2. Berner Arbeitstreffen zur visuellen Rhetorik | Überblick
Rhetorische Zugänge zum Terror
Tagung über die Wirkungsdimensionen des Schreckens
Zunächst scheinen sich die Idee und die Konzepte der Rhetorik und ihrer Legitimation auf der einen Seite und die Wirklichkeit des Terrors auf der anderen Seite diametral entgegenzustehen. Von der Rhetorik als antiker techne sprechen wir in Kontexten des Überzeugens und damit insbesondere von der Argumentation auf der Ebene des Logos, vom Ideal des vir bonus[1] auf der Ebene des Ethos und von einer angemessenen Affekterzeugung auf der Ebene des Pathos. Die Rhetorik als Kunst, in allem das möglichweise Überzeugende zu entdecken[2], zu formulieren und im Interesse der vertretenen Standpunkte zu nutzen, befasst sich deshalb auch und vor allem mit den Möglichkeiten und Strategien der Identifikation[3] eines Redners mit seinem Publikum. Ausgehend von dem, was der Hörer schon weiß und will[4], wird er im Sinne der rhetorischen Intervention für die Sichtweisen und Meinungen des Redners geöffnet und idealerweise von diesen auch langanhaltend überzeugt. Gewalt, sei sie nun tatsächlich ausgeübt oder nur angedroht, steht in dieser Bestimmung den rhetorischen Kategorien ebenso entgegen wie jede Macht, die den mitunter mühsamen Weg rhetorischer Überwindung[5] nicht gehen muss, weil sie schon selbst evident ist. Wer mit Gewalt oder Macht seine Interessen durchsetzen kann, der bedarf keiner strategischen Planung eines Rhetors. Bleibt also die Frage: Was am Terror, an der gezielten Verbreitung von Schrecken zur Durchsetzung eigener politischer Ziele, ist eigentlich dann rhetorisch? Und eng mit dieser Frage ist die Frage verbunden, ob man dem Terror, wenn er denn rhetorisch fundiert sein sollte, nicht auch gezielt rhetorisch begegnen kann; eine Frage, die angesichts der heutigen terroristischen Bedrohungslage in vielen Teilen der Welt an Bedeutung gewinnt.
Stellen wir also zunächst die Frage nach den rhetorischen Bedingungen der Möglichkeit von Terror. Führt man sich vor Augen, dass Terror nicht allein eine Ereigniskategorie darstellt, also beispielsweise eine Reihe konkreter Ereignisse wie Anschläge umfasst, sondern eher als eine Wirkungsdimension aufzufassen ist, eben als der gezielte Einsatz von Schrecken, Angst oder gar Panik, so wird klar: Auch eine solche Wirkung kann mehr oder weniger überzeugend hervorgebracht werden. Zugespitzt ist der Anschlag, wenngleich eine Tragödie, womöglich nicht der Kern der terroristischen Kommunikation, sondern erst die durch den Anschlag und seine mediale Verbreitung, Bewertung und insbesondere auch Bebilderung hervorgerufene Bedrohungslage.[6] Von dieser Warte aus ergibt es Sinn, nach der visuellen Rhetorik des Terrors zu fragen, denn dieser Schrecken ist immer auch ein mediales und damit ein rhetorisches Erzeugnis.
Das »2. Berner Arbeitstreffen zur visuellen Rhetorik« widmet sich dem Thema »Terror und Legitimation« von drei Seiten. Zum einen wird versucht, die rhetorischen Dimensionen des Terrors zunächst losgelöst von einem konkreten, aktuellen Bezug aufzuzeigen. So untersucht Nadja J. Koch mit ihrem Vortrag »Das totale Bild« Strategien der visuellen Überwältigung in der Antike. Sie stellt Gewaltszenen vor, die nicht selten den mannigfaltigen Kämpfen der Heroen, Giganten und Götter entsprangen, und entwickelt hieraus Fragen zum Ethos, zu pathetischen Überzeugungsmitteln und zur Weckung von Aufmerksamkeit. Bernd Steinbrink setzt mit seinem Beitrag ebenso in der Antike an und analysiert die »Rhetorik des Terrors« in sprachlichem Bezug.
Ein zweiter Themenbereich wendet sich der konkreten Auseinandersetzung mit rhetorischen Aspekten des zeitgenössischen jihadistischen Terrorismus zu. Dass auch die Rhetorik des Terrors auf Authentizität angewiesen ist – eine durchaus übereinstimmende Haltung der Teilnehmenden des Arbeitskreises – thematisiert Annina Schneller in Bezug zu einem konkreten Mittel der Authentizitätserzeugung, der Ästhetik des Selbstgemachten und auch Unprofessionellen. Unter diesem Blickwinkel werden in ihrem Vortrag »Imperfektion als rhetorisches Mittel der Authentizitätserzeugung« auch Handyvideos, die für den IS werben sollen, untersucht, und sie kann zeigen, dass gerade für deren rhetorischer Erfolg, die Ästhetik der Imperfektion entscheidend ist. Sophie Heins untersucht in ihrem Beitrag die »Visuelle Legitimation des National Counterterrorism Center« in den USA. Sie analysiert hierfür die Website, das Video »Inside NCTC«, den »Counterterrorism Calender« und den »Counterterrorism Guide« des NCTC hinsichtlich der Frage nach der rhetorischen Situation, dem Zielpublikum und in diesem Hinblick eben auch und besonders der Ausgestaltung dieser Seiten. Ein ähnliches Feld bearbeitet auch Matthias Tratz, der sich in seinem Beitrag visuellen Gemeinsamkeiten von terroristischen Vereinigungen und den Institutionen zu ihrer Bekämpfung widmet. Im Nebeneinander affektstarker Bilder wird deutlich, dass die Frage nach der bildhaften Erwiderung auf Terrorismus mehrschichtig ist: Will man in derselben visuellen Rhetorik antworten wie die Gruppen, die man bekämpfen will? Schließlich nehmen Arne Scheuermann und Arthur Beifuss das Magazin Dabiq unter die Lupe. In ihrem Vortrag Zur Visuellen Rhetorik des sogenannten IS – das Magazin Dabiq problematisieren sie die Rolle dieses Magazins als Teil der Rekrutierungskommunikation, Medienarbeit und Kommunikationspolitik des IS. Durch eine rhetorische Designanalyse des Editorial Designs ermitteln sie, welche vermuteten Wirkziele sich in der Gestaltung des Magazins realisieren und welche kontraintentionalen Gestaltungselemente auszumachen sind. Im weitere Kontext der Fragestellung gehen sie abermals auch der Frage nach den impliziten Zielgruppen der Publikationen nach.
