag (Abb. 6).

Abbildung 6: http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-ruecktritt-varoufakis-fotostrecke-128118-11.html.

Abbil­dung 6: http://www.spiegel.de/fotostrecke/fotostrecke-ruecktritt-varoufakis-fotostrecke-128118-11.html.


Ausgabe Nr. 10, Frühjahr 2017

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