Mythen des Alltags

Postkarte

Kleines Medium mit großer Wirkung

Von Corinna Gratzl


Im Brief­kas­ten: Wer­bung, Rech­nung, Buß­geld­be­scheid – die Lau­ne könn­te nicht tie­fer sin­ken. Aber unter den vie­len wei­ßen Umschlä­gen ragt ein bun­tes, glän­zen­des Kärt­chen her­vor. Vor­ne: Strand, Pal­men, Meer – ein Para­dies. Hin­ten, hand­schrift­lich: »Mit son­ni­gen Urlaubs­grü­ßen aus Cos­ta Rica!« 

Eine Post­kar­te ist das idea­le Bei­spiel für eine klei­ne Ges­te mit gro­ßer Wir­kung. Beson­ders der Über­ra­schungs­ef­fekt macht aus dem hand­ge­schrie­be­nen Gruß etwas viel Grö­ße­res. Die Post­kar­te ist ein »emo­tio­na­les Luxus­gut«.[1] Sie ver­mit­telt dem Emp­fän­ger, einen hohen Stel­len­wert bei dem Absen­der zu haben. Statt in einer schnell­le­bi­gen, ent­ma­te­ria­li­sier­ten Welt eine wei­te­re digi­ta­le Nach­richt zu erhal­ten, spürt man bei einer Post­kar­te ech­te Mensch­lich­keit. Man stellt sich vor, wie der Absen­der durch einen die­ser Metall-Dreh­stän­der in einem Aller­lei­la­den such­te, um eine pas­sen­de Kar­te zu fin­den. Urlaubs­er­in­ne­run­gen kom­men hoch, mit etwas Phan­ta­sie kann man sogar den Duft die­ser klei­nen Läden rie­chen: eine Melan­ge aus Kaf­fee, Gela­to, Gebäck, gemischt mit Son­nen­creme und Waschpulver.

»Wer hat uns denn eine Post­kar­te geschickt?!« Anhand der Motiv­wahl kön­nen bereits Rück­schlüs­se auf den Ver­sen­der gezo­gen wer­den. Das Design von Post­kar­ten reicht von einer for­mat­fül­len­den Foto­gra­fie über col­la­ge­ar­ti­ge Über­la­ge­run­gen ver­schie­de­ner Moti­ve bis hin zu wil­den Zusam­men­stel­lun­gen aus Schrift, Illus­tra­tio­nen und Bil­dern. Die meis­ten Post­kar­ten tei­len jedoch einen gewis­sen Grad an Kitsch und viel Pho­to­shop. Und sie lösen Erin­ne­run­gen und Gefüh­le aus. Beat Schlat­ter schreibt in sei­nem Buch »Post­cards«: »Eine Post­kar­te (…) kur­belt das Fern­weh an und stillt vor­über­ge­hend die Sehn­sucht.«[2] Wer das öfter erle­ben möch­te, kann sich bei der Inter­net­platt­form »Post­crossing« anmel­den. Das im Jahr 2005 gegrün­de­te Pro­jekt funk­tio­niert nach einem simp­len Prin­zip. Man ver­sen­det eine Post­kar­te an einen Nut­zer und im Gegen­zug erhält man von irgend­wo auf der Welt einen Gruß zurück.[3] Laut Veit Didc­zu­neit vom »Muse­um für Kom­mu­ni­ka­ti­on Ber­lin« macht näm­lich auch der Aspekt, dass die Kar­te »den Weg phy­sisch gegan­gen« ist, das Phä­no­men Post­kar­te aus.[4] Alex­an­der Eden­ho­fer, der Spre­cher der »Deut­schen Post«, ergänzt, dass Post­kar­ten nach­hal­ti­ger sei­en, denn Emp­fän­ger behal­ten sie län­ger.[4] Nicht ohne Grund fin­det man in Kis­ten voll Erin­ne­rungs­stü­cke oft auch die eine oder ande­re Postkarte. 

»Und was steht hin­ten noch drauf?!« Nach einer Umfra­ge von »mypo­st­card«, steigt die Zahl an Men­schen, die regel­mä­ßig Post­kar­ten ver­sen­den, seit den letz­ten Jah­ren wie­der an.[5] Man könn­te Kur­se im Post­kar­ten­schrei­ben anbie­ten, sofern man die Über­zeu­gung einer Münch­ner Post­kar­ten­samm­le­rin teilt: Sie fin­det, es könn­ten auf einer ganz klei­nen Flä­che, einem klei­nen Stück Papier, rie­sen­gro­ße Geschich­ten erzählt wer­den.[6] Egal ob die­ses Poten­zi­al aus­ge­schöpft wird oder ob die meis­ten Absen­der bei einem Ein- bis Zwei­zei­ler und son­ni­gen Grü­ßen blei­ben, die Haupt­aus­sa­ge einer Post­kar­te bleibt gleich: Man befin­det sich an dem auf der Vor­der­sei­te abge­bil­de­ten Ort und man hat an den Emp­fän­ger gedacht. Oder wie der fran­zö­si­sche Phi­lo­soph Jac­ques Der­ri­da sehr roman­tisch sag­te: »Im Grun­de liegt der Post­kar­te (…) eine ein­fa­che For­mel zugrun­de, näm­lich ›Ich lie­be dich‹«.[7]