Eine dritte Gruppe von Vorträgen ließe sich womöglich unter der Rubrik Terror und Ästhetisierung zusammenfassen. Thomas Susanka widmete seinen Vortrag »Terror zwischen Ästhetisierung und visueller Eloquenz bei James Nachtwey« eben dem Kriegsfotografen, der in seinen Bildern Terror und Schrecken aus internationalen Kriegs- und Krisengebieten zeigt. Die künstlerische Qualität seiner Bilder wird Nachtwey dabei von außen auch zum Vorwurf gemacht, steht die formalästhetische Ausgestaltung seiner Bilder (insbesondere in der Komposition) doch im krassen Widerspruch zu den schrecklichen Inhalten. Solche »Verstöße« gegen das Decorum, gegen die Grenze der Angemessenheit, sind dabei zugleich auch Teil des Reizes seiner Bilder und mit Sicherheit wohl auch ein Grund für die diesen Bildern entgegengebrachte Aufmerksamkeit. In durchaus vergleichbarer Weise geht es auch im Beitrag von Pierre Smolarski um die Grenzen der Angemessenheit. Er untersucht in »Populärkultur und Wirtschaftsterrorismus – der Fall Varoufakis« die mediale Berichterstattung in der Banken-, Finanz- und Griechenlandkrise 2015. Insbesondere zeigt sich in der massenmedialen Auseinandersetzung und Zuspitzung von Internet-Memen ein Aspekt, der dann in der popkulturellen Übertreibung visuelle Blüten treibt: Die Finanzkrise erscheint als Duell zwischen Superhelden und Superschurken zugespitzt auf ein »Death-Match« der Finanzminister Varoufakis und Schäuble. Thomas Nehrlich schließt mit »Dunkler Ritter oder strahlender Retter. Die Visualität von Superhelden zwischen Terror und Antiterror« gleichermaßen an das Superheldenthema an, wie er auch die Grundlage für einen Bezug zum ersten Vortrag von Nadja Koch über die antiken Heroen herstellt. Nehrlich arbeitet dabei heraus, dass das Erscheinungsbild von Superhelden (Kostüm, Maske, Statur, Haarfarbe, Tiersymboliken etc.) grundsätzlich einer Legitimationslogik folgt, die auf der unterschiedlichen Zielsetzung des jeweiligen Helden beruht. Die Gestalt derjenigen Superhelden, die sich als Beschützer der zivilen Bevölkerung und Wahrer des Guten verstehen, will Vertrauen erwecken und Schutz signalisieren (z. B. Superman, Captain America). Es handelt sich um ethosfokussierte Gestaltung. Superhelden hingegen, die sich mit dem Kampf gegen das Böse und die Verbrecherjagd identifizieren, wollen mit ihrem Aussehen Furcht und Schrecken verbreiten (z.B. Batman, Beast, Black Panther, Black Widow, Blade). Ihre Gestaltung ist pathosfokussiert. Auf der Ebene des Logos zielen erstere auf Sichtbarkeit, Lesbarkeit und Eindeutigkeit ab, letztere auf Vermummung, Rätselhaftigkeit und Uneindeutigkeit.
Das 2. Berner Arbeitstreffen zur visuellen Rhetorik hat gezeigt, dass die Perspektive der Rhetorik gut geeignet ist, Phänomenen und Wirkweisen des Terrors und seinen Legitimationen nachzugehen – auf eine Art, die sich nicht mit vorschnellen Bewertungen zufrieden gibt. Über die visuellen Erscheinungsweisen, Verhandlungs- und Verbreitungsmodi von Terrorismus und Terror hinaus kann der Terror selbst als rhetorisch wirksamer Kommunikationsakt verstanden werden. Mit diesem Ergebnis scheint uns ein wichtiges Forschungsfeld geöffnet, das hoffentlich in seiner weiteren Bearbeitung nicht nur im Befund verbleibt, sondern auch Möglichkeiten aufzeigt, sich klug und rhetorisch informiert dem Terror entgegenzustellen.
[Anmerkung der Redaktion: Einige der oben angeführten Vorträge wurden für vorliegende 10. Ausgabe von »Sprache für die Form« zu Essays ausgearbeitet.]
- [1] Cicero: De Oratore.
- [2] vgl. Aristoteles: Rhetorik. I.2, 1355 b26.
- [3] vgl. Burke, Kenneth: A Rhetoric of Motives. Berkeley 1969.
- [4] Vgl. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München 2002. S. 184.
- [5] vgl. Knape, Joachim: Persuasion und Kommunikation. In: Kopperschmidt, Josef (Hg.): Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. München 2000. S. 171—181.
- [6] Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler spricht in diesem Kontext von der ›heroischen Gelassenheit‹ als wesentlichem Mittel, diesem Aspekt des Terror zu begegnen. Vgl. etwa: https://www.welt.de/print-welt/article681504/Heroische-Gelassenheit.html