»Während das Produktionsmodell der Rhetorik die Vorstellung nahelegt, das die kognitiven und sprachlichen Prozesse voneinander getrennt ablaufen und in der elocutio fertige Inhalte in Sprache überführt werden, ist in Wirklichkeit davon auszugehen, dass die Versprachlichung ein integrales schöpferisches Handeln ist, das die Schritte der inventio und dispositio mit einbezieht und das sukzessive Nacheinander, in ein prozesshaftes Miteinander überführt.«[6] Trotz der Trennung der einzelnen Arbeitsschritte im Produktionsmodell ist der Gegenstand der Rhetorik gerade der Zusammenhang von ausgedachten und kommunizierten Inhalten, so dass die elocutio dann nicht nur die Ausführung von vorher Konzipiertem bedeutet, »sondern selbst Erkenntnis produziert und dadurch selber eine ars inviendi, eine Erfinde- und Findekunst, darstellt«[7] Das rhetorische Produktionsmodell besteht aus modellhaft von einander getrennten Handlungsschritten, die sich, zumindest zwischen den Schritten inventio und elocutio zu Iterationsschleifen bildenden, kreativen Handlungsabläufen organisieren.
Es gibt viele missverständliche Stellen, die aus der Übertragung der rhetorischen Anweisungen auf die visuelle Kommunikation resultieren. Deren Aufklärung erfordert eine Auseinandersetzung mit dem aufgearbeitetem Wissen um antike rhetorische Praktiken und ihrer Anwendung, in Verbindung mit dem praktisch-gestalterischen Wissen und Können, rund um den Kreativprozess der visuellen Kommunikation.
3 Was für einen Unterschied macht das Implizieren des rhetorischen Wissens in den Gestaltungsprozess?
Welchen Nutzen hätten Gestalter also, wenn sie sich die Parallelen zur klassischen Rhetorik vergegenwärtigen würden? Was würde sich durch den bewussten Umgang mit den Produktionsschritten, die die Rhetorik vorschlägt, verbessern? Eine reflexartige Antwort vieler Gestalter wäre sicher: »Nichts.« Trotzdem rückt Rhetorik immer wieder auf den Plan des Theorieunterrichts. Und das mit gutem Grund. Die Methodik, die Gestalter zielsicher bedienen, ohne die expliziten Regeln zu kennen, ist in ihren Grundzügen mit den Modellen, die die klassische Rhetorik vorschlägt, nahezu kongruent oder lässt zumindest die Bildung ihrer Derivate zu. Die zeitgenössische Ausbildung zum Designer vermittelt alle impliziten, praktischen Fähigkeiten, die zur Herstellung von maximaler Wirkung von Kommunikationsinhalten mit visuellen Mitteln notwendig sind. Daher lassen sich die Ergebnisse in rhetorisch geltende Kategorien einteilen. D. h. die Ausbildung folgt bereits rhetorischen Doktrinen, ohne diese in ihrer strukturellen Ordnung explizit machen zu können. Man muss, um ein systematisches, methodisches Paradigma für die Disziplin »Kommunikationsdesign« aufzustellen, nicht das Rad neu erfinden. Die Baupläne für ein Rad, das die Disziplin »visuelle Kommunikation« weiter bringen kann, sind bereits vorhanden. Würden wir in die Geschichte aufmerksam zurückschauen, so hätten wir bereits eine faszinierend komplexe Grundlage für die Bildung einer analogen Theorie für die visuelle Kommunikation. Das Explizitmachen der unbewussten Regeln und Handlungsabläufe würde den Gestaltungsprozess als solchen nur bereichern. Aus dem Beispiel mit den Arbeitsschritten inventio, dispositio und elocutio wird klar, dass das Abschreckende, Rezepthafte an rhetorischen Modellen auf falsch verstandenen Anweisungen beruht. Die praktische Ausbildung trainiert die wichtigste rhetorische Fähigkeit, nämlich die Eloquenz, das rhetorische Lösen von Kommunikationsproblemen lässt sich nur mit kreativen Prozessen angehen, deren zu Modellen vereinfachte Schritte eine sinnvolle Gliederung bilden und ein allgemein verständliches, verbindliches Vokabular zur Verfügung stellen. Gerade als Basis einer Ausbildung ist der Umgang mit der rhetorischen Struktur ein entscheidender Lernvorteil. Würde man systematisch an der Erforschung dieser Bewusstwerdung der kommunikativen Handlung arbeiten, so würde man zu einer weitsichtigen Forschung, an einem fruchtbaren, sich bedingenden Verhältnis von Theorie und Praxis beitragen. In der Forschung um das Feld des Kommunikationsdesigns kann eine Lücke geschlossen und eine sehr wertvolle Brücke zu theoretischen Fragestellungen geschlagen werden